Jürgen TrittinDIE GRÜNEN - Aktuelle Stunde zu den US-Truppenverlegungen nach Osteuropa
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Tage versucht die ausgehende US-Administration, noch einmal Fakten zu schaffen. Obama sperrt weite Teile der Arktis als Naturschutzgebiet, er begnadigt die Whistleblowerin Chelsea Manning,
(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
und er schickt eine Rückversicherungstruppe nach Osteuropa. Die USA schicken 4 000 Soldaten nach Polen, Estland, Lettland und Litauen, in genau die Länder, zu denen Donald Trump im Wahlkampf gesagt hat: Wenn sie für die Sicherheit durch die USA nicht bezahlen, dann sollen sie doch selber dafür sorgen.
Ich glaube, dass diese Truppenverlegung ein richtiger Schritt ist.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Oh, oh!)
Offiziell soll die Verlegung ja dem Frieden und der Stabilität dienen. Aber in Wirklichkeit ist das nichts anderes, als dass man eine Rückversicherung gibt. Diese Rückversicherung ist einfach notwendig, und zwar nicht wegen der militärischen Bedrohung des Baltikums, wie einige behaupten, sondern es geht darum, den Zusammenhalt des gemeinsamen Europa innerhalb der NATO zu sichern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ach, darum geht es? Aha!)
– Darum geht es.
Das ist eine Antwort auf verschiedene Personen, die in diesen Tagen politisch aktiv sind. Das hat nichts oder wenig mit Aufrüstung zu tun. 4 000 Soldaten, das sind so viele Menschen, wie in Nikolausberg, einem Stadtteil von Göttingen, leben. Dass sich das größte Land der Welt davon bedroht fühlt, kann man nicht ernsthaft glauben.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Warum machen sie es denn dann?)
Wenn die USA 2 000 Fahrzeuge in Osteuropa parken, wird dies Osteuropa nicht sicherer und Russland nicht unsicherer machen.
Ich bin ja bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Linkspartei, wenn Sie sagen: Wir müssen alles tun, um die taktischen Atomwaffen abzuziehen; wir müssen alles tun, um wirklich zu Schritten nuklearer Abrüstung zu kommen. – Aber an dieser Stelle von Aufrüstung zu reden, heißt doch wirklich, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Es geht doch nicht nur um diese 4 000 Soldaten!)
Es geht um etwas anderes. Es geht darum, dass wir an der NATO-Russland-Grundakte stur festhalten, an dem, was wir mit Russland vereinbart haben. Das heißt: keine dauerhafte Stationierung.
(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Daher Rotation!)
Das heißt gleichzeitig, immer wieder den Dialog mit Russland zu suchen. Diese beiden Dinge gehören zusammen. Deswegen ist es richtig, dass Frank-Walter Steinmeier gesagt hat: Wenn man diese Dinge nicht zusammenhält, dann landet man beim Säbelrasseln. – Das war eine Kritik unter anderem an seiner Kabinettskollegin Ursula von der Leyen.
Aber das ist auch gleichzeitig eine Botschaft an viele unserer osteuropäischen Partner. Es ist unter der PiS-Regierung in Polen populär geworden, zu sagen: Wir verteidigen unsere Souveränität. – Die Wahrheit ist: Die polnische Souveränität wird sich genauso wie die lettische und übrigens auch die deutsche nur gemeinsam verteidigen lassen.
(Beifall des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das ist ein praktisches Dementi dieses Rückzugs auf den Nationalstaat, der so populär geworden ist in den Zeiten des Donald Trump.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Nur gemeinsam sind wir souverän. Deswegen ist das Wohl und Wehe von uns Europäern untrennbar miteinander verknüpft. Es geht um gemeinsame Sicherheit, um gemeinsame Freiheit und um gemeinsamen Wohlstand – dies nicht in Feindschaft, sondern in Partnerschaft mit unseren Nachbarn in Russland.
Ich glaube, dass es an der Zeit ist, dass wir uns diese politische Rückversicherung wirklich klarmachen. Denn glaubt man Donald Trumps Interviews, ist die NATO eine reine Geschäftsbeziehung. Sie wird nach Vorteilen und Nachteilen abgewogen.
Dahinter steckt noch eine weitere Überlegung. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, ist er der Auffassung – er hofft und er setzt darauf –, dass Europa auseinanderfällt. Ich verstehe das aus seiner Sicht. Wer die Welt sozusagen für eine einseitige Standortpolitik ausrichten will, freut sich natürlich darauf, wenn er es nur noch mit Staaten wie Mexiko zu tun hat und wenn er Tschechien, Italien und andere genauso behandeln kann. Das kann er mit einem politischen Organismus, einer politischen Entität wie der Europäischen Union mit 440 Millionen Bürgerinnen und Bürgern nach dem Brexit nicht tun. Deswegen müssen wir Europa und wir Europäer zusammenhalten. Das ist der Kern, um den wir an dieser Stelle streiten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)
Lassen Sie mich eine Schlussbemerkung machen. Ich sehe bei Donald Trump noch ein weiteres Motiv. Er möchte, dass wir mehr Geld für Rüstung ausgeben. Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Europa, die europäischen NATO-Mitglieder geben ungefähr dreimal so viel für Rüstung aus wie Russland. Ich sehe da keinen Bedarf.
Ich kann, ehrlich gesagt, nicht verstehen, dass innerhalb der Koalition an dieser Stelle Ruhe herrscht. Ich habe dieser Tage gehört, dass es einen Streit geben soll, wie man mit den Überschüssen aus dem Haushalt umgehen soll. Die einen waren für Investitionen – das finde ich eigentlich vernünftig –, die anderen waren für Schuldentilgung. Jetzt kommt Ursula von der Leyen in Davos mit der neuesten Idee. Sie möchte 24 Milliarden Euro – das ist der Betrag, der gebraucht würde, um das 2-Prozent-Ziel der NATO zu erreichen – zusätzlich in Rüstung stecken.
(Henning Otte [CDU/CSU]: Sehr richtig! Für Sicherheit! Für Stabilität! Für Frieden! Für Freiheit!)
Meine Damen und Herren, das schafft nicht mehr Sicherheit. Das schafft nicht mehr Zusammenhalt. Das schafft nur mehr Geldverschwendung. Deswegen sollten wir das unterlassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Hellmich für die SPD.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 212 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu den US-Truppenverlegungen nach Osteuropa |