19.01.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 212 / Tagesordnungspunkt 6

Jana SchimkeCDU/CSU - Rentenansprüche aus DDR-Beschäftigungszeiten

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute drei Anträge. Einer davon trägt den Titel „Renteneinheit verwirklichen – Lebensleistung anerkennen“. Ich finde, dieser Titel lässt schon sehr tief blicken. Wenn man das so liest, könnte man den Eindruck gewinnen, es gebe keine Einheit in Deutschland und die Rente sei ein Zustand von Ungerechtigkeit, den es schnellstmöglich zu beheben gelte. Das zieht sich – das ist auch unsere Beobachtung – schon immer, wohlgemerkt, durch alle rentenpolitischen Initiativen der Linken. Das betrifft eben nicht nur verschiedene Berufsgruppen aus Zeiten der DDR, sondern vor allen Dingen auch alle Rentne­rinnen und Rentner in Ost- und Westdeutschland. Das ist Ausdruck Ihrer Politik des Schlechtmachens, des Kleinredens. Sie wollen das, was wir erreicht haben, was wir auf den Weg gebracht haben, was wir geleistet haben, worauf wir zu Recht stolz sein dürfen, einfach mal unter den Teppich kehren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist so, dass es zu Zeiten der Wiedervereinigung gar nicht möglich war, die Rente in ganz Deutschland nach gleichen Maßstäben zu ermitteln. Die DDR war am Ende, und sie war heruntergewirtschaftet. Man hatte ein Land, eine Region, eine riesige Fläche mit vielen Menschen übernommen, wo Rentenansprüche natürlich erworben wurden. Aber die Frage war: Wo sind denn die Beiträge, die dem Ganzen gegenüberstehen? Woraus können die Renten letztendlich finanziert werden?

Man musste sich im Prinzip völlig neue Gedanken machen, wie man die Systeme dieser beiden Staaten und die Menschen miteinander vereint und zusammenführt. Es galt, zwei unterschiedliche Sozialversicherungssysteme miteinander in Einklang zu bringen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie schwierig es für die Sozialpolitikerinnen und Sozialpolitiker der damaligen Zeit gewesen sein muss, das wirklich in einem gerechten Maße abzubilden. Die größte Herausforderung lag wohl darin, Gerechtigkeit für die Menschen aus der ehemaligen DDR im neuen Recht bestmöglich zu verankern. Man muss bei all dem berücksichtigen, dass es natürlich darum ging, das Verständnis von Gerechtigkeit auch der Menschen in den alten Bundesländern zu wahren; denn das sind diejenigen, die das Ganze nicht nur damals, sondern auch heute maßgeblich finanziell mittragen. Ich bin der Überzeugung, dass dem mit dem Renten-Überleitungsgesetz Rechnung getragen wurde.

Wir diskutieren heute nicht nur das Thema der Rentenangleichung Ost und West – genauer genommen ist es eigentlich die Angleichung der Rentenwerte und nicht der Renten; auch das gehört zur Wahrheit –, sondern es geht heute natürlich auch einmal mehr um Berufsgruppen aus Zeiten der DDR, um Beschäftigte des Gesundheitswesens, um die Krankenschwestern, aber auch um die Beschäftigten in der Karbochemie. Wenn ich mich mit solchen Fällen intensiver auseinandersetze, natürlich auch mit den vielen anderen Berufsgruppen, die es in der DDR gab – sie gehören heute zu jenen, die ihre Ansprüche einfordern und klagen –, dann bin ich immer wieder erschrocken, wie der real existierende Sozialismus, wie die DDR mit ihren Beschäftigten umgegangen ist. Da wurde eine Besserstellung im Rentenrecht etabliert mit der Begründung, dass die Löhne so schlecht seien. Was ist das, bitte schön, für ein Verständnis von Gerechtigkeit, etwa hinsichtlich der Rente im Alter?

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ein gutes!)

Unser Recht heutzutage folgt der Auffassung, dass einer Rente immer auch Beiträge gegenüberstehen müssen. Das ist letztendlich die Herausforderung, die Schwierigkeit, die uns auch in dieser Debatte immer wieder begegnet, wenn wir diese Fälle diskutieren. Ich kann Ihnen wahrlich sagen, dass wir uns in den letzten Jahren sehr häufig und vor allen Dingen auch sehr intensiv mit diesen Schicksalen, mit diesen Menschen, diesen Berufsgruppen auseinandergesetzt haben. Aber es geht – das ist das Schwierige an Politik – eben nicht darum, die – möglicherweise berechtigten – Interessen Einzelner abzubilden, sondern es geht immer darum, das große Ganze im Blick zu haben, dafür geradezustehen und das zu verteidigen – und das auch 26 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung des Kollegen Birkwald?

Ich würde gerne erst einmal fortfahren, vielen Dank.

Gut.

Meine Damen und Herren, der Hochwertungsfaktor – das ist ein anderer Punkt im Bereich der Renten in Ost- und Westdeutschland, von dem natürlich insbesondere die Rentner in den neuen Ländern profitieren –, mit dem die ostdeutschen Löhne für die Berechnung der Rente heute hochgerechnet werden, ist eine Besonderheit der neuen Länder, von der die Menschen eben auch bis heute profitieren. Weil wir wissen, dass ein Zustand des Übergangs auch irgendwann beendet sein sollte, treibt uns natürlich um, wie wir solch eine Lösung vernünftig und generationengerecht umsetzen können – und das schon seit langem. Damit meine ich nicht das Wunschkonzert der Linken,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: „Wunschkonzert“! Ach, Frau Kollegin!)

sondern vernünftige Lösungen, die alle Menschen und alle Generationen in Deutschland im Blick behalten. Vielleicht ist das auch eine Erklärung dafür, warum die Schaffung einheitlicher Maßstäbe bei der Rentenberechnung in Ost und West zum nunmehr dritten Mal im Koalitionsvertrag steht.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Drittes Mal! Ein viertes Mal wird auch noch kommen!)

Auch das, denke ich, kann man an dieser Stelle einmal bemerken.

Ich denke aber auch, dass es an der Zeit ist, hier aktiv zu werden, aber nicht deshalb, weil es gilt, einen Zustand von Ungerechtigkeit zu beenden, so wie es von Ihnen immer wieder dargestellt wird, sondern weil es der Wunsch der Menschen ist. Die Rente ist ein Thema, das jeden in Deutschland bewegt. Ich glaube, es gibt nicht viele Themen, die mit so vielen Emotionen debattiert werden. Schließlich geht es um etwas, was jeden von uns betrifft. Rente ist nun einmal Ausdruck von geleisteter Arbeit und damit auch von Lebensleistung. So können sicher alle Abgeordneten – nicht nur die aus den neuen Bundesländern, sondern auch die aus den alten Bundesländern – bestätigen, dass die Frage der Rente in Ost und West Gegenstand vieler Gespräche ist.

Ich möchte an dieser Stelle aber auch eines einmal ganz deutlich sagen – das sage ich als jemand, der seine erste Legislatur im Deutschen Bundestag erlebt –: Ich finde es bedauerlich, dass es in den letzten 26 Jahren offenbar nicht ausreichend gelungen ist, den Menschen die Vorzüge und Vorteile des geltenden Rentenrechts zu verdeutlichen. Im Rentenwert Ost von aktuell 94,1 Prozent sehen einige leider bis heute nicht das, was er ist: eine statistische Größe, nicht mehr und nicht weniger. Zusammen mit anderen Faktoren wie dem Hochwertungsfaktor entsteht eine Rente, die 40 Jahre Misswirtschaft und einen maroden Staat eben nicht abbildet, sondern stattdessen für ein Rentnerdasein in Würde sorgt. Diese 94,1 Prozent werden leider nicht als etwas betrachtet, was wir gemeinsam in einem Akt höchster innerdeutscher Solidarität erreicht haben. Der Rentenwert Ost, meine Damen und Herren, wird zu Unrecht als Ausdruck von Diskriminierung gesehen, und daran trägt die Linke eine maßgebliche Mitverantwortung.

(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Haha! Geht’s noch?)

In Ihrem Antrag fordern Sie die Angleichung der Rentenwerte Ost und West in zwei Schritten in nicht einmal zwei Jahren. Dafür wollen Sie die Steuerzahler kurzfristig in Milliardenhöhe belasten.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach! Und Sie?)

Wenn das der Zeithorizont ist, mit dem Sie Politik betreiben, dann spricht das wahrlich nicht für Sie.

(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die 6 Milliarden können wir gleich rüberschieben! Das Geld ist doch da! – Zuruf von der CDU/CSU: Herr Schäuble will die Beitragszahler entlasten! – Gegenruf des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagt die Union! Sie belasten die Steuerzahler auch mit Ihren Plänen! Der generationengerechte Jens Spahn!)

Zeitgleich – das ist das Scheinheilige an Ihrem Vorschlag – sollen die Löhne für die Rente im Osten weiter künstlich hochgewertet werden, bis man in Ost- und Westdeutschland dasselbe verdient.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man lässt die westdeutschen Beitragszahler bluten!)

Ich glaube, jeder von Ihnen hat schon einmal etwas davon gehört, dass es Einkommensunterschiede nicht nur zwischen Ost und West gibt, sondern auch zwischen Nord und Süd und vielen Regionen. Das wird auch immer so sein. Die Welt ist bunt, und wir werden nie ein Land schaffen, in dem man überall dasselbe verdient. Es wird immer leistungsstarke und weniger leistungsstarke Regionen geben. Ich glaube, das Ideal, dem Sie hinterherlaufen, werden Sie nie erreichen, und das wird es nicht geben. Das kann auch nicht unser Ziel sein. Schon deshalb ist eine Beibehaltung des Hochwertungsfaktors nicht gerechtfertigt. Eine Vereinheitlichung rentenrechtlicher Unterschiede, die wir ja nun immer noch haben, muss deshalb auch mit der Abschaffung rentenrechtlicher Privilegien einhergehen.

(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das ist unsere Aufgabe, gleiche Wertigkeit zu schaffen!)

Es war immer klar, dass eine Angleichung natürlich auch den Abbau des Hochwertungsfaktors zur Folge hat; das muss man ganz klar sagen. Angleichung bedeutet nicht, dass man sich das Beste heraussucht und Unterschiede fortbestehen lässt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Hier dürften auch verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstehen, und deshalb lehnen wir diese Vorschläge ab.

Klar ist aber auch, dass eine Angleichung den ostdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht zum Nachteil gereichen darf. Sie profitieren aktuell noch vom Hochwertungsfaktor. Dass hier kein Nachteil entsteht, war immer ein Anliegen der Union und insbesondere auch der ostdeutschen CDU.

Es ist deshalb gut, dass jetzt ein Vorschlag auf dem Tisch liegt, der eine moderate Lösung vorschlägt. Es ist schon oft in der Presse diskutiert worden: Wir streben an, ab 2018 den Rentenwert in sieben Schritten zwischen Ost und West anzugleichen. Gleichzeitig wird der Hochwertungsfaktor zurückgefahren. Im Jahr 2025 soll dieser Prozess abgeschlossen sein. Wir haben dann ein bundeseinheitliches Rentenrecht – wenn Sie so wollen –, einheitliche Rahmenbedingungen in Ost- und Westdeutschland für die Ermittlung der Rente. Von einer längeren schrittweisen Angleichung profitieren die ostdeutschen Arbeitnehmer, da ihnen dann der Hochwertungsfaktor etwas länger erhalten bleibt. Zeitgleich erfahren die Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland eine Besserstellung durch die schrittweise Anhebung des Rentenwertes. Meine Damen und Herren, ich halte das für einen guten, einen diskutablen Vorschlag. Ich freue mich auf die anstehende Debatte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Schimke. – Das Wort zu einer Kurzintervention hat der Kollege Birkwald.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Der Birkwald hat keine Redezeit bekommen!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7061167
Wahlperiode 18
Sitzung 212
Tagesordnungspunkt Rentenansprüche aus DDR-Beschäftigungszeiten
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