Markus KurthDIE GRÜNEN - Rentenansprüche aus DDR-Beschäftigungszeiten
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Mauer zwischen Ost und West steht noch immer, nämlich die des Rentenrechts. Die Beharrungskräfte sind groß, und es ist viele Jahre nichts oder nur sehr wenig passiert. Und nun plant die Bundesregierung, diese letzte Mauer mit der Pinzette abzutragen, in sieben Schritten.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber so eine große!)
Wir, Bündnis 90/Die Grünen, wollen als Einzige nicht bis 35 Jahre nach der Wiedervereinigung warten, sondern sofort und denkbar einfach das Rentenrecht vereinheitlichen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es ist ganz leicht, es tut nicht weh: Anhebung des Rentenwerts Ost und der Beitragsbemessungsgrenze Ost auf Westniveau; in der Vergangenheit erworbene Rentenansprüche bleiben selbstverständlich unverändert, und an dem Stichtag, an dem die Rentenwerte angeglichen werden, wird dann folgerichtig die Höherwertung abgeschafft. Das ist natürlich in Teilen nicht ganz angenehm zu vermitteln; aber wir haben hier heute Morgen gehört, dass es zur Übernahme politischer Verantwortung gehört, auch unangenehmere Dinge mitzutragen.
Zumindest wären wir dann endlich diese Diskussion los, die immer wieder vor allem auf Betreiben der Fraktion Die Linke geführt wird. Demnach handelt es sich bei denjenigen, die östlich der Elbe wohnen, um zu kurz Gekommene, um 17 Millionen Verlierer, um quasi Geprellte.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So viele gibt es gar nicht mehr! Und sie sind auch nicht alle zu kurz gekommen!)
So ist es aber ausdrücklich nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das sagt doch keiner, Markus! Das weißt du doch!)
Das Gefälle bei den Löhnen, die Schwierigkeiten des Strukturwandels gerade in den neuen Bundesländern will doch wirklich niemand in Abrede stellen; da wären wir die Letzten. Ich sage nur: Wir müssen in allen Regionen in Deutschland die Stärken sehen – und die sind auch im Osten reichlich vorhanden –, aber wir müssen auch die Schwierigkeiten bestimmter Regionen und Gruppen sehen, und da gibt es auch in den neuen Bundesländern einiges zu tun. Das kann man nicht alles über das Rentenrecht, quasi als Tausendsassa, regeln. Das geht – 26 Jahre nach dem Mauerfall – nicht. Ihre Strategie, die Höherwertung so lange beizubehalten,
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Umrechnung, nicht Höherwertung!)
bis auch das letzte Nest im Strukturwandel das westdeutsche oder, besser noch, das baden-württembergische Lohnniveau erreicht hat,
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Polemik! – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das ist unseriös! Das ist wirklich eine unseriöse Argumentation!)
würde dazu führen, dass es bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag unterschiedliches Rentenrecht in Ost und West gäbe. So geht das nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das weißt du besser!)
Ein Euro, der in Wuppertal verdient wird, darf nicht weniger Rente bringen als ein Euro, der in Meißen, in Gera oder in Rostock verdient wird – das ist ganz klar. Wenn man schon mit Einkommensunterschieden und unterschiedlichen Rentenwerten anfängt, dann könnte man auf der Basis genauso sagen, dass es eine rentenrechtliche Höherwertung für Frauen geben müsste; denn auch sie haben seit Jahrzehnten ärgerlicherweise ein um 23 Prozent niedrigeres Lohnniveau.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Was mich allerdings wirklich ärgert, Frau Schimke, ist die Art und Weise, wie die Bundesregierung die Renteneinheit vollzieht, vor allen Dingen, wie sie sie finanziert. Wir reden von 15,7 Milliarden Euro bis 2024, die ganz überwiegend von den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern getragen werden, obwohl das eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe war und ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Sie brauchen das Wort „Generationengerechtigkeit“, das Sie sonst gerne von diesem Pult aus in jedem zweiten Satz in den Mund nehmen, nie wieder in den Mund zu nehmen. Auch Ihr berufsjugendlicher Finanzstaatssekretär Spahn braucht sich nicht mehr aus dem Fenster zu lehnen, wenn man den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern eine solche Belastung überhilft.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Sie haben schon mit der Finanzierung der Mütterrente die Rücklagen der Rentenkasse belastet. Dann hatten wir das Glück, dass die Konjunktur und die Beschäftigungslage so gut waren, dass wir keine völlig leeren Rentenkassen haben, dass wir doch wieder etwas Spielraum haben. Und was machen Sie? Die gerade wiedergewonnenen kleinen Spielräume werden sofort wieder verfrühstückt. Das hat mit nachhaltiger, zukunftsgerechter Politik überhaupt nichts zu tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In diesem Sinne sollten wir endlich die Dauerschleife von den zu kurz Gekommenen in der DDR durch eine einheitliche Regelung im Rentenrecht beenden. Wir sollten sie auf jeden Fall so finanzieren, wie es einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe gebührt, nämlich durch Steuern, und endlich über die Probleme des Strukturwandels in Ostdeutschland reden. Wir sollten auch über die Stärken der Region reden, damit wir sie nach vorne bringen. Das muss doch unser gemeinsames Ziel sein, anstatt hier vernebelnde Debatten zu führen.
Danke.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das sagt der Richtige! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Markus Kurth. – Es geht etwas ab hier! Lebendige Debatte! Aber das ist Parlamentarismus.
Nächste Rednerin: Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7061171 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 212 |
Tagesordnungspunkt | Rentenansprüche aus DDR-Beschäftigungszeiten |