Hiltrud LotzeSPD - Neuregelung des Bundesarchivrechts
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden.
Das hat der dänische Philosoph Søren Kierkegaard einmal gesagt.
Genau deswegen, weil wir vieles nur in der Rückschau verstehen oder zumindest besser verstehen, ist das Bundesarchiv mit seinem Hauptsitz in Koblenz von großer Bedeutung für die Erinnerung und Aufarbeitung unserer Geschichte. Es nimmt die Aufgaben eines Nationalarchivs wahr und ist das Gedächtnis unseres Staates.
Im Bundesarchiv werden Fotos, Filme, Urkunden, Akten, Karten und vieles mehr aufbewahrt, die bei zentralen Stellen des Heiligen Römischen Reiches, des Deutschen Bundes, des Deutschen Reiches, der Besatzungszonen, der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland entstanden sind. Darunter sind zum Beispiel die Kapitulationsurkunde der deutschen Truppen in Nordwestdeutschland in der Nähe von Lüneburg, also bei mir zu Hause, oder ein Schreiben des damaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion an Bundeskanzler Konrad Adenauer von Mai 1963 zum Ablauf des bevorstehenden Besuchs des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy in Deutschland. Da heißt es:
Wir haben kein Interesse daran, dass die Reise des amerikanischen Präsidenten überwiegend der Opposition zugutekommt.
Man befürchtete, dass der Regierende Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, die Beliebtheit des US-Präsidenten für sich nutzt. Das sind nur zwei kleine Beispiele für die vielen Unterlagen, die sich im Bundesarchiv finden lassen und die für Historiker, aber auch für uns ganz interessant sind.
Wie genau das Bundesarchiv beim Sammeln und Archivieren vorgeht, wird im Bundesarchivgesetz geregelt. Das stammt aus dem Jahre 1988. Deswegen ist eine Aktualisierung notwendig. Der vorgelegte Gesetzentwurf enthält einige gute und wichtige Punkte. Zum Beispiel werden bestimmte personenbezogene Schutzfristen verkürzt oder im Fall von Amtsträgern aufgehoben. Oder Archivgut, das Geheimhaltungsvorschriften des Bundes unterliegt, wird künftig nach 30 Jahren statt wie bisher erst nach 60 Jahren freigegeben.
Wir als SPD-Fraktion hatten auch einige Kritikpunkte. Viele davon wurden von den Experten im Fachgespräch im Kulturausschuss angesprochen. Drei möchte ich nennen.
Erstens, das Löschungssurrogat. Das Bundesarchiv hat auch die Aufgabe, Verwaltungshandeln nachvollziehbar und kontrollierbar zu machen. Deswegen geben die Behörden ihre Unterlagen an das Archiv ab. Das Bundesarchiv ist also eine Art Back-up-Lösung für Deutschland. Dafür muss das Archiv aber die Unterlagen auch erhalten, selbst wenn die Behörden sie eigentlich löschen würden. Die Anbietung und damit die Archivierungsoption geht der Löschung deswegen grundsätzlich vor. Das ist gemeint, wenn vom sogenannten Löschungssurrogat die Rede ist. Der von der BKM vorgelegte Gesetzentwurf enthält dieses Löschungssurrogat nicht. Wir bedauern das sehr und haben das in den Verhandlungen auch gesagt. Leider ist die BKM darauf nicht eingegangen. Damit ist der Entwurf unter seinen Möglichkeiten geblieben. Es ist wirklich bedauerlich, dass sowohl die Kolleginnen und Kollegen von der Union als auch die BKM hier nicht den Fachleuten gefolgt sind und sich nicht klar für ein Löschungssurrogat ausgesprochen haben. Wir haben deswegen über eine Liste von rund 40 Bundesgesetzen verhandelt, die einzeln auf eine Anbietungspflicht überprüft werden müssen. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Zweites Thema: Nachrichtendienste. Bei der Abgabe von Unterlagen der Nachrichtendienste stehen wir vor einem Zwiespalt. Einerseits brauchen wir Transparenz und Kontrolle von Behörden, andererseits wollen wir natürlich auch die Mitarbeiter sowie die Zusammenarbeit mit anderen Diensten und die Nachrichtenzugänge schützen. Hier konnten wir von der SPD einen sehr guten Kompromiss verhandeln. Die Unterlagen dürfen jetzt nur zurückbehalten werden, wenn es Ausnahmetatbestände gibt.
(Beifall bei der SPD)
Auch die Nachrichtendienste müssen ihre Unterlagen dem Bundesarchiv anbieten. Nur wenn die Ausnahmetatbestände vorliegen, wird die Abgabe aufgeschoben.
Dritter Punkt: Informationsfreiheitsgesetz. Der vorliegende Gesetzentwurf weitet den Zugang zu Unterlagen auf alle Informationszugangsgesetze aus. Das finden wir als SPD-Fraktion gut. Negativ am BKM-Entwurf war jedoch, dass nur noch diejenigen Unterlagen nicht mehr unter die archivrechtlichen Schutzfristen fallen, die bereits nach dem Informationsfreiheitsgesetz durch einen konkreten Antrag zugänglich gemacht worden waren. Also nur, wenn jemand die Unterlagen schon vorher angefordert hatte, sollten sie nicht mehr unter die Schutzfrist fallen. Das ist nicht nur unlogisch, sondern auch ein Rückschritt im Vergleich zur bisherigen Gesetzeslage.
Deswegen haben wir da erfolgreich über Nachbesserungen verhandelt. Der alte Rechtsstand konnte nicht nur wieder erreicht, sondern sogar ausgebaut werden. Aber genau darauf wird gleich mein Kollege Sebastian Hartmann in seiner Rede noch näher eingehen. Wir werden dem Gesetz zustimmen.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7061205 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 212 |
Tagesordnungspunkt | Neuregelung des Bundesarchivrechts |