19.01.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 212 / Tagesordnungspunkt 12

Karsten MöringCDU/CSU - Medikamentenrückstände in Gewässern

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Lebenserwartung ist heute höher denn je, und die moderne Medizin hat einen wesentlichen Anteil daran. Medikamente spielen eine entscheidende Rolle. Das hat Nebenwirkungen, und bekanntermaßen gilt: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.

Alles, was wir zu uns nehmen, scheiden wir auch wieder aus. Diesen Prozess nennt man herkömmlicherweise Stoffwechsel. Die Produkte dieses Stoffwechsels entsorgen wir in aller Regel in der Toilette. Für Arzneimittel aber gilt überwiegend, dass der Begriff „Stoffwechsel“ falsch ist; denn der Stoff wechselt nicht, er bleibt erhalten. Daraus ergibt sich eine Reihe von Problemen; denn viele dieser Pharmazeutika sind biologisch nicht oder nur sehr langsam abbaubar und können vielleicht auf dem Weg über die Nahrungskette oder auf irgendeine andere Weise Risiken und Nebenwirkungen entfalten, die nicht beabsichtigt sind. Sie belasten unser Abwasser, und knapp die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland weiß das nicht.

Die Toilette ist noch aus einem weiteren Grund – um mit Schiller zu sprechen – die hohle Gasse, durch die alles kommen muss.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Die Entsorgung alter, abgelaufener und überschüssiger Arzneimittel – Herr Lenkert hat das eben sehr anschaulich dargestellt – läuft in ganz erheblichem Umfang über die Toilette und landet auf diesem Weg im Abwasser. Dagegen hilft in der Tat Aufklärung. Aber in allen Ehren: Ihr Vertrauen in den Beipackzettel teile ich nicht.

(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Und die Packung!)

Wenn ich mein eigenes Verhalten Revue passieren lasse, stelle ich fest: Ich verlasse mich auf eine mündliche Auskunft vom Arzt oder Apotheker; aber den Beipackzettel lese ich nur in der größten Not. Auch die Verpackung ist relativ eng bedruckt. Wenn ich mir die Wirksamkeit der Aufdrucke auf den Zigarettenschachteln angucke, dann muss ich sagen: Mein Vertrauen sinkt auch hier ziemlich deutlich.

Nichtsdestotrotz müssen wir in das Bewusstsein der Leute bringen: Eine Entsorgung der Arzneimittel, die ich nicht verbrauche, erfolgt über den Hausmüll und die Müllverbrennung, notfalls über die Apotheke, nämlich dann, wenn sie noch will bzw. wenn wir keine anderen Entsorgungswege haben – es gibt überall Kommunen, die keine Müllverbrennungsanlage haben –, oder – das ist der dritte Weg – über die Schadstoffsammelstellen. Das ist natürlich der komplizierteste Weg, und das werden die wenigsten tun; da ist die Toilette attraktiver. Das muss aber in die Köpfe der Leute hinein. Daran müssen wir arbeiten.

Zum Glück können wir feststellen, dass eine Gesundheitsgefährdung aufgrund von Arzneimittelrückständen im Trinkwasser nach heutigem Kenntnisstand eigentlich ausgeschlossen ist. Die richtige Entsorgung wird aber vor dem Hintergrund, dass wir immer mehr Arzneimittel verbrauchen und diese Entwicklung aufgrund der Demografie auch nicht abnehmen wird, immer wichtiger. Deswegen ist es wichtig, dass wir diese Kenntnis unter die Leute bringen.

Ich bin den Grünen in gewisser Weise dankbar, dass sie in ihrem Antrag nicht „ein Verbot von …“ gefordert haben. Das ist manchmal ein Lieblingsweg der Grünen. Deswegen freue ich mich, dass dies hier nicht der Fall ist. Das Thema ist für Panikmache auch wirklich nicht geeignet. Wir müssen es im Konsens angehen, gerade weil es so viele informelle Aspekte gibt.

Für unsere Fraktion gilt, was wir schon bei der Fracking-Diskussion gesagt haben: Die Qualität und die Sicherheit von Wasser und Trinkwasser haben für uns oberste Priorität. Daran orientieren wir uns. – Das wollen wir erreichen. Wasser ist ein Gut, das geschützt, verteidigt und gut behandelt werden muss – keine Frage.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei meinen Recherchen bin ich auf eine Kleinigkeit gestoßen, die vielleicht mehr amüsant als wichtig ist; aber ich will sie Ihnen nicht vorenthalten. Laut Europäischem Drogenbericht, der kürzlich erschienen ist – im Dezember wurde darüber berichtet –, wurden in kommunalen Abwässern Kokain und Amphetamine nachgewiesen. Jetzt frage ich Sie: Wo vermuten Sie den höheren Anteil an Kokainrückständen im Abwasser? In München oder in Kampen? Sie werden sich wundern: Das Ergebnis ist Dortmund.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dortmund erreicht mit 421 Milligramm pro 1 000 Einwohner und Tag den absoluten Spitzenwert. München fällt dagegen mit 114 Milligramm deutlich ab.

(Dagmar Ziegler [SPD]: Die saufen auch mehr!)

Ich will diese Werte nicht interpretieren, aber ich wollte sie Ihnen auch nicht vorenthalten.

Die Alterung unserer Gesellschaft und die sehr begrüßenswerte medizinisch-technische Entwicklung führen, wie schon erwähnt, zu einem starken Anstieg des Medikamentenverbrauchs in den kommenden Jahren. In Deutschland werden in der Humanmedizin über 2 300 Arzneimittelwirkstoffe in geschätzten jährlichen Verbrauchsmengen von 30 000 Tonnen verkauft; ungefähr die Hälfte davon wird als potenziell umweltbelastend, als umweltrelevant eingestuft. Aktuelle Studien beweisen, dass viele Humanarzneimittelwirkstoffe in Oberflächengewässern, Grundwässern und Trinkwässern nachweisbar sind, zum Glück nur in geringer Konzentration. Die Trinkwasseraufbereitung ist aber nur mit erheblichem Aufwand möglich. Wenn es dazu kommen sollte, dass die Mengen größer werden, dann gilt der Satz: Dann wird es teuer. – Vorbeugen ist in jedem Fall besser als Nachsorgen. Was nicht in die Toilette kommt, kommt auch nicht ins Abwasser. Wir müssen also dafür sorgen, dass die Wirkstoffe gar nicht erst dort hineingeraten.

Wir haben noch einen weiteren Eintrag, den wir nicht außer Acht lassen sollten, nämlich den von Tierarzneimitteln. Ungefähr 1 600 Tonnen Antibiotika sind pro Jahr in der Tiermast in Deutschland auf dem Markt. Die gehen natürlich nicht über die Toilette in das kommunale Abwasser; aber sie gehen über den Boden – über die Weide oder über den Misthaufen auf dem Bauernhof, wenn es den noch gibt – auch in das Grundwasser. Kleiner Trost: Nur unter sehr ungünstigen Bedingungen landen diese Mengen im Trinkwasser, das wir nutzen, im Grundwasser, oder in den Oberflächengewässern. Insofern haben wir hier keine sehr große Gefahr.

Frau Lotze hat schon darauf hingewiesen, dass wir mit der Mikroschadstoffstrategie der Bundesregierung im Laufe dieses Jahres zu Ergebnissen kommen werden, bei denen das Problem, über das wir heute reden, nur einen Teil darstellt. Ich will erwähnen, dass es auch auf der europäischen Ebene eine entsprechende Strategieentwicklung gibt, deren Ergebnisse für den Herbst 2017 angekündigt sind. Ich denke, es macht Sinn, auf der Basis dieser Daten dann über die Frage nachzudenken, was wir machen sollen. So drängend ist das Problem nicht, dass wir es heute durch andere Maßnahmen lösen müssten.

Wir wissen aber, dass wir das Problem nur im Konsens vieler Beteiligter lösen können. Zu dem Konsens und zu der Beteiligung gehört auch die Beteiligung der Länder; denn auch die Länder, die ganz wesentlich in diesem Prozess mit ihren Regelungen gefragt sind, müssen einbezogen werden. Nun sind es aber gerade die Länder, die sagen, dass wir ein flächendeckendes Untersuchungsprogramm nicht brauchten, weil die Datengrundlage ausreichend sei und nicht wesentlich mehr Erkenntnisse aus einem solchen Programm zu gewinnen seien. Die Umweltministerkonferenz hat deswegen letztens zu Recht festgestellt, dass es – ich zitiere – „einer zwischen dem Bund und den Ländern abgestimmten Strategie zur Identifizierung und zur Priorisierung gewässerrelevanter Mikroschadstoffe bedarf“ und dass es „im Rahmen der gemeinsamen Strategie eines koordinierten Vorgehens beim Monitoring und Austausch von Ergebnissen … bedarf“.

Keine Frage: Der Eintrag von Medikamentenrückständen in Gewässer muss reduziert werden. Ich sehe eine Reihe von Ansatzmöglichkeiten, die wir dann im Laufe des Jahres 2017 in der nächsten Wahlperiode vertiefen müssen. Der Bund ist hier insgesamt auf einem guten Weg. Deswegen brauchen wir den Grünenantrag zum heutigen Zeitpunkt nicht intensiver zu bearbeiten. Wir lehnen ihn ab. Aber wir wissen: Das Thema bleibt auf der Tagesordnung.

Zu Aktionismus besteht kein Anlass. Ein kurzes Beispiel: Um über Trinkwasser die Wirkdosis einer Aspirintablette aufzunehmen, müsste der Mensch fast 7 000 Jahre lang jeden Tag 2 Liter Trinkwasser trinken. Das sind Daten des BDEW. Ich schließe mich deswegen zum Schluss dem Urteil der NRW-Grünen an, die auf einer gemeinsamen Konferenz der Kreistagsfraktion in Coesfeld mit dem nordrhein-westfälischen Umweltminister Remmel festgestellt haben: Eine akute Gefahr für unser Trinkwasser ist derzeit nicht zu erkennen. – Das soll uns nicht einschläfern. Wir vermeiden Schlaftabletten. Das Thema bleibt auf der Tagesordnung, es kommt wieder.

Die letzten 38 Sekunden Lebenszeit schenke ich Ihnen jetzt und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Wie großzügig!)

Herzlichen Dank. – Das Wort hat der Kollege Peter Meiwald für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7061476
Wahlperiode 18
Sitzung 212
Tagesordnungspunkt Medikamentenrückstände in Gewässern
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