Axel SchäferSPD - Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2017
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wichtigste ist, dass wir heute das Arbeitsprogramm der EU-Kommission hier im Deutschen Bundestag diskutieren; denn damit zeigen wir: Wir sind ein Teil dieses Europa. Europa ist nicht irgendetwas Fernes in Brüssel, sondern es gehört zu uns. Wir wollen dies gemeinsam mit der Kommission, mit dem Europäischen Parlament und mit dem Rat als Deutsche zum Erfolg bringen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zu meinen Vorrednerinnen und Vorrednern nur zwei Bemerkungen. Frau Groden-Kranich, Sie haben den neuen Präsidenten des Europäischen Parlaments, den früheren Pressesprecher von Silvio Berlusconi, gelobt. Der Maßstab ist Martin Schulz. Wir werden genau schauen, was in den nächsten Jahren passiert, ob das Europäische Parlament eine Stimme, ein Gesicht und eine Macht auch nach außen hat, um gemeinsame Interessen zu vertreten, damit Europa auch zur Geltung kommt, oder ob der neue Präsident nur ein Zeremonienmeister wird.
(Beifall bei der SPD)
Herr Kollege Gysi, Sie haben eine Reihe von Dingen angesprochen, deren Melodie in etwa so klang: Die EU ist unsolidarisch, die EU ist dieses oder ist jenes. – Wir können über all das diskutieren. Aber wie Sie es intoniert haben, war falsch. Die EU, das sind wir. Die EU, das sind eben nicht nur die 28 Mitgliedstaaten, das sind auch die Fraktionen im Europäischen Parlament, das sind auch wir hier im Bundestag. Wir werden in diesem Jahr eine andere Diskussion führen müssen. Wir dürfen bei nationalen Problemen, die zu lösen wir nicht in der Lage sind – wir könnten hier sehr, sehr lange über die Türkei reden –, nicht mehr sagen: „Oh, die EU-Kommission ist schuld“ oder: „Macht ihr mal dort“, weil wir uns selbst unserer Verantwortung nicht stellen. Die Bürgerinnen und Bürger akzeptieren Europa dann nicht. Sie stehen nicht zu diesem gemeinsamen Europa, wenn wir hier so tun: Unser Land macht alles richtig, und wenn etwas schiefgeht, ist Brüssel schuld. – Das führt zu Europaverdrossenheit. Es sollte Anspruch jeder Partei, jeder Fraktion, egal ob Regierung oder Opposition, in diesem Parlament sein, das eben nicht zu machen. Wir dürfen die Verantwortung, die wir gemeinsam wahrnehmen müssen, nicht irgendwo anders hinschieben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es geht heute nur noch zum Teil um die Frage: Haben wir mehr eine christdemokratische oder mehr eine linksorientierte, eine grüne, liberale oder – das wäre am besten – sozialdemokratische Politik? Darum geht es auch. Es geht aber heute in Europa vor allem um die Existenz. Wir müssen uns, wenn es um die Existenz geht, unserer Verantwortung bewusst werden. Tucholsky hat vor über 80 Jahren geschrieben:
Da liegt Europa. Wie sieht es aus?
Wie ein bunt angestrichnes Irrenhaus.
...
Die Neuzeit tanzt als Mittelalter.
Die Nation ist das achte Sakrament –!
Gott segne diesen Kontinent.
Wir wissen, was in den 30er-Jahren passiert ist. Wir sind heute in einer Situation, in der Nationalismus nicht mehr nur irgendeine Meinung ist, ein Irrtum, der auf einen Irrweg führt, aber der in einem Irrsinn endet. Vielmehr geht es um die Existenz dessen, was wir alle uns in unterschiedlichen Parteien und Fraktionen gemeinsam versprochen haben, nämlich dass das wichtigste nationale Interesse die europäische Einheit ist. Wir sind heute in der Gefahr, statt in Vielfalt geeint in Einfalt geteilt zu werden.
Deshalb wird es wichtig sein, was wir dagegenhalten und wie wir es dagegenhalten. Es gibt keinen Grund, sich für irgendeine Entscheidung in Europa zu entschuldigen, die demokratisch legitimiert durch das Parlament und den Rat und vorbereitet von der Kommission war und am besten noch verfassungsrechtlich in 28 Mitgliedstaaten abgesegnet war. Es gibt viele Gründe für Kritik. Man kann Frau Mogherini kritisieren; dies aber eher weniger. Man kann auch den Kollegen Oettinger kritisieren; ich lobe ihn manchmal. Aber es muss immer deutlich werden, dass es um Politik geht, dass es nicht um die Gemeinschaftsidee, dass es nicht um Institutionen geht.
Heute erleben wir einen Versuch von rechts, Europa zu zerstören. Es heißt: Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht. – Der Internationale der Nationalisten, die sich am Wochenende leider hier in Deutschland zusammenfinden wollen, müssen wir etwas Starkes entgegensetzen. Zum Beispiel haben alle Christdemokraten, alle Grünen, alle Linken und Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sowieso in diesem Parlament gesagt: Wir sind gegen den Brexit. Wir sind gegen Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit. – Das muss auch in dieser Woche deutlich in Richtung dieser Konferenz gesagt werden. Es geht nicht mehr in erster Linie um Parteipolitik, sondern es geht um unsere gemeinsame Existenz in Europa; denn sie steht auf dem Spiel. Dieser Anforderung müssen wir auch gemeinsam gerecht werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nationalismus ist nicht einfach nur irgendetwas Schlimmes, das passieren kann. Nationalismus ist der Triebsatz, den wir jeden Tag erleben. Er wird von Fremdenfeindlichkeit gespeist, trägt den Hass in die Herzen und zerstört die christlich, islamisch, jüdisch, kulturell geprägte Nächstenliebe.
Dem müssen wir uns entgegenstellen. Wir müssen es auch in einer anderen Weise machen. Es ist nicht irgendeine andere Haltung. Das hat Herr Höcke gezeigt. Hier geht es um ein Verbrechen. Am Ende des Nationalismus steht nicht irgendeine Politik in Europa, sondern Krieg. Diese Dimension müssen wir deutlich machen.
Wir werden den Frieden nur erhalten, wenn wir es bei uns tun und wenn wir gemeinsam für das stehen, was unsere Verfassung uns auch aufgegeben hat. Wir wollen als Deutsche gleichberechtigt in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen. So soll es sein.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wolfgang Strengmann-Kuhn hat nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7061575 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 213 |
Tagesordnungspunkt | Arbeitsprogramm der EU-Kommission 2017 |