Michael Roth - Ausbildungsunterstützung der Bundeswehr im Irak
Guten Tag, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich Diplomat wäre, Herr van Aken – ich bin es nicht –, würde ich sagen: Ihre Rede war ein wenig unterkomplex.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
Da ich aber Politiker bin, muss ich sagen: Ihre Rede war unterirdisch,
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Weil Sie sie nicht verstanden haben!)
weil Sie den Eindruck erweckt hat, dass der Deutsche Bundestag seiner Verantwortung bislang nicht gerecht geworden ist.
(Jan van Aken [DIE LINKE]: Ist er nicht! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die Mehrheit zumindest nicht!)
Ich kann mich an keine Debatte erinnern – diese liegt ja nun schon einige Zeit zurück –, die derart emotional und auch derart kritisch und verantwortungsbewusst geführt wurde. Wir waren uns doch in allen Fraktionen darüber einig, dass dies ein ganz besonderer und in unserer Geschichte bislang einzigartiger Fall ist und wir selbstverständlich um die dramatischen Risiken wissen. Ich kann nicht nur für meine Fraktion, sondern sicherlich auch für viele, viele andere Kolleginnen und Kollegen – auch vor dem Hintergrund ihrer eigenen Verantwortung und ihrer eigenen Expertise – sagen: Wir haben es uns nicht leicht gemacht.
Herr van Aken, Sie haben eine zentrale Frage nicht beantwortet: Was wäre denn passiert, wenn wir nicht so entschieden hätten?
(Rainer Arnold [SPD]: Dann gäbe es keinen Irak mehr! – Gegenruf des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ganz genau! – Weiterer Gegenruf des Abg. Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist die richtige Antwort!)
Wo ist denn Ihre Strategie im Umgang mit den Schlächtern und Barbaren der Terrororganisation „Islamischer Staat“?
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Jan van Aken [DIE LINKE]: Geben Sie mir fünf Minuten!)
„Tut doch endlich etwas!“ – das war der Ruf, der uns allen immer noch in den Ohren liegt.
(Jan van Aken [DIE LINKE]: Tut das Richtige!)
Ich hörte ihn in den Medien, in Bürgergesprächen und zugegebenermaßen auch bei mir zu Hause am Familientisch. Die Bilder, die sich mir und vielen anderen ins Gedächtnis eingeprägt, eingebrannt haben, haben auch bei uns in Deutschland zu großer Emotionalität geführt.
(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht aber nicht!)
Wir haben uns zu einer Sondersitzung zusammengefunden – nicht nur, weil es so sein muss, sondern auch, weil es wichtig war –, um diese Entscheidung sehr offen zu treffen. Ich befinde mich nicht in der kritischen Auseinandersetzung mit Ihnen, weil Sie Argumente dagegen vorgetragen haben; teilweise kennen wir sie ja. Was ich Ihnen aber vorwerfe, ist, dass Sie keine Alternativen aufzeigen
(Jan van Aken [DIE LINKE]: Doch!)
und sich hier in kollektive Verantwortungslosigkeit begeben. Eine solche kollektive Verantwortungslosigkeit mag für eine Oppositionspartei wie die Linke möglich sein. Aber sie kann nicht für Parteien und erst recht nicht für eine Regierung in Betracht kommen, die Verantwortung für ein Land und Verantwortung für den internationalen Frieden übernommen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Es gab damals zwei Optionen, die wir debattiert haben. Die erste Option war, Waffen und militärische Ausrüstung an die kurdischen Peschmerga zu liefern. Viele von uns haben damals mit ihrem Gewissen gerungen: Ist es das wert? Können wir das verantworten? Die zweite Option war, sich auf rein humanitäre Unterstützung zu beschränken und damit das weitere Erstarken einer menschenverachtenden Terrormiliz und das Versinken einer ganzen Region in Blut und Chaos zu riskieren.
Einige Monate später, fast auf den Tag genau vor zwei Jahren, haben wir hier im Bundestag beschlossen, zusätzlich zur militärischen Ausbildung auch deutsche Soldatinnen und Soldaten in den Nordirak zu entsenden, um die Sicherheitskräfte auszubilden. Ich erinnere mich gut: Auch das waren keine einfachen Debatten und schon gar keine einfachen Entscheidungen. Aber da kann ich mich nur der Kollegin Frau von der Leyen und weiteren Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, aber auch aus der Mitte der Grünenfraktion anschließen: Wir haben damals richtig entschieden; denn der Vormarsch des „Islamischen Staates“ konnte vorerst gestoppt werden.
Die Terrororganisation hat etwa die Hälfte der von ihr kontrollierten Gebiete im Irak verloren. Vor allem im Norden des Irak ist es den kurdischen Sicherheitskräften und den Regierungstruppen mit Unterstützung der internationalen Allianz gelungen, den IS in die Defensive zu drängen. Das bestätigt doch unseren Kurs. Der Ansatz, die irakischen Sicherheitskräfte durch Ausbildung und Ausrüstung zum Kampf gegen den IS zu befähigen, ist wirksam. Auch dank unserer Unterstützung konnten viele Menschen von der Schreckensherrschaft der Terrormiliz befreit und unzählige Menschenleben gerettet werden, und Zehntausende Vertriebene konnten in ihre Heimat zurückkehren. Das war es wert – trotz der Risiken, die ich überhaupt nicht vernachlässigen möchte.
Den Bitten der irakischen Regierung und den wiederholten Aufrufen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sind wir damals gefolgt. Gemeinsam mit unseren internationalen Partnern haben wir seit Februar 2015 12 000 Sicherheitskräfte ausgebildet.
Frau Ministerin von der Leyen sprach schon davon: Es geht dabei um einen sogenannten inklusiven Ansatz. Er war uns von Anfang an wichtig. Denn es ging nicht nur um militärische Ausrüstung und um Ausbildung, sondern es geht um viel mehr. Wir haben dafür auch Anerkennung und Dank unserer kurdischen und zentralirakischen Partner erfahren. Klar ist aber auch: Wir werden noch einen langen Atem brauchen, bis im Irak dauerhaft wieder Stabilität und Frieden einkehren.
Wir rechnen auch nicht mit einer raschen Befreiung Mosuls; darüber ist schon gesprochen worden. Im Großraum Mosul sind derzeit über 162 000 Menschen auf der Flucht vor den Gefechten. Noch ist es möglich, die humanitäre Versorgung dieser Menschen zu garantieren. Auch konnten bislang rund 20 000 Menschen wieder in Teile des südlichen Mosuls und die Vororte zurückkehren, weil die Sicherheitslage dies ermöglicht hat.
Die militärische Komponente ist nur das eine. Aber sie ist der erste und wichtigste Schritt. Wichtig ist nun aber auch, die befreiten Gebiete dauerhaft zu stabilisieren, damit die vielen Binnenvertriebenen wieder in ihre Heimat zurückkehren und ein normales Leben führen können. Trotz schwieriger Bedingungen ist dies beispielsweise in Ramadi und Falludscha auf einem guten Wege. Deshalb arbeiten wir nicht nur an dieser militärischen Komponente, sondern wir arbeiten auch daran, dass die Menschen eine wirtschaftliche und eine soziale Perspektive in ihrer Heimat haben. Nur wenn es uns gelingt, den Menschen im Irak eine sichere Bleibeperspektive in ihrer Heimat zu eröffnen, wird auch die Zahl derer abnehmen, die einen sehr gefahrvollen Weg auf sich nehmen, um ein Leben in Frieden und in Sicherheit zu finden.
Angesichts der gewaltigen Zerstörungen ist dieser Bedarf in allen befreiten Gebieten immens. Es geht dabei um die Grundversorgung mit Strom, Wasser und Gesundheitseinrichtungen.
In der öffentlichen Debatte kommt mir die Gefahr für die Bevölkerung etwas zu kurz, die von Mienen und Sprengfallen ausgeht. Auch hierbei sind wir konkret aktiv.
Wir haben im Jahr 2016 die Stabilisierung mit 41 Millionen Euro unterstützt. Wir werden das in diesem Jahr unvermindert fortsetzen. Wir wollen die staatlichen Strukturen in den vom IS befreiten Gebieten stärken. Wir wollen vor allem aber auch zur Versöhnung beitragen. Das ist dieser inklusive Ansatz, von dem die Kolleginnen und Kollegen schon gesprochen haben, Herr van Aken. Denn sie ist die Voraussetzung für den Frieden. Beispielhaft nenne ich unser Engagement in der Arbeitsgruppe Stabilisierung der internationalen Koalition gegen den IS, in der wir gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten den Kovorsitz übernommen haben.
Dann möchte ich für die humanitäre Hilfe werben; denn ich weiß, dass es ohne Ihre Unterstützung, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht ginge. Denn Sie stellen uns die Finanzmittel im Haushalt zur Verfügung. Wir haben im Jahr 2016 rund 119 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Der Irak bleibt auch in diesem Jahr der Schwerpunkt der humanitären Hilfe der Bundesregierung. Wir haben auf der Washingtoner Geberkonferenz im Juli vergangenen Jahres für dieses Jahr noch einmal 60 Millionen Euro zugesagt. Das ist die Voraussetzung dafür, humanitäre Hilfe zu leisten und die Menschen mit Wasser sowie mit Nahrungsmitteln zu versorgen.
Es gibt noch zwei weitere Schwerpunkte, bei denen Deutschland besondere Verantwortung übernommen hat. Wenn ich von „Deutschland“ rede, meine ich natürlich unsere Hilfsorganisationen. Das sind die medizinische Versorgung und die psychosoziale Betreuung der Opfer von Krieg und Vertreibung. Nur wenn die tiefen Wunden der Traumatisierung heilen, können wir verhindern, dass eine ganze Generation den Teufelskreis aus Hass und Gewalt endlos wiederholt. Es ist so unendlich wichtig, was dort viele Expertinnen und Experten täglich leisten. Ich bin froh, dass wir dazu einen Beitrag zu leisten vermögen.
Die eigentliche zivile Stabilisierungsarbeit kann aber erst beginnen, wenn die Sicherheitslage dies zulässt. Da bin ich wieder bei der militärischen Komponente, die wir nicht außer Acht lassen dürfen. Deshalb ist der umfassende und vernetzte Ansatz sehr wichtig: die Unterstützung bei der Ausbildung und unser Engagement in den Bereichen Stabilisierung, Wiederaufbau, humanitäre Hilfe, langfristige Entwicklungszusammenarbeit und natürlich auch Diplomatie. Das alles greift ineinander. Da kann man nicht, wie Sie das seit Jahren beharrlich tun, eine wesentliche, aber nicht die einzige Komponente, einfach so herausnehmen. Alles gehört zusammen.
Die Bundesregierung lässt sich von folgender Überzeugung leiten: Letztendlich – da sind wir vermutlich wieder einer Meinung, Herr van Aken – kann es nur eine politische Lösung der Krisen im Nahen und Mittleren Osten geben. Daher unterstützen wir die Initiativen, die von der irakischen Regierung unter Ministerpräsident al-Abadi ausgehen und die dazu beitragen, dass alle politisch Verantwortlichen am Prozess teilhaben. Denn: Je stärker der irakische Staat ist, desto mehr schwächt das Daesh. Gerade deshalb tragen wir in dieser Region Verantwortung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich noch einmal bei Ihnen bedanken, dass Sie dieses Mandat so konstruktiv und generös begleiten. Mein besonderer Dank und Respekt gilt aber auch den Soldatinnen und Soldaten, die in den vergangenen zwei Jahren die Ausbildung in der Region Kurdistan-Nordirak oftmals unter ganz schwierigen Bedingungen aufgebaut und damit einen erfolgreichen Beitrag Deutschlands im internationalen Kampf gegen den IS geleistet haben.
Ich danke ganz besonders den Expertinnen und Experten der Hilfsorganisationen, die eine humanitär beachtliche Arbeit für uns alle und für die internationale Gemeinschaft leisten. Deshalb bitte ich Sie aus voller Überzeugung um Ihre Unterstützung, dieses Mandat um ein weiteres Jahr zu verlängern. Die Menschen in der Region erwarten von uns, dass wir sie nicht im Stich lassen, sondern sie in ihrem Kampf um Menschenwürde und Freiheit weiterhin unterstützen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Omid Nouripour.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7061611 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 213 |
Tagesordnungspunkt | Ausbildungsunterstützung der Bundeswehr im Irak |