20.01.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 213 / Tagesordnungspunkt 24

Susanna KarawanskijDIE LINKE - Zulassungspflicht für Finanzprodukte

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Eine Frage: Würden Sie mit ihren Kindern oder Enkeln auf den Rummel gehen und Riesenrad fahren, wenn Sie wüssten, dass das Gerüst nicht zugelassen ist oder es nicht den Sicherheitsvorschriften entspricht? Oder würden Sie eine Kopfschmerztablette einnehmen, wenn Sie nicht wüssten, dass das Medikament auch zugelassen ist?

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein!)

– Genau, würden Sie nicht. Ich würde es auch nicht machen.

Aber die Eltern, die Mütter, die für ihre Kinder etwas Geld anlegen wollen, und die baldigen Ruheständler, die Geld für die ruhigeren Tage zurücklegen wollen, sind am Finanzmarkt auf sich selber gestellt.

(Manfred Zöllmer [SPD]: Das kann man nicht vergleichen!)

Denn da gilt: Alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt. Fast jede Bank kann ein noch so komplexes Produkt auf den Markt bringen und verkaufen. So wird der Finanzmarkt tagtäglich mit einer wirklich unüberschaubaren Anzahl von Finanzprodukten überschwemmt, und das Ganze wird damit immer unbeherrschbarer.

Die fortwährende Finanzkrise, mit der wir es zu tun haben, hat sich unter anderem gerade auch wegen der komplexen Finanzinstrumente und ihrer völlig falsch eingeschätzten Werthaltigkeit über den Globus ausgebreitet.

Die Verbraucherinnen und Verbraucher können keinen Durchblick behalten und tappen dann schnell in die Falle. Sie kaufen ein Produkt, das ihren Risikoneigungen überhaupt nicht entspricht. Auch der Gang zu einem Finanzberater schafft nicht wirklich Abhilfe; denn er kann auch nur sehr schwer einschätzen, mit welchem Risiko die Geldanlagen tatsächlich behaftet sind. Außerdem berät er meistens auch mit Blick auf eine zu erwartende Provision und damit eben nicht immer hundertprozentig verbrauchergerecht.

Nach unterschiedlichen Schätzungen verlieren die Bundesbürger jährlich bis zu 98 Milliarden Euro wegen – meist auf der Erwartung von Provision basierender – Falschberatung bei Abschluss von Kapitalanlagen. Bei Prokon – ich denke, der Skandal dürfte Ihnen noch in Erinnerung sein – haben die 75 000 Anlegerinnen und Anleger durch angeblich sichere Genussrechte bislang etwa 1,4 Milliarden Euro verloren.

Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland besitzen ungefähr 90 Millionen Lebensversicherungsverträge, und die Anbieter von Lebensversicherungen haben einen Kapitalanlagebestand von gut 885 Milliarden Euro. Ist es angesichts solcher Zahlen nicht völlig absurd, dass niemand prüft, ob die Anleihe, das Derivat oder das Zertifikat den Verbraucherinnen und Verbrauchern, den Rentenversicherungen, den Lebensversicherungen oder sogar der Volkswirtschaft gefährlich werden kann?

(Beifall bei der LINKEN – Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist doch Blödsinn! Selbstverständlich wird das gemacht!)

– Ja, in der Vergangenheit wurden Instrumente geschaffen, um die Verbraucherinnen und Verbraucher zu schützen.

(Manfred Zöllmer [SPD]: Ja, stimmt!)

Die Finanzaufsicht prüft vorab aber lediglich formal, ob die Prospekte für ein neues Produkt vollständig und damit kohärent sind.

(Manfred Zöllmer [SPD]: Nein, das stimmt nicht!)

Sie prüft nicht inhaltlich. Somit kommt tatsächlich gefährlicher Finanzschrott auf den Markt.

Es gibt die Möglichkeit der sogenannten Produktintervention, und es gibt die Marktwächter Finanzen. Sie werden aber höchstens im Nachhinein tätig,

(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Das stimmt alles nicht!)

was bedeutet, dass sie sich erst dann inhaltlich mit einem Finanzprodukt auseinandersetzen, nachdem das Produkt auf den Markt gekommen ist und schon entsprechende Schäden bei den Anlegern angerichtet hat.

Das ist für uns nicht ausreichend. Wir als Linke fordern eine Verfahrensumkehr und einen Finanz-TÜV.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Gegensatz zum derzeitigen Zustand wollen wir nämlich, dass zukünftig jedes Finanzprodukt ausdrücklich durch qualifizierte Fachleute zugelassen wird, bevor es auf den Markt kommt.

Beim Finanz-TÜV geht es um eine präventive Regulierung nach dem Vorsorgeprinzip, damit die Märkte nicht weiter mit Finanzschrott geflutet werden können und die Finanzbranche nicht weiter sehr kreativ bestehende Regulierungen umgehen kann, wodurch vor allen Dingen ungeeignete Produkte in die Hände von Kleinanlegern kommen.

(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Das ist sehr einseitig!)

Durch die ausdrückliche Erstzulassung von Finanzinstrumenten, Finanzmarktakteuren und -praktiken sollen die Märkte entsprechend entschlackt und systemische Risiken minimiert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Zudem sollen entsprechend transparente, einfache, kostengünstige, risikobeherrschbare Finanzprodukte auf den Markt kommen und gleichzeitig schädliche Geldanlagen herausgefiltert werden, damit Anlagepleiten vermieden werden können.

Klar ist, dass ein solcher Finanz-TÜV auf europäischer Ebene – am besten bei der ESMA – etabliert werden sollte, weil es überhaupt nichts nützt, wenn ein Finanzprodukt in Deutschland verboten ist, in Belgien aber zugelassen wird.

(Manfred Zöllmer [SPD]: Wie viele Millionen Produkte gibt es?)

Um es an dieser Stelle aber ganz deutlich zu sagen: Wir wollen kein Verbot von Kapitalanlagen jenseits des Sparbuchs. Das ist nicht unser Anliegen. Wer zocken will, soll das gerne auch weiterhin tun können. Aktien und andere riskante Produkte sollen auch weiterhin in die Hände von Kleinanlegern gelangen können, solange sie transparent und seriös sind. Eine Zulassung durch den Finanz-TÜV soll eben nicht wie ein Unbedenklichkeitssiegel wirken, das zum Beispiel sagt, dass dadurch Verluste ausgeschlossen sind. Sie verklagen ja auch nicht einen Fönhersteller, weil ihre Haare nicht schnell genug trocken werden, oder einen Autohersteller, weil Sie mit dem Fahrzeug zu schnell gefahren sind.

(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Das ist ein Quatsch!)

Zum Abschluss möchte ich noch etwas zur Finanzierung des Finanz-TÜVs sagen. Die Prüfung durch ausreichend qualifiziertes Personal kostet zwangsläufig Geld. Mit zunehmender Komplexität eines Produkts wird die Prüfung immer mehr kosten; das ist klar. Wir haben dabei folgenden grundlegenden Gedanken: Die Herausgeber der Finanzinstrumente zahlen für die Prüfung entsprechend dem Prüfaufwand. Ich denke, dass allein dadurch die Finanzprodukte zwangsläufig ein bisschen vereinfacht werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Der vorliegende Antrag greift unsere Kernforderungen zum Finanz-TÜV auf. Ich kann Ihnen nur wärmstens empfehlen, innerhalb der parlamentarischen Beratungen auch unser umfassendes Konzeptpapier dazu durchzulesen. Vielen Menschen, die für das Alter vorsorgen wollen, können Sie durch die Annahme unseres Vorschlags Enttäuschungen ersparen. Gerade in einem Wahljahr wie diesem sollte es in Ihrem Interesse liegen, die Menschen ins Zentrum zu rücken und nicht die Finanzmarktlobby.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Frank Steffel, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7061799
Wahlperiode 18
Sitzung 213
Tagesordnungspunkt Zulassungspflicht für Finanzprodukte
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