Hans-Peter Bartels - Jahresbericht 2015 des Wehrbeauftragten
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Abgabe meines Jahresberichts für 2015 ist einiges geschehen: auf der Weltbühne noch mehr Risiken, noch mehr Unberechenbarkeit, noch mehr Erwartungen an Deutschland und in der deutschen Politik ein sehr breites Bekenntnis zur gewachsenen Verantwortung und zur Stärkung der Bundeswehr. Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen die Mittel bekommen – personell, materiell, finanziell –, die sie brauchen, um ihre zunehmenden und sehr unterschiedlichen Aufträge gut erfüllen zu können.
Ich freue mich, dass das Parlament hier in wichtigen Bereichen der Antreiber ist – Stichwort „materielle Vollausstattung“ –, aber auch bei Fragen der Attraktivität – Stichwort „Trennungsgeld/UKV“. Außerdem gibt es Fortschritte beim Dauerthema Radaropfer. Der Begriff „Parlamentsarmee“ wird hier sehr gut mit Inhalt gefüllt. Es geht eben nicht nur um die Beschlussfassung über Auslandseinsätze, sondern ganz grundsätzlich um Verantwortung für die Soldatinnen und Soldaten. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Im letzten Bericht hatte ich unter anderem die Personalausstattung unserer Flugabwehrraketenkräfte thematisiert. Die Einsatzintervalle bei Active Fence in der Türkei waren für viele Soldatinnen und Soldaten zu kurz. Es gab zu wenig Regeneration, zu wenig Personal. Wenn ich jetzt in der „Trendwende Personal“ lese, dass das FlaRak-Geschwader künftig um 400 Dienstposten aufgestockt wird, macht mich das froh. Die Richtung stimmt. Hoffentlich kommt das Personal auch, und zwar bald.
Personalgewinnung, Personalbindung und Attraktivität – das zusammen ist ein Riesenthema. Die dazu im letzten Jahr beschlossenen Verbesserungen sind alle nützlich. Aber viele Bestandssoldaten – Portepee-Unteroffiziere, Fachdienstoffiziere – sagen, dass sie noch nichts von verbesserter Attraktivität merken. Woran liegt das? Sollten wir uns hier nicht noch einmal zusätzliche Gedanken machen? Ganz gewiss spielt für die Attraktivität des Dienstes das Schließen der materiellen und personellen Lücken eine zentrale Rolle. Das ist militärischer Kernbereich. Dazu kommen die Belastungen des Pendelns für sehr viele Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien sowie die Unsicherheit über Verwendung, Versetzung, Beförderung und letztlich die Dauer der Dienstzeit. Altersgrenzen vertragen keine Spekulationen. Soldaten wollen Planungssicherheit.
Eine besondere Aktivität, die 2015 begonnen hat, läuft jetzt aus. Das ist die Flüchtlingshilfe. Im nächsten Bericht werde ich einige Anmerkungen dazu machen. Hier möchte ich Ihnen nur weitergeben, was der Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Frank-Jürgen Weise, mir dazu geschrieben hat. Er schreibt:
Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr leisten im Bundesamt in Haltung, Einstellung und in der Qualität der Arbeit einen unschätzbaren Beitrag. Die Mobilität und Flexibilität, die sich durch diese personelle Unterstützung für das BAMF ergibt, ist … von hoher Bedeutung. Es bestätigt das beste Bild, welches wir von unserer Bundeswehr haben.
So weit Herr Weise. Ich glaube, wir alle stimmen ihm zu und sagen: Danke!
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Danke für das große Engagement Tausender Soldatinnen und Soldaten bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise!
Im nächsten Bericht – ich übergebe ihn nächste Woche – wird der Soldatenarbeitszeitverordnung ein Kapitel gewidmet sein. Sie war 2015 in der Bundeswehr noch kein Thema, insofern auch nicht in meinem Bericht. Vielleicht war das ein Fehler; bessere Vorbereitung hätte helfen können. So muss jetzt, wie es dann immer heißt, nachgebessert werden. Aber bitte ohne schuldhaftes Zögern! Kleinkariertheiten im Regelungswesen gehen immer zulasten der Soldaten.
Wir reden in diesen Tagen auch über die Erweiterung des deutschen Engagements in Mali. Parallelen zu Afghanistan kommen einem da fast reflexartig in den Sinn, und sie werden genauso reflexartig offiziell zurückgewiesen. Klar, jeder Einsatz ist anders. Aber Lektionen, die wir aus Afghanistan lernen können, sollten wir nicht ignorieren. Es fehlt auch in Mali bisher an gemeinsamer Führung oder wenigstens starker Koordination der unterschiedlichen militärischen Bemühungen von UNO, EU, französischer Armee, malischer Armee und all der zusätzlichen zivilen Hilfe, die ins Land kommt. Der vernetzte Ansatz bzw. – international gesprochen – der Comprehensive Approach braucht mehr als guten Willen. Er braucht verbindliche Strukturen. Unsere Soldatinnen und Soldaten wollen, dass ihr Einsatz in Mali erfolgreich ist. Kümmern wir uns also auch um die Strukturen, die einen Erfolg in Mali möglich machen.
Ich möchte hier noch ein Thema ansprechen, das ebenfalls nicht im alten Jahresbericht erwähnt ist, sondern gerade jetzt recht aktuell geworden ist: den sogenannten Verhaltenskodex. Ich verstehe, dass Sie, Frau Ministerin, auf die Vorschläge der Müller-Kommission positiv reagieren wollten.
(Henning Otte [CDU/CSU]: Die gab es 2015 doch noch gar nicht!)
Dabei geht es um das Rüstungs- und Beschaffungswesen der Bundeswehr. Hier können wir uns alle in der Tat manches vorstellen, was noch besser zu regeln wäre. Aber was, bitte schön, soll der Panzergrenadier in Hagenow davon halten, wenn er auf solche Compliance-Kauderwelsch-Sätze verpflichtet werden soll wie – ich zitiere einen – „Wir wollen die strategische Koordination von Politikfeldern, die Realisierung von politischen Zielen, Schwerpunkten und Programmen und die internationale Zusammenarbeit gestalten“?
(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wow!)
Wer ist „wir“? Was soll die Truppe mit solchem Agentur-Blabla? Was machen die Soldatinnen und Soldaten bisher falsch, dass sie jetzt so einen Verhaltenskodex bekommen sollen? Wenn diese fünf Seiten eng geschriebener Text die Lösung sind, was war dann eigentlich das Problem?
Soldaten schwören oder geloben; da geht es um Recht und Freiheit. Auch die Beamten der Bundeswehr schwören übrigens einen Eid. Alle Rechtsverhältnisse der Soldaten sind durch das Grundgesetz, durch Bundesgesetze und durch eine Vielzahl von Erlassen und Bestimmungen geregelt.
(Beifall bei der SPD)
Keine Behörde, keine Firma hat präzisere Regeln als die Bundeswehr. Ich meine, das reicht. Unsere Soldatinnen und Soldaten sind mündige Bürger, Staatsbürger in Uniform. Sie folgen den Grundsätzen der Inneren Führung. Das heißt, dass sie in aller Loyalität auch berechtigt sind, Kritik zu üben, auch zum Beispiel gegenüber Bundestagsabgeordneten. Unsere Soldatinnen und Soldaten verdienen Vertrauen. Deshalb: Lassen Sie uns bitte noch einmal darüber reden, wo wirklich etwas geregelt werden muss und wo nicht.
(Beifall bei der SPD)
Für die Arbeit am Bericht und die Umsetzung vieler Hinweise und Empfehlungen danke ich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Amt, den Zuständigen in Ministerium und Bundeswehr und den Berichterstatterinnen und Berichterstattern der Fraktionen. Die Zusammenarbeit ist wirklich kollegial und konstruktiv; auch das macht mich froh.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE])
Vielen Dank. – Für die Bundesregierung hat jetzt Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7061821 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 213 |
Tagesordnungspunkt | Jahresbericht 2015 des Wehrbeauftragten |