Claudia Lücking-MichelCDU/CSU - Friedens- und Konfliktforschung
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Einen ganzen Morgen lang haben wir jetzt schon über Bundeswehreinsätze und die Bundeswehr im Plenum gesprochen. Jetzt endlich rufen wir das Thema „Friedens- und Konfliktforschung“ auf. Stoff genug haben wir offensichtlich. Trotzdem wird die Relevanz dieses Forschungsgebietes durchaus von einigen Kollegen infrage gestellt. Aber unser Antrag zeigt, dass wir das ganz anders sehen. Gleichzeitig zeigt er auch die Komplexität des Themengebietes. Einige Anmerkungen dazu:
Erstens. Friedens- und Konfliktforschung ist vor allen Dingen eines: interdisziplinär. Wenn sie auch traditionell politikwissenschaftlich geprägt war, so umfasst sie jetzt viele Fachgebiete: Jura, Geistes- und Sozialwissenschaften, Theologie, Ethnologie und natürlich auch die Naturwissenschaften. Denken Sie nur an die Rüstungskontrolle. Eine Vielzahl von Disziplinen ist gefragt und ihre Expertise dringend nötig; denn die zahlreichen Konflikte überall auf der Welt haben niemals nur eine einzige Ursache. Entsprechend kann man ihnen sinnvollerweise auch nicht nur mit einem einzigen Ansatz begegnen.
(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Sehr wahr!)
Nur auf Militär zu setzen, geht nicht. Aber leider gilt oft genug: Mit militärischen Mitteln muss man erst bewaffnete Konflikte so weit beenden, dass die Voraussetzungen geschaffen sind für Verhandlungen und weitere Maßnahmen. Erst dann kann man sinnvoll an Aussöhnung arbeiten, rechtsstaatliche Strukturen aufbauen und gute Regierungsführung ermöglichen. In diesen schwierigen Situationen ist jedenfalls eines unbedingt nötig: klare Analysen, um informierte und kluge politische Entscheidungen treffen zu können.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Zweitens. Friedens- und Konfliktforschung befasst sich mit einem breiten Themenfeld; denn es hat wenig Sinn, zwischen- und innerstaatliche Konflikte als einzelne, isolierte thematische Blöcke zu untersuchen. In den Blick nehmen muss man immer ganze Kontexte. Konflikte sind etwa Ursache für Flucht und Vertreibung, und die Folgen von Flucht und Vertreibung sind oft genug wieder Ursachen für neue Konflikte.
Ein Beispiel will ich aufführen: Aktuell fördert das BMBF ein Verbundprojekt „Flucht: Forschung und Transfer“, das Erkenntnisse über Gewaltmigration und Fluchtursachen bündelt. Diese Fluchtforschung bezieht explizit die Auswirkungen von Gewalterfahrungen mit ein. Wir wissen es: Sie sind für die Radikalisierung von Menschen oft von zentraler Bedeutung. Es geht in dem Projekt aber auch um die spätere Reintegration von Flüchtlingen. So wird analysiert, wie die Rückkehr von Geflüchteten in ihre Herkunftsländer irgendwann einmal gelingen kann, ohne dass vor Ort gleich wieder neue Konflikte geschaffen werden, welche Bedingungen dafür in der Heimat geschaffen werden müssen, aber auch, welche in der Zwischenzeit in den Aufnahmeländern.
Zunehmend – das wird jetzt schon klar – geht es also auch um Themen, die uns hier in Deutschland direkt betreffen. Es geht um innere Sicherheit und die Bedingungen gesellschaftlichen Friedens hier bei uns. Hochaktuell ist das Projekt zur Erforschung des Salafismus in Deutschland, das von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in den letzten zwei Jahren durchgeführt wurde. Es liefert einen Überblick über das Wissen, das wir bei uns über Salafismus schon haben, aber auch darüber, welche Daten und Erkenntnisse uns noch fehlen, zum Beispiel über Anwerbepraktiken, um daraus wirkungsvolle Maßnahmen zur Prävention ableiten zu können.
Noch ein Drittes will ich sagen: Akteure der Friedens- und Konfliktforschung sind ebenso vielfältig wie die Disziplinen und die Themen. Sie arbeiten aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Schauen wir einmal auf die Akteure: Hier gibt es ein Spektrum von der Universität der Bundeswehr über das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg bis hin zum Leibniz-Institut in Form der Hessischen Stiftung. Wir fördern diese Träger in der ganzen Breite und sollten dies bewusst auch in Zukunft tun, sei es über die sogenannten Area Studies, die soziale, kulturelle und politische Gegebenheiten für bestimmte Regionen untersuchen, sei es über die Deutsche Stiftung Friedensforschung, die ihrerseits Förderangebote für Dritte ausschreibt.
In der Debatte über unseren Antrag im Forschungsausschuss wurde schon deutlich, dass die Kollegen von der Linken der deutschen Friedens- und Konfliktforschung gerne pauschal Regierungsnähe unterstellen.
(Heiterkeit der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD])
Umgekehrt halten einige CDU/CSU-Kollegen, also Kollegen von mir, die ganze Szene für links unterwandert.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
Ich finde, wenn sich beide Seiten aufregen, ist das schon einmal kein schlechtes Zeichen.
(Beifall bei der SPD)
Denn mir ist eine plurale Trägerstruktur in diesem Forschungsfeld besonders wichtig. Wir sollten als Politiker nicht bestimmte Träger bevorzugen oder gar Ergebnisse in Auftrag geben, sondern unsere Aufgabe sollte es sein, einen Rahmen zu setzen, in dem die verschiedensten Akteure unabhängig forschen können.
Wir haben aber durchaus auch einige sehr konkrete Anliegen. So formuliert unser Antrag, dass wir in Zukunft einen noch deutlich verstärkten Wissenstransfer von der Forschung in Gesellschaft und Politik haben wollen. Im besten Fall liefert die Forschung fundierte Hintergrundinformationen für unsere politisch aktuellen Entscheidungen, liefert unabhängige Bewertungen für die praktische Politik und zeigt neue Handlungsoptionen auf. Jetzt höre ich schon die Kritiker sagen: Aber die Forschungsergebnisse kommen doch immer zu spät. Schauen Sie doch einmal, wie viele Konflikte Sie nicht verhindern konnten. Und: Für die Suche nach Lösungen sind sie nicht verwertbar. – Das stimmt so nicht.
(Beifall bei der SPD – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Genau!)
Vorab will ich sagen: Grundlagenforschung hat ihren Sinn auch dann, wenn ihre Ergebnisse nicht direkt angewendet werden können. Diese Binsenweisheit jeder Wissenschafts- und Forschungspolitik gilt auch für die Friedens- und Konfliktforschung. Doch dann gilt selbstverständlich auch: Es gibt Anwendungsnutzen. Das zeigt allein schon die Tatsache, wie oft Expertise von den verschiedenen Ministerien angefordert wird.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Und dann ignoriert wird! Ob man das Wissen auch nutzt, ist die Frage!)
Ein Beispiel will ich nennen. Das BMZ hat im letzten Jahr erstmals eine Strategie zu Religion und Entwicklung vorgelegt und dazu auf Ergebnisse von Forschungsprojekten zurückgegriffen, die aus dem Hamburger GIGA-Institut kamen. In einem Projekt wird die Rolle von Religionen in Konflikten untersucht. Wichtig ist: Dabei zeigt sich, dass Religion nicht nur etwa oft Ursache für die gewaltsame Eskalation von Konflikten ist – wie ich es oft genug in öffentlichen Debatten höre –, sondern auch umgekehrt eine Rolle spielt, wenn es darum geht, Konflikte zu befrieden oder einzudämmen. Ebenso wird dort untersucht, inwiefern Religion positiv nachhaltige Entwicklung in einer Community befördern kann. Hier findet also Forschung begleitend zu Politikentwicklung statt.
Das gilt übrigens auch für das schon erwähnte Salafismus-Projekt. Forschungsergebnisse wurden nicht nur den Fachpolitikern kommuniziert, sondern sie waren auch Inhalt von Kurzfilmen und Blogs. Diese Kurzfilme gehören seit Mitte 2016 übrigens zum Standardlehrmaterial für die Aus- und Weiterbildung von Polizeibeamten in Baden-Württemberg. Das nenne ich mal einen gelungenen Transfer.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
In anderen Punkten unseres Antrags machen wir jedoch auch deutlich, wie wichtig es ist, dass es eine unvoreingenommene Evaluierung des gesamten Forschungsfeldes – am besten durch den Wissenschaftsrat – gibt, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was man verbessern kann. Ich bin überzeugt: Die Ergebnisse der Evaluierung werden auch Hinweise für eine zukünftige auskömmliche Finanzierung dieses Forschungsfeldes geben.
Zum Schluss möchte ich noch kurz auf ein drittes Anliegen in unserem Antrag eingehen. Ich nenne nur ein Schlagwort: Es geht uns um internationale Vernetzung und Austausch, auch und gerade für das hier adressierte Feld.
Mit unserem Antrag wollen wir der Friedens- und Konfliktforschung die dringend nötigen neuen Impulse geben. Ich bitte Sie: Stimmen Sie dafür!
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Ralph Lenkert für die Fraktion die Linke das Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7062014 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 213 |
Tagesordnungspunkt | Friedens- und Konfliktforschung |