20.01.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 213 / Tagesordnungspunkt 27

Uwe LagoskyCDU/CSU - Unternehmensmitbestimmung

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mitbestimmung ist ein wesentlicher Faktor für den betrieblichen Frieden und damit auch für die Produktivität unserer Unternehmen. Als ehemaliger stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender eines drittelparitätisch mitbestimmten Unternehmens kann ich darüber einiges erzählen. Für mich ist Mitbestimmung für das Gelingen unserer sozialen Marktwirtschaft absolut erforderlich; sie gehört dazu.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Bernd Rützel [SPD]: Sehr gut! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das fängt gut an!)

– Wenn Sie das mit „schönen Reden“ gemeint haben, dann sage ich: Danke für den Applaus.

Durch die Unternehmensmitbestimmung spiegeln sich im Aufsichtsrat nicht nur die Interessen der Anteilseigner, sondern auch die der Arbeitnehmer wider. Durch das Drittelbeteiligungsgesetz – wir haben schon zum Teil davon gehört – wird ab einer Unternehmensgröße von 500 Mitarbeitern ein Drittel des Aufsichtsrates durch Arbeitnehmer besetzt. Ab 2 000 Mitarbeitern kommt das Mitbestimmungsgesetz von 1976 zur Geltung. Danach besteht der Aufsichtsrat je zur Hälfte aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Dazu kommt noch das Montan-Mitbestimmungsgesetz von 1951, das unter einer unionsgeführten Bundesregierung – das darf ich an der Stelle deutlich sagen – eingeführt wurde

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Schon eine Weile her! – Klaus Barthel [SPD]: Weil die Leute auf der Straße standen! Weil es nicht anders ging! Das ist nicht freiwillig gewesen!)

und die Basis unserer Mitbestimmung ist. Diese Einigung war nicht nur für Unternehmen der Montanindustrie – Bergbau-, Stahl- und Eisenindustrie – ein Meilenstein, sondern für die Mitbestimmung generell. Das kann man hier, denke ich, auch so deutlich erwähnen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir leben ja im Heute!)

– Natürlich leben wir im Heute; darauf komme ich jetzt zu sprechen. – Nach wie vor gilt für diese Unternehmen eine paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat ab einer Betriebsgröße von 1 000 Mitarbeitern, beispielsweise bei der Salzgitter AG in meinem Wahlkreis.

Lassen Sie mich einen Blick auf die Ursprünge der aktuellen Gesetzgebung werfen. Der Abstimmung über das Mitbestimmungsgesetz im Februar 1976 im Parlament ging ein Diskussionsprozess von acht Jahren und eine darauf folgende Phase von zwei Jahren, in der der Ausschuss für Arbeit und Soziales über dieses Thema diskutiert hat, voraus. Das war der gesellschaftlichen Bedeutung dieses Themas angemessen und führte am Ende des Dialoges dazu, dass das Mitbestimmungsgesetz mit großer Mehrheit im Deutschen Bundestag verabschiedet und eingeführt wurde.

Ziel muss es auch heute sein, einen solch nachhaltigen, tragfähigen Kompromiss zu finden. Das kann die Politik nicht allein, sondern nur mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammen schaffen.

Dass es sinnvoll war, über das Thema Mitbestimmung ausgiebig zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu diskutieren, beweist die lange Lebensdauer der Vereinbarung: von 1976 bis heute. So etwas lässt sich eben nur mit einem Kompromiss erreichen und nicht mit kurzweiligen Mehrheiten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unter Bundeskanzler Schröder wurde die zweite Biedenkopf-Kommission ins Leben gerufen. Von Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde sie nach der Wahl bestätigt. Ihre Aufgabe war es, Vorschläge für eine moderne und europataugliche Weiterentwicklung der deutschen Unternehmensmitbestimmung zu erarbeiten. Damals, im Jahr 2006, konnten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht einigen. Die Politik hat damals bewusst davon abgesehen, über die Köpfe der Konfliktparteien hinweg zu entscheiden. So war es letztendlich gut, dass man so verfahren ist; denn das Mitbestimmungsgesetz, das daraus entstanden wäre, wäre möglicherweise auf einem Fundament gebaut worden, das nicht allzu lange getragen hätte.

Die Gründe für das Scheitern der Kommission werden von den Beteiligten je nach Perspektive ganz unterschiedlich bewertet. BDI und BDA hatten sich vorgenommen, die bisherige paritätische Mitbestimmung in den Aufsichtsräten zu beenden und den Anteil der Arbeitnehmer auf ein Drittel herunterzufahren. Der Status quo seit 1976 war natürlich, dass die Arbeitnehmer in den Unternehmen ab 2 000 Beschäftigten paritätisch beteiligt wurden. Ich kann durchaus verstehen, dass das Angebot, das die Arbeitgeber damals unterbreitet haben, nicht auf Anhieb überzeugt hat. Von daher war eigentlich von vornherein klar, dass, wenn die Arbeitgeberseite auf ihren Extremforderungen beharrt, kein Kompromiss gefunden werden würde. Das betraf auch andere Verhandlungsbereiche wie die Einordnung von Unternehmen mit ausländischer Rechtsform. Leider muss man feststellen, dass die Arbeit der Kommission ergebnislos blieb.

Zumindest die Professoren Kurt Biedenkopf, Hellmut Wißmann und Wolfgang Streeck haben einen Bericht abgegeben. In dem Bericht heißt es:

Allerdings erscheinen verschiedene Anpassungsmaßnahmen geboten, um der gewachsenen Mobilität der Unternehmen und ihrer Internationalisierung sowie veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene gerecht zu werden.

Wohl gemerkt, das war 2006. Diese Feststellung wurde also vor gut zehn Jahren getroffen.

Dass wir uns auf den bestehenden Regeln nicht ausruhen dürfen, zeigen auch die wirtschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre, die nach Beendigung der Arbeit der Kommission eingetreten sind. Im Zuge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich einmal mehr gezeigt, dass die Mitbestimmung in Unternehmen keinen Nachteil im internationalen Wettbewerb darstellt. In unsicheren Zeiten ist die Phalanx aus Arbeitgebern und Belegschaft ein Garant für die Stabilität.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Dann kann man sie doch ein bisschen stärken!)

– Ja, das ist auch wieder „schönes Reden“, keine Frage. – Es ist nun mal so gewesen – das haben wir in der Finanz- und Wirtschaftskrise festgestellt –: Die Sozialpartnerschaft ist der entscheidende Baustein für die soziale Marktwirtschaft und damit für den Erfolg Deutschlands.

Es bleiben natürlich die Herausforderungen rund um die Internationalisierung und die Europäisierung von Unternehmen bestehen. Unser Mitbestimmungsmodell muss auch für Unternehmen mit ausländischer Rechtsform in Deutschland gelten. Aus meiner Sicht betrifft dies insbesondere die Mitbestimmung bei den europäischen Aktiengesellschaften. Auch ich sehe hier Handlungsbedarf.

(Beifall der Abg. Albert Stegemann [CDU/CSU] und René Röspel [SPD] – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schön!)

Die europäische Initiative zur Einpersonengesellschaft, die auch Nachteile für die Mitbestimmung mit sich gebracht hätte, konnten wir in dieser Legislaturperiode zunächst aufhalten. Dankend weise ich auf den Entschließungsantrag hin, den wir hier im Bundestag einstimmig beschlossen haben.

Ihr vorliegender Antrag, liebe Grüne, macht allerdings den zweiten vor dem ersten Schritt. Dass wir losgehen müssen, darüber sind wir uns auf jeden Fall einig. Dafür müssen wir Arbeitgeber und Arbeitnehmer allerdings an einen Tisch bringen. Ich halte es für zielführender, wenn eine Mitbestimmungskommission das Fundament für eine politische Entscheidung schafft. Denn nur wenn die Sozialpartner einen Konsens erarbeiten, besteht die Gewähr, dass eine lang akzeptierte gesetzliche Regelung auf den Weg gebracht wird.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, der Gesetzgeber hat schon noch die Möglichkeit, Rahmenbedingungen zu setzen!)

Ich möchte auf einen weiteren Punkt eingehen, der im ersten Moment vielleicht nicht gleich mit dem Thema Mitbestimmung in Verbindung gebracht wird: Die Digitalisierung hat Auswirkungen auf fast alle Bereiche unseres Lebens und so auch auf den betrieblichen Alltag. Ein Blick ins Silicon Valley und auf die Gründerszene hier in Deutschland und in vielen anderen Ländern zeigt, was für innovative Geschäftsmodelle dort ihren Anfang nehmen und weltweit Verbreitung finden. Neue Geschäftsmodelle haben erfahrungsgemäß enorme Auswirkungen auf bestehende Strukturen. Damit sind für die Unternehmen erhebliche Chancen verbunden, gleichzeitig aber auch Risiken.

Es wird deutlich, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der sich unsere Arbeitswelt so schnell verändert wie die Intelligenz der Rechnersysteme – damit auch unsere Arbeit und unsere Arbeitswelt. Das hat auch etwas mit unserer Unternehmensmitbestimmung zu tun. Nicht nur in wirtschaftlichen Krisenzeiten, sondern auch bei starken strukturellen Veränderungen kommen die Vorteile der Mitbestimmung zur Geltung.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Wenn sich ein Unternehmen fit für die Zukunft machen will, dann muss es seine Beschäftigten mitnehmen und motivieren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind zwei Seiten derselben Medaille. Es braucht den Dialog, um Antworten auf Herausforderungen zu geben, vor die uns die Digitalisierung und die Transformation von Unternehmen stellen. Es braucht den Konsens, um die Erfolgsgeschichte der Mitbestimmung fortzuschreiben. Lassen Sie uns daran arbeiten!

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine „schöne Rede“!)

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat jetzt Jutta Krellmann für die Linke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7062038
Wahlperiode 18
Sitzung 213
Tagesordnungspunkt Unternehmensmitbestimmung
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta