Bernd RützelSPD - Unternehmensmitbestimmung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass wir wieder einmal über die Mitbestimmung sprechen; das ist dringend notwendig. In Ihrem Antrag weisen Sie zu Recht darauf hin, dass Deutschland die letzte Wirtschaftskrise dank der Mitbestimmung so gut überstanden hat. Erstens stimmt das, und zweitens rennen Sie mit diesem Thema offene Türen bei uns ein.
(Beifall bei der SPD)
Wann immer es hier um die Mitbestimmung geht, weise ich darauf hin, dass seit Jahrzehnten die Mitbestimmung eine tragende Säule unserer Sozial- und Wirtschaftspolitik ist. Sie sorgt für Ausgleich und sozialen Frieden. Die Zeit titelt in ihrer gestrigen Ausgabe: „Arbeitnehmer, die mitbestimmen, sind gut für die Wirtschaft“. Hier hat also ein Umdenken stattgefunden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
An der Mitbestimmung wird aber – Sie haben das zu Recht beschrieben – geknabbert und genagt. Man kann das auch als Erosionstendenzen bezeichnen. Mich ärgert die Klage eines TUI-Aktionärs vor dem Europäischen Gerichtshof. Am kommenden Dienstag wird darüber verhandelt, ob die Mitbestimmung gestärkt oder geschwächt wird; denn der Kläger hält es für ungerechtfertigt, dass nur die Beschäftigten innerhalb Deutschlands wählen dürfen. Sollte er Recht bekommen, dann ist das eine massive Gefährdung der Mitbestimmung in ihrer jetzigen Form.
(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das geht gar nicht!)
– Richtig.
Tatsächlich haben die Beschäftigten, egal welcher Nationalität, in einem Unternehmen in Deutschland ein Wahlrecht, und das ist auch gut so. Selbstverständlich haben deutsche und nichtdeutsche Beschäftigte an Standorten in anderen europäischen Ländern kein Wahlrecht wie in Deutschland. Das ist keine Diskriminierung. Vielmehr gilt das Territorialprinzip. Die Ansicht des Klägers ist scheinheilig und sachlich falsch.
Gott sei Dank sieht der Europäische Gewerkschaftsbund das genauso und hat noch einmal deutlich gemacht, dass man sich nicht auseinanderdividieren lässt. Die europäischen Gewerkschaften stehen zusammen. DGB-Chef Reiner Hoffmann und Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer haben sich gemeinsam zugunsten der Mitbestimmung positioniert und nennen den Vorwurf des Klägers realitätsfremd. Sie schreiben:
Wer so etwas vorträgt, ist fern jeglicher Praxis in den Unternehmen – sei es aus Sicht des Arbeitgebers, sei es aus Sicht des Arbeitnehmers.
(Beifall bei der SPD)
Ich hoffe, dass die Richterinnen und Richter des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg in der nächsten Woche die Mitbestimmung stärken und klarmachen, dass sie mit dem Europarecht vereinbar ist.
Mich hat der Schulterschluss der Gewerkschaften mit den Arbeitgebern erfreut. Das zeigt, dass die Mitbestimmung ein Standortvorteil ist. Es war ja lange Zeit so, dass fast alle Arbeitgebervertreter die Mitbestimmung oft verdammt haben. Wirtschaftswissenschaftler haben versucht, zu beweisen, dass sie Innovationen hemmt. Doch das Blatt hat sich gewendet. Die Wissenschaftler revidieren ihre Meinung, und aktuelle Untersuchungen heben hervor, dass mitbestimmte Unternehmen langfristig orientiert sind, mehr investieren, eine höhere Ausbildungsquote haben und mehr Menschen einstellen. Die Arbeitnehmervertreter in diesen Unternehmen hängen an ihrem Betrieb – sie sind oft länger im Unternehmen als mancher Manager, der kurzfristig Erfolg erzielen will –, und sie sorgen sich um ihren Arbeitsplatz.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen von den Grünen, Sie stoßen mit Ihrem Antrag bei uns auf offene Ohren und treffen auf offene Türen.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann machen Sie es doch! Wir brauchen Zustimmung!)
Es gibt viele Gründe, die Mitbestimmung zu stärken. Die Wissenschaftler haben es erkannt. Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter sind hier gemeinsam unterwegs. Deswegen hoffe ich, dass sich auch bei unserem Koalitionspartner – also nicht nur bei Arbeitgeberverbänden und Ökonomen – die Sichtweise etwas verändern möge. Denn die Mitbestimmung ist kein Hindernis für den Standort Deutschland. Sie hat uns stark gemacht. Die Verlässlichkeit wurde durch sie erhöht.
Man darf nicht ausgrenzen, man muss die Menschen mitnehmen und integrieren. Deswegen ist es das Gebot der Stunde, unsere Mitbestimmung zu stärken. Sollte das in dieser Legislatur nicht möglich sein, dann wünsche ich uns allen, dass uns das spätestens in der nächsten Wahlperiode gelingt.
In diesem Sinne vielen Dank.
(Beifall bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja nicht nur eine schöne Rede, sondern eine wunderschöne Rede!)
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Tobias Zech für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7062048 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 213 |
Tagesordnungspunkt | Unternehmensmitbestimmung |