20.01.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 213 / Tagesordnungspunkt 27

Klaus BarthelSPD - Unternehmensmitbestimmung

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wäre natürlich schön, wenn ich in dieser Frage das letzte Wort hätte; aber da darf man sich keine falschen Hoffnungen machen.

Kollege Zech, natürlich müssen wir uns erst einmal über die Realität in Deutschland unterhalten. Sie tun so, als wären wir, die Bundesrepublik, ein Land von Kleinaktionären,

(Tobias Zech [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt!)

die alle an den Erträgen und der Führung der Unternehmen beteiligt wären. Wenn das so wäre, dann verliefe diese Debatte wirklich anders. Aber Sie wissen auch, dass man selbst dann, wenn man eine Aktie oder ein paar Aktien hat, nicht wirklich über das Unternehmensgeschehen mitbestimmen kann, sondern dass das eben nur über Aufsichtsräte und Mitbestimmungsgremien geht. Insofern ging ein großer Teil Ihrer Rede eigentlich an der Sache bzw. dem Antrag vorbei.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tobias Zech [CDU/CSU]: Es verschiebt sich, habe ich gesagt!)

Wir begrüßen diesen Antrag, weil es damit gelingt, dieses Thema ein bisschen aus seinem Schattendasein zu holen. Es ist ja immer gefährlich, wenn sich alle so wahnsinnig einig sind über die Mitbestimmung. Das könnte ja einerseits heißen, wir würden in dieser Legislaturperiode noch etwas hinkriegen, was ich hoffe. Dass der verbale Konsens so groß ist, kann aber andererseits auch heißen, dass am Ende wieder gar nichts geht. Das werden wir jetzt untersuchen müssen. Denn das Ganze ist, wie gesagt, keine Funktionärsdebatte, sondern Kern unseres Wirtschaftsmodells, Kulturgut, auf CSU-Deutsch: Teil der Leitkultur.

Die Mitbestimmung funktioniert abseits des medialen Spektakels geräuschlos, weil sie gut ist. Ich habe, ehrlich gesagt, in dem Antrag nichts Falsches gefunden. Er übernimmt im Wesentlichen das, was der DGB in seiner Mitbestimmungskampagne im Rahmen des Bundestagswahlkampfs vorhat. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir in diese Mitbestimmungskampagne Schub reinbringen würden.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])

Ich gehe davon aus, dass sich diese Inhalte in weiten Teilen auch im Regierungsprogramm der SPD wiederfinden werden.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss in den nächsten Koalitionsvertrag!)

Ich möchte noch auf eines hinweisen: Der Antrag befasst sich ja nur mit der Unternehmensmitbestimmung in Aufsichtsräten. Was wir auch noch sehen müssen, ist die Frage der Mitbestimmung in Betrieben mit Betriebs- und Personalräten, Jugend- und Auszubildendenvertretungen usw. Im Grunde haben wir da ja eine parallele Entwicklung.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Antrag wurde schon abgelehnt von der SPD!)

Ich will das erwähnen, weil auch die betriebliche Mitbestimmung ausgehöhlt wird und ein großer Teil der Beschäftigten – rund 60 Prozent – nicht mehr in Betrieben arbeitet, in denen es einen Betriebsrat gibt.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Das passt zu dieser ganzen Geschichte mit TUI. Trotz aller verbalen Akzeptanz von Mitbestimmung gibt es offensichtlich einen Teil von Anlegern, Unternehmern und interessierten Kreisen, die dieser Mitbestimmung den Krieg erklärt haben und die solche Klagen inszenieren, um die Mitbestimmung sturmreif zu schießen. Das Problem ist: Sie finden damit ja auch Unterstützung, zum Beispiel bei der EU-Kommission. Das ist ja nicht irgendetwas, was völlig abseitig ist; denn es gibt neben der EU-Kommission Regierungen, die solche Initiativen unterstützen. Deswegen brauchen wir in der Tat auch eine europäische Neuregelung.

Sie haben die Zahlen genannt. Die Unternehmensmitbestimmung wird ausgehöhlt. Wir stellen fest: Das ist eindeutig gesetzwidrig.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Deswegen müssen wir hier auch schauen, wie man diese Gesetzesverstöße mit Sanktionen belegen kann; denn wenn die Tatsache, dass man Gesetze nicht einhält, keine Folgen hat, dann kann man auf so etwas auch pfeifen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stört ja niemand!)

Wenn wir uns die wirtschaftliche Entwicklung anschauen, dann stellen wir also fest: Es besteht die Gefahr, dass die Unternehmensmitbestimmung zum Auslaufmodell wird. Da müssen wir gar nicht viel machen. Das geschieht einfach durch die immer stärkere internationale Verflechtung der Wertschöpfungsketten in den Unternehmen. Das geschieht durch die immer stärkere Finanzmarktgetriebenheit der Unternehmen. Es gibt eben immer weniger klassische Familienbetriebe mit dem Pa­triarchen, der vor Ort ansprechbar ist. Vielmehr haben wir es immer mehr mit anonymen Investoren und Anlegern zu tun, die ganz andere Strategien verfolgen und die von Mitbestimmung noch nichts gehört haben. Das hat zu tun mit dem Strukturwandel in den Betrieben, Stichwort „Digitalisierung“, mit der Tertiarisierung – der Dienstleistungsbereich, der immer mehr Beschäftigte umfasst, ist in weiten Teilen eine mitbestimmungsfreie Zone – und natürlich mit der Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen. Befristet Beschäftigte, zum Beispiel Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter, werden wenig Kampfeswillen entwickeln, wenn es um die unternehmerische oder betriebliche Mitbestimmung geht.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Das heißt also: Die Reden über die Chancen von Digitalisierung und Arbeit 4.0 kann man sich sparen, wenn wir nicht bereit sind, auch die Ausweitung der Mitbestimmungstatbestände zu diskutieren bei Fragen der Unternehmensstrukturierung, in wirtschaftlichen Angelegenheiten, aber auch in Fragen der Weiterbildung usw. usf. Das heißt, es geht nicht nur um die Schließung von Lücken, sondern um eine umfassende Ertüchtigung. Wir sind sehr gespannt, wie es in den nächsten Wochen in den Ausschussberatungen laufen wird.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen eine schöne Anhörung!)

Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass bei der kommenden Bundestagswahl Mehrheiten entstehen – vielleicht mit den Grünen zusammen oder mit wem auch immer –, die einer solchen Initiative, wie wir sie hier vor uns haben, zum Erfolg verhelfen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7062058
Wahlperiode 18
Sitzung 213
Tagesordnungspunkt Unternehmensmitbestimmung
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