26.01.2017 | Deutscher Bundestag / 18. EP / Session 215 / Tagesordnungspunkt 3

Michael FuchsCDU/CSU - Regierungserklärung: Inklusives Wachstum

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Verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Herr Bundeswirtschaftsminister – noch Bundeswirtschaftsminister –, ja, eines stimmt: Deutschland ist in einer exzellenten Verfassung wie seit vielen Jahren nicht. Wir haben mittlerweile – Sie haben es eben völlig zu Recht gesagt – 43,5 Millionen Erwerbstätige. Was Sie nicht gesagt haben, aber sicherlich genauso sehen und was mich am allermeisten an der Sache freut: Wir haben de facto kaum noch Jugendarbeitslosigkeit. In meinem Wahlkreis haben wir null Jugendarbeitslosigkeit bzw. keine vermittelbaren Jugendlichen mehr. Das ist eigentlich der größte Erfolg. Denn was gibt es Schlimmeres für junge Leute, als keine Perspektive zu haben, wenn sie in das Berufsleben eintreten wollen? Auf diesen Erfolg bin ich also besonders stolz, und darüber können wir uns meiner Meinung nach besonders freuen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, die Große Koalition war mit Sicherheit keine Liebeshochzeit. Nein, sie war eine Arbeitskoalition, und wir haben gemeinsam auch einiges erreicht. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz persönlich bei Ihnen, Herr Minister, für die faire Zusammenarbeit bedanken, auch wenn wir den einen oder anderen Streit – vor allen Dingen in der Energiepolitik – ausgefochten haben; ich komme noch darauf zu sprechen. Ich baue natürlich auch darauf, Frau Zypries, dass das in den verbleibenden sieben, acht Monaten so weitergeht, und freue mich auf diese gemeinsame Arbeit.

Meine Damen und Herren, die EU 28 bildet nach den USA den zweitgrößten Binnenmarkt der Welt. Die USA haben ein Bruttoinlandsprodukt von 18,6 Billionen US-Dollar, die EU 28 haben eines von über 16,5 Billionen US-Dollar und ohne England – das müssen wir leider zur Kenntnis nehmen – immer noch von über 14 Billionen US-Dollar. Das sind so starke Zahlen, dass wir keine Angst haben müssen und uns auch keine Angst machen lassen sollten. Das haben wir nicht nötig. Wir können selbstbewusst sagen: Auch „Europe first“ kann uns weiterhelfen.

Wichtig ist jetzt, dass wir die europäischen Länder näher zueinanderbringen, dass wir dafür sorgen, dass sie nicht auseinanderdriften. Im Gegenteil: Wir brauchen mehr Zusammenarbeit in Europa. Nur so werden wir die in den nächsten Jahren sowohl vonseiten der Regierung der Vereinigten Staaten als auch durch den Brexit auf uns zukommenden Herausforderungen meistern können. Das wird eine der zentralen Aufgaben der Politik in den kommenden Jahren sein.

Aber es ist natürlich auch so, dass Lieferketten intensiv verwoben sind. Ich will nur ein Beispiel nennen: Die Firma BMW stellt in England den Mini her; jeder kennt das Auto. Mehr als 50 Prozent der Teile, die in den Mini eingebaut werden, kommen aus Deutschland. Das zeigt sehr deutlich, wie die Lieferketten miteinander verwoben sind und dass man sie auch nicht so schnell trennen kann. Ich setze darauf, dass das auch sehr schnell Eingang in die amerikanische Politik findet.

Meine Damen und Herren – Herr Minister, da bin ich nicht ganz mit Ihnen einverstanden –, nicht alles, was wir zurzeit haben, beruht auf Leistungen dieser Regierung oder vorheriger Regierungen. Dazu hat auch eine Menge sogenannter – wie man es in der Volkswirtschaft nennt – exogener Faktoren, die Sie nicht erwähnt haben, beigetragen. Die Niedrigzinspolitik kommt den Unternehmen zumindest bei Investitionen mit ziemlicher Sicherheit sehr entgegen. Wir haben auch dank der niedrigen Energiepreise – für Öl, Gas etc. – erhebliche Vorteile. Das sind Konjunkturprogramme, wie sie besser nicht sein könnten. Wir haben einen Euro-Dollar-Wechselkurs, der unserer Wirtschaft, die in den Dollar-Raum exportiert – das sind immerhin 42 Prozent unserer Exporte –, erheblich hilft und zu Windfall Profits führt – sie sind aber nicht garantiert –, die so sonst nicht anfielen. Das muss man deutlich sagen.

Und last, but not least, Herr Kollege Ernst – ich gehe normalerweise gar nicht mehr auf Sie ein –: Haben Sie einmal nachgesehen, wie viel gerade das Binnenwachstum in Deutschland zurzeit zum marktwirtschaftlichen Erfolg dieses Landes beiträgt? Mehr als zwei Drittel des Wachstums kommen aus dem Binnenmarkt; er ist wesentlich stärker als in den Jahren zuvor. Das liegt daran, dass die Löhne in den letzten Jahren erheblich gestiegen sind, wesentlich stärker als in allen Jahren zuvor.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auch das ist ein Erfolg von guten, vernünftig agierenden Unternehmen. Das sollten wir uns bitte auch nicht schlechtreden lassen.

Meine Damen und Herren, ich will einen Punkt erwähnen, der mir Sorge bereitet: die Digitalisierung. Wir sind in diesem Bereich ziemlich rückständig. Heute 50 Mbit Downloadgeschwindigkeit im Jahre 2020 anzustreben, ist bei weitem zu wenig. Den auf uns zukommenden Herausforderungen werden wir damit mit Sicherheit nicht gerecht. Im Gegenteil: Wir müssten über Gigabit reden und nicht über Megabit. Dass andere Länder das können und tun, das ist ein Faktum. Jeder, der sich im ostasiatischen Bereich aufhält, der wird das sehr schnell feststellen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Südkorea!)

Verehrter Herr Präsident, mit Verlaub, dass der Deutsche Bundestag noch kein WLAN hat, ist auch kein Zeichen allergrößter Modernität.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich war vor kurzem im Parlament von Singapur und konnte feststellen, dass der WLAN-Empfang überall wunderbar war. Aber nicht nur dort, selbst in Malaysia und Thailand gibt es das, und das sind Länder, von denen man nicht sagen kann, dass sie auf unserem Entwicklungsstand sind.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Dann soll Dobrindt mal hinnemachen!)

Wir müssen daran arbeiten, dass die digitale Versorgung so schnell wie möglich besser wird und wir möglichst auch in allen öffentlichen Bereichen WLAN haben. Das sollte bald der Fall sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Kollege Fuchs, darf ich vielleicht dennoch darauf aufmerksam machen, dass gleichwohl viele Parlamente in der Welt trotz glänzend funktionierenden WLANs mit diesem Parlament sofort tauschen würden?

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Auch da gebe ich Ihnen recht, Herr Präsident, wie fast immer. Aber beim WLAN können wir noch ein ganz klein bisschen nachholen. Im Europasaal haben wir das ja immerhin schon geschafft.

Meine Damen und Herren, ein Bereich bereitet mir wirklich Sorgen, und bei diesem Thema sind wir uns mit dem Bundeswirtschaftsminister nicht einig: Es geht um die Energiepolitik. Die Kostenentwicklung läuft mittlerweile völlig aus dem Ruder.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Danke, Schwarz-Gelb!)

Mein geschätzter Kollege Kauder hat vor wenigen Tagen zu mir gesagt, er würde mir den Hals umdrehen, wenn das mit dieser Energiekostensteigerung so weitergehen würde, wie es jetzt ist. Da ich mir das ersparen will, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass dringender Handlungsbedarf besteht. Wir haben zwei EEG-Reformen gemacht; die haben aber nicht einmal annähernd zu einer Abschwächung bei den EEG-Kosten geführt. Dieses Jahr geben wir 25 Milliarden Euro für die EEG-Umlage aus. 25 Milliarden Euro! Und das ist noch nicht einmal die ganze Wahrheit. Die Kosten für die EEG-Umlage liegen zurzeit bei 6,88 Cent pro Kilowattstunde. Ich sage Ihnen voraus: Spätestens im Herbst dieses Jahres wird das eine ganz andere Größenordnung sein. Wir müssen ganz schnell reagieren.

Jetzt kommt der zweite Punkt. Die Bundesnetzagentur hat vor einigen Tagen deutlich gemacht, dass die Netzentgelte erheblich steigen werden. Wir werden bis 2024 rund 45 Milliarden Euro nur für die Netze ausgeben müssen. Das bleibt uns nicht erspart. Das ist notwendig. Das bedeutet aber – das sind alles Zahlen der Bundesnetzagentur –, dass die Netzentgelte für die Haushaltskunden um mindestens 25 Prozent steigen werden.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Röttgen, Rösler, Merkel!)

Das geht in Richtung von 10 Cent. Und jetzt kommt die noch viel dramatischere Zahl: Für große Industriekunden werden die Netzentgelte um 115 bis 130 Prozent steigen.

Ich bin froh, dass Sie das Thema Netzausgleich angesprochen haben. Wir müssen da weitermachen. Es wird höchste Zeit, dass wir bei den Netzen ein Level-Playing-Field in Deutschland schaffen; denn es kann nicht sein, dass in einigen Bundesländern deutlich höhere Netzkosten zu zahlen sind als in anderen, weil wir dadurch eine Ungleichheit im Wettbewerb schaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Mir bereitet das Thema Netze erhebliche Sorgen, weil es für einen zusätzlichen Kostenschub sorgen wird.

Hinzu kommt – strafverschärfend, kann man sagen –, dass die großen Übertragungsnetze, also die Nord-Süd-Netze, laut Aussage der Bundesnetzagentur frühestens 2025 fertig sein werden. Was machen wir denn bis 2025? Wir werden im Norden einen erheblichen Zuwachs beim produzierten Strom haben, aus den Offshoreanlagen, aber auch aus den Onshoreanlagen; den Verbrauch haben wir aber vorrangig im Süden. Wenn wir den Transport nicht hinbekommen, was passiert dann? Ganz simpel und einfach: Dann kommen die sogenannten Redispatch-Kosten noch obendrauf. Ich kann hier ja Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministeriums völlig unbefangen zitieren. Herr Rid hat gesagt, dass wir im letzten Jahr Redispatch-Kosten von 1,1 Milliarden Euro hatten und wir dieses Jahr Redispatch-Kosten von 2 Milliarden Euro und demnächst von 4 Milliarden Euro haben werden. Meine Damen und Herren, das wird alles auf die Netzkosten umgelegt werden müssen. Das geht alles in die Preise hinein.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Danke, CDU!)

Dann wird es irgendwann den Punkt geben, an dem wir zu teuer werden und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft erheblich leidet. Da dies der letzte Jahreswirtschaftsbericht ist, den ich hier mitdiskutieren darf, möchte ich darauf hinweisen, dass wir erheblichen Nachholbedarf haben und intensiv daran arbeiten müssen.

Lieber Herr Gabriel, noch einmal herzlichen Dank für die gute Zusammenarbeit, auch wenn ich nicht mit allem einverstanden war; das habe ich gerade deutlich gemacht. Es hat sich gelohnt, dass wir trotzdem so vernünftig miteinander umgegangen sind.

Liebe Frau Zypries, Deutschland braucht für die Zukunft eine an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientierte Ordnungspolitik. Lassen Sie uns bitte alle gemeinsam daran arbeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält nun der Kollege Cem Özdemir für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der Wirtschaftsexperte Özdemir!)

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Electoral Period 18
Session 215
Agenda Item Regierungserklärung: Inklusives Wachstum
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