27.01.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 216 / Tagesordnungspunkt 32

Jutta EckenbachCDU/CSU - Opferentschädigungsgesetz

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus in einer Plenardebatte über die Opfer des Breitscheidplatzes zu sprechen, ist zum Teil unfassbar; das fällt am heutigen Tage nicht leicht.

Die vergangenen Wochen waren von den Eindrücken des Terroranschlags geprägt. Wir trauern sehr, und unsere Gedanken sind bei den Opfern, Verletzten und Hinterbliebenen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dazu zähle ich auch Freunde, Arbeitskollegen und Nachbarn, die allesamt mit den Eindrücken und dem Verlust umgehen müssen.

Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ist global, unberechenbar und trifft Bürgerinnen und Bürger, Besucher und somit uns alle, egal ob es Anschläge in Frankreich, Istanbul, Brüssel oder Berlin sind. Die Täter meinen unsere Lebensweise, unsere Werte, unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat, auf den wir wirklich sehr stolz sein können.

Die Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaates ist gerade jetzt gefordert, mehr als je zuvor. Wir müssen uns denjenigen entgegenstellen, die unseren Lebensstil mit Terror zerstören wollen und unsere von Werten getragene Gemeinschaft spalten wollen. Wir müssen uns aber auch denjenigen entgegenstellen, die aus Terror Profit schlagen wollen und in angeblicher Verteidigung des Abendlandes ebenfalls eine Abkehr vom Rechtsstaat und von unserer Demokratie in Kauf nehmen, wenn nicht sogar beabsichtigen.

Meine Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen bei allen Diskussionen über Folgen von Terrorakten, über die Täter und über die Wehrhaftigkeit jedoch nicht die konkreten Opfer aus den Augen verlieren: unsere Mitbürger und diejenigen, die als Gäste mit Neugier und Erwartungen unser Land besucht haben und gestorben sind oder verletzt wurden. Bundestagspräsident Norbert Lammert hat dafür in der vergangenen Woche in diesem Hohen Hause die richtigen Worte gefunden.

Selbstverständlich ist es unsere Pflicht, den Verletzten, den Hinterbliebenen und auch den traumatisierten Augenzeugen jegliche notwendige Hilfe zukommen zu lassen. Wir als staatliche Gemeinschaft werden dieser Verantwortung gerecht.

Meine Damen und Herren, der heute eingebrachte Gesetzentwurf macht die Entschädigungen der Opfer zum Thema. Die Bundesregierung hat klargestellt, dass die verletzten Opfer, die Hinterbliebenen, auch die Hinterbliebenen des Lkw-Fahrers Lukasz Urban, nun die erforderlichen Leistungen je nach Fall erhalten. Sie erhalten Leistungen, zum Beispiel Schmerzensgeld aus dem Entschädigungsfonds über die Verkehrsopferhilfe. Hier werden die Ansprüche gegen den Kfz-Halter oder -Eigentümer nun dem Entschädigungsfonds gegenüber geltend gemacht. Sie erhalten Leistungen als Härteleistungen für Opfer terroristischer Straftaten aus den Haushaltsmitteln des Bundestages, die vom Bundesamt für Justiz verwaltet werden, und – darum geht es heute vor allen Dingen – sie erhalten Leistungen nach dem Opferentschädigungsrecht im Wege des Härteausgleichs.

Sie erhalten den gesamten Umfang des Leistungsspektrums, unter anderem einkommensunabhängige monatliche Grundrenten, einkommensabhängige monatliche Rentenleistungen zum Ausgleich wirtschaftlicher und beruflicher Nachteile und weitere Leistungen. Die Opfer und die Hinterbliebenen erhalten Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz, obwohl im Opferentschädigungsgesetz in § 1 Schäden aufgrund tätlicher Angriffe durch ein Kfz ausgeschlossen werden. Das OEG greift trotz Kfz-Ausschluss, da die Tat in ihrer Gesamtheit betrachtet werden muss. Dazu gehören eben auch die Beschaffung des Lkws und der Mord am Fahrer. Hier beginnt ja bereits die Gewalttat, in deren weiterer Folge die vielen Opfer zu beklagen sind. Den Kfz-Ausschluss jetzt zurückzunehmen, macht in Kenntnis der Härtefallleistungen, die nach dem OEG möglich sind, momentan keinen Sinn.

Wo etwas verbessert werden kann, werden wir es tun. Wo zu wenig finanzielle Ressourcen bereitgestellt werden, werden wir diese aufstocken. Sie gaukeln – Entschuldigung – auch zu diesem ernsten Thema mit Ihrem doch sehr mageren Gesetzentwurf vor, es gebe einfache Lösungen. Darüber bin ich etwas enttäuscht; denn das wird der Würde der Menschen an dieser Stelle nun wirklich nicht gerecht.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, das war jetzt nicht nötig!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Opferentschädigung ist ein sehr komplexes Feld; das steht doch ganz außer Frage.

(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie es doch besser!)

Wer sich etwas ausführlicher mit Opferentschädigung befasst hat, weiß, wie schwierig diese Thematik ist. Es gibt sehr viele und sehr unterschiedliche Opfergruppen: Opfer von Gewalttaten, von Stalking, psychischer Gewalt, staatlich angeordneter medizinischer Straftaten in der DDR, aber auch traumatisierte Eltern von ermordeten Kindern und viele andere mehr. Fest steht, dass sich viele Menschen vom derzeitigen Opferentschädigungsrecht nicht hinreichend beachtet sehen. Wir haben dazu oft ausführliche Gespräche geführt, auch ich als Berichterstatterin für die CDU/CSU-Fraktion. Wir werden uns das soziale Entschädigungsrecht insgesamt ansehen müssen.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie nur nicht zu lange! Entscheiden Sie mal!)

Dieser Prozess dauert länger als gedacht, aber es wird uns gelingen. Ziel muss es sein, den Opfern zu helfen. Diesen Anspruch lege ich auch an, wenn es um die Opfer von Terror in unserem Land geht. Es geht um schnelle, möglichst unbürokratische und ausreichende Hilfe.

Es ist mir außerordentlich wichtig, eines noch zu erwähnen: Die Hilfe sollte aus einer Hand oder wie aus einer Hand sein. Wir können nur erahnen, in welchem Ausnahmezustand sich diese Menschen befinden. Wenn wir deren Situation etwas näher an uns heranlassen und uns konkrete Behördengänge oder den Versicherungsschriftverkehr vorstellen, wird unser Auftrag in diesem Hause sehr deutlich. Ich plädiere daher dafür, dass wir im aktuellen Fall das Hilfesystem wirken lassen. Ich bin der Überzeugung, dass die momentane Hilfe ausreichend ist und dass sie auch wirklich vollumfänglich den Entschädigungsgedanken widerspiegelt. Aber wir sollten auch – das ist ja geschehen – mit Überbrückungsmechanismen und Aufstockungen Verbesserungen herbeiführen und dann alles in Ruhe analysieren.

(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein paar Monate haben Sie ja noch Zeit!)

In einem weiteren Schritt muss es eine umfassende Reform der Opferentschädigung geben. Ich sage ganz offen: Wenn sich bei der Analyse der aktuellen Fälle Handlungsbedarf herausstellen sollte, werden wir auch darüber reden. Gegebenenfalls muss dann das OEG um diese Sachverhalte erweitert werden oder an anderer Stelle eine Klärung erfolgen. Ich glaube, dass wir neben den Diskussionen über sicherheitspolitische Maßnahmen, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung und die Anwendung bestehender Gesetze – es ist mir wichtig, das noch einmal zu erwähnen – auch darüber nachdenken sollten, wie wir den Opfern sehr unbürokratisch und sehr schnell die entsprechende Hilfe angedeihen lassen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7064888
Wahlperiode 18
Sitzung 216
Tagesordnungspunkt Opferentschädigungsgesetz
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