Karl-Heinz BrunnerSPD - Opferentschädigungsgesetz
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich ist dieser Tagesordnungspunkt heute, nach einer spannenden Sitzungswoche, als letzter Tagesordnungspunkt fast an die falsche Stelle gesetzt; denn die Entschädigung der Opfer des Anschlags vom Breitscheidplatz, die Würdigung der Leistungen für die Menschen, die dort schweres Leid erlitten haben, hätten einen prominenteren Platz verdient.
(Zuruf der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, würden uns – das sind vielleicht Vorurteile unserer Nachbarn – gerne von Szenarien treiben lassen, so sagt man, Ungewissheit in Bahnen zu lenken, fast so, als ob wir dem Schicksal ein Schnippchen schlagen wollten. Wohl gerade deshalb hat uns der Anschlag am Breitscheidplatz ganz besonders – ich sage: ins Mark – getroffen. Nein, nicht weil ein Teil der Opferentschädigung im Pflichtversicherungsgesetz geregelt ist – vielmehr, weil uns allen auf einmal bewusst wurde, dass Terror, dass Tod, Entsetzen, Hilflosigkeit eben nicht durch Gesetze und Vorschriften, sondern nur durch unsere Solidarität, unsere Empathie, Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft und Zuwendung gemildert werden können.
(Beifall bei der SPD)
Ich jedenfalls glaube – ich habe dies in meinem Freundeskreis so erfahren –: An erster Stelle steht die Sorge um die Unversehrtheit derjenigen, die wir lieben, die wir kennen, die uns nahe sind. Dann ist es das Entsetzen über den Tod, den Verlust, der Schmerz darüber, Kind, Frau, Mann, Partnerin, Partner, Tante, Onkel, Nachbarn verloren zu haben – unwiederbringlich, endgültig, für immer. Und in dieser Situation denkt niemand an Entschädigung, Haftungssummen oder Abwicklung. In diesen Stunden braucht man jemanden, der auffängt, Halt gibt, tröstet. Dass die Berlinerinnen und Berliner, dass die Menschen dieses Landes dies taten, war großartig, und dafür mein persönlicher herzlicher Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Doch es folgt die Zeit danach. Ich bin den Grünen ausdrücklich dankbar dafür, die Frage der Opferentschädigung auch hier im Hohen Hause des Deutschen Bundestages zu stellen, gerade weil in der Sensationspresse sofort spekuliert wurde, Opfer und Angehörige gingen leer aus, das Opferentschädigungsgesetz greife nicht, weil das Attentat unter anderem mit einem Kraftfahrzeug begangen wurde. Mittlerweile sind wir alle schlauer. Unsere Minister Heiko Maas und Andrea Nahles brachten Licht ins Dunkel; denn bereits nach geltendem Recht erhalten Verletzte und Hinterbliebene des Anschlags Entschädigungsleistungen, und zwar auch ohne Gesetzesänderungen.
Es stimmt zwar, dass das Opferentschädigungsgesetz laut § 1 Absatz 11 Taten mit einem Kfz ausschließt; da das Attentat jedoch als Gesamtgeschehen zu betrachten ist, das mit dem tödlichen Schuss auf den Lkw-Fahrer beginnt, liegt ein weiterer Teilakt vor, den der Täter, der sich das Fahrzeug mit dem Ziel beschafft hat, es als Tatwaffe zu missbrauchen, begangen hat, sodass auch die Opfer am Breitscheidplatz unter das Gesetz fallen. Dies hört sich fürchterlich juristisch an, ist aber nun einmal Realität.
Dazu kommen noch die Leistungen aus dem besagten Kfz-Entschädigungsfonds der Versicherer sowie Härteleistungen für Opfer terroristischer Straftaten. Das klingt vielleicht hölzern, das klingt vielleicht zu juristisch, das gibt uns aber ganz konkrete Mittel an die Hand, mit der Situation umzugehen und das zu tun, wofür wir da sind: zu helfen – den Opfern, den Angehörigen, den traumatisierten Menschen und sogar den auf den ersten Blick unverletzten Besuchern des Weihnachtsmarkts am 19. Dezember 2016. Den allen ist es vermutlich egal, welcher rechtliche Rahmen hilft; Hauptsache, er hilft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Ich glaube, meine Kolleginnen und Kollegen, es ist sogar zweitrangig, wie viel Geld fließt; Hauptsache, es fließt schnell und unkompliziert. Ich sage das, weil ich als Berichterstatter im Verteidigungsausschuss oft mit traumatisierten Soldatinnen und Soldaten zu tun habe und weiß, dass manche der von Posttraumatischen Belastungsstörungen Betroffenen nicht die finanzielle Entschädigung wollen, nicht die schnelle Hilfe, sondern sofort das offene Ohr, Verständnis und Rechtssicherheit.
Wir brauchen unkomplizierte Verfahren, Behörden, die mit dem richtigen Fingerspitzengefühl handeln, die finanziellen Mittel, aber auch die Unterstützung aus der Gesellschaft heraus. Ich nenne beispielsweise den Weißen Ring, in dem sich viele Bürgerinnen und Bürger engagieren. Diesen Zusammenhalt in der Gesellschaft brauchen wir nach solchen Anschlägen in Deutschland, den brauchen wir zur Abwicklung, zur Milderung der Folgen und zur Opferentschädigung, und zwar über den Tag hinaus; denn Solidarität wiegt mehr als jede abgeschlossene Versicherung, mehr als jedes Opferentschädigungsgesetz. Sie kann nämlich die Gräben zuschütten, die Ungewissheiten beseitigen und die Ängste besiegen. Nur sie kann dem Terror mutig ins Angesicht blicken und Bollwerk sein für unser Leben, so wie wir es leben, in Freiheit.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Ich wünsche Ihnen ein wunderschönes Wochenende und eine gute sitzungsfreie Woche.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet.
Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, den Gesetzentwurf auf Drucksache 18/10965 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. Februar 2017, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Berichtigung
215. Sitzung, Seite 21496 B, erster Absatz: Die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b sind wie folgt zu lesen:
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7064905 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 216 |
Tagesordnungspunkt | Opferentschädigungsgesetz |