Martina Stamm-FibichSPD - Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Besucherinnen und Besucher auf der Tribüne! Seit knapp drei Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema Hilfsmittel. In diesem Zeitraum habe ich einen Berg von Petitionen bearbeitet, viele Einzelschicksale begleitet, unzählige Gespräche und Verhandlungen geführt. Mit jedem Tag wurde mir klarer, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht. Deshalb haben wir als AG Gesundheit der SPD bereits im Juni 2015 ein Positionspapier zur Verbesserung der Hilfsmittelversorgung veröffentlicht. Wir haben darin sieben konkrete Forderungen formuliert, die sich in dem vorliegenden Gesetzentwurf wiederfinden.
Wir stellen mit dem Gesetz die Weichen für eine patientengerechte, aber auch finanzierbare Versorgung mit Hilfsmitteln. Mit dem Gesetz schaffen wir die Voraussetzungen, dass den Kassen ein harmonischer Dreiklang aus Wirtschaftlichkeit, Qualität und Service gelingen kann. Bisher war der gesetzlich geregelte Qualitätsaspekt der Ausschreibungen eindeutig zu flexibel und zu weich gestaltet.
Ich freue mich sehr, dass es sich beim Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz um eine Initiative aus dem Parlament handelt. Und dass wir dieses Gesetz außerhalb des Koalitionsvertrags heute beschließen, ist nur dank der guten und konstruktiven Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen und mit dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, möglich.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ausschlaggebend war eine Petition beim Deutschen Bundestag zum Thema Inkontinenzversorgung. Diese Petition wies auf massive Missstände in der Versorgung mit aufsaugenden Hilfsmitteln hin.
Ein Großteil der Krankenkassen arbeitet bei der Versorgung mit Inkontinenzprodukten inzwischen mit Pauschalen. Diese Pauschalen reichen bei weitem nicht aus, um Versicherte mit vernünftigen Produkten zu versorgen. Das bestätigt auch eine Analyse des Bundesrechnungshofes. So kalkulieren die Rechnungsprüfer in einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages mit monatlichen Preisen von 31,50 Euro und 52,50 Euro. Das sind Beträge, liebe Kolleginnen und Kollegen, die durch die Pauschalen der Krankenkassen zum Teil drastisch unterschritten werden. Patienten berichten davon, dass sie nur eine knapp bemessene Menge einfachster Produkte als Sachleistung ihrer Krankenkasse angeboten bekommen hätten. Die gewohnte Qualität und Menge sollten sie künftig nur noch gegen eine private Aufzahlung erhalten können.
Wegen solcher inakzeptablen Vorkommnisse haben wir das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz auf den Weg gebracht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Gesetz regelt nun wichtige Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung der Hilfsmittelversorgung, und wir schaffen Transparenz über die Aufzahlungen für die Patientinnen und Patienten; das ist richtig und wichtig so.
Besonders hervorzuheben ist, dass individuell angefertigte Hilfsmittel sowie Hilfsmittel mit einem sehr hohen Dienstleistungsanteil künftig nicht mehr von den Krankenkassen ausgeschrieben werden dürfen. Menschen mit einem künstlichen Darmausgang und andere Patienten, die Hilfsmittel mit einem hohen Dienstleistungsanteil benötigen, dürfen nicht durch Ausschreibungen mit ständig wechselnden Produkten oder Leistungserbringern konfrontiert werden. Betroffene brauchen in hochsensiblen Situationen vertrauensvolle und verlässliche Hilfe.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Durch eine Ausschreibung der Stomaversorgung sowie eine Ausschreibung zur ableitenden Inkontinenzversorgung waren die betroffenen Patientinnen und Patienten sowie die Selbsthilfeverbände stark beunruhigt. Wir haben die Sorgen und Ängste ernst genommen und konnten erreichen, dass Ausschreibungen dieser Art künftig nicht mehr zulässig sind.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig so!)
Ausschreibungen für individuelle Hilfsmittel und Hilfsmittel mit hohem Dienstleistungsanteil werden mit dem HHVG für unzweckmäßig erklärt, und die Formulierung „in der Regel“ in § 127 SGB V wird gestrichen.
Für mich ist klar, dass die Situation der Betroffenen besser werden muss. Wirtschaftlichkeit darf nicht der einzige Maßstab sein. Wir brauchen in der Versorgung mit Hilfsmitteln mehr Qualität und mehr Bewusstsein für die individuellen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten.
(Beifall bei der SPD)
Jeder Patient muss davon ausgehen können, dass er bei seiner Krankenkasse ordentlich versorgt wird. Krankenkassen dürfen nicht auf Kosten derjenigen sparen, die sich aus Scham nicht wehren können. Deshalb ist das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz ein Meilenstein in der Hilfsmittelversorgung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich möchte kurz noch auf eine weitere Neuerung hinweisen; der Kollege Irlstorfer hat es auch schon getan. Ursprung dafür, lieber Kollege Irlstorfer, war aber auch der Inhalt einer Petition, die uns auf die Regelungen zur KVdR hingewiesen haben. Ich bin da bei Ihnen: Wir dürfen den Menschen – in der Regel sind es Frauen – nicht den Weg in die KVdR verwehren. Deswegen halte ich es für so wichtig, darauf hinzuweisen: Die sogenannte 9/10-Regelung ist zwar in der Öffentlichkeit kaum bekannt, hat aber für die Betroffenen schwerwiegende Folgen, und zwar dann, wenn Vorversicherungszeiten fehlen und sie als Rentnerinnen und Rentner nicht Mitglied der KVdR werden können.
Ich finde, es ist richtig, was wir da tun. Wir erfüllen damit auch einen wirklich lang gehegten Wunsch dieser Frauen. Wir erkennen an, dass sie vor der Erziehungszeit berufstätig waren und auch danach und dass sie sich in ihrer Erziehungszeit nicht anders versichern konnten. Ich denke, das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung. Deshalb bitte ich Sie, liebe Opposition, zuzustimmen – so wie gestern im Ausschuss angekündigt. Wir haben ja viele Gemeinsamkeiten. Ich glaube, dieser Gesetzentwurf verdient es, dass wir ihm einvernehmlich zustimmen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Als letzter Redner in dieser Aussprache spricht Tino Sorge für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7073555 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 218 |
Tagesordnungspunkt | Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung |