Martin PatzeltCDU/CSU - Präventionsstrategie gegen gewaltbereiten Islamismus
Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Angst geht in Europa um, und die Angst geht in unserem Lande um. Die Angst kriecht in die Wohnzimmer. Die Angst packt unsere Kinder. Angesichts dieser so schwer fassbaren Angst und der noch schwerer fassbaren konkreten Bedrohung, die uns überall erreichen kann – plötzlich, jeden von uns –, sollten wir die Kräfte, die wir haben, bündeln – meine Vorredner haben das schon gesagt – und die unterschiedlichen Aspekte beachten, die wir bei diesem außerordentlich hohen Anspruch auf Prävention gegen Extremismus, gegen Terror, gegen Töten, gegen Bomben brauchen. Wir brauchen alle Kräfte dazu. Wir merken schon bei unserer Diskussion hier, wie schwer es ist, die eigenen Sichten und Ansprüche an Darstellung und Originalität zurückzustellen und die Dinge stattdessen zusammenzutragen und zu bündeln. Bei dem, was ich heute gehört habe, habe ich doch so viele richtige und wichtige Aspekte entdeckt, bei denen ich dachte: Könnten wir doch darüber miteinander ein Gespräch führen, anstatt immer nur neue Konzepte zu fordern und vorzulegen, neue Institutionen zu schaffen und mehr Geld zu geben! Wenn wir glauben, dass wir das Problem mit Geld allein bewältigen können, dann gehen wir in die Irre; davon bin ich fest überzeugt.
Als Familienpolitiker nehme ich mir jetzt mal die Freiheit und sage, dass die Prävention, die wir betreiben, noch lange nicht zu Ende gedacht ist, wenn wir meinen: Wir erreichen junge Menschen, die für Radikalisierungstendenzen anfällig sind, die verführt werden können, die eine bestimmte Vita mitbringen, die sie dafür anfällig macht. – Prävention sollte aus meiner Sicht sehr viel früher ansetzen. Denn was sind denn eigentlich die Verführungen, die junge Menschen in eine solche Entwicklung bringen?
Ich habe mir die Biografien von jungen Leuten, die als Salafisten in die Kriegsgebiete gegangen sind, von solchen, die sich hier zum Islam bekehrten, konvertierten – wie es gesagt wurde –, ein bisschen näher angeschaut. In meinem Wahlkreis ist die Ausstellung eines Künstlers entstanden. Sie heißt – manche von Ihnen haben es vielleicht medial oder direkt mitbekommen –: „Die Wölfe sind zurück?“ Sie wurde in Dresden, in Berlin gezeigt; jetzt ist sie gerade in der ständigen Vertretung des Landes Brandenburg hier in Berlin ausgestellt. Der Künstler hat bei der Eröffnung seine politische Intention erläutert. Und ich habe ihm gesagt: Die Wölfe waren ja alle mal keine Wölfe. Diese sogenannten Wölfe sind von Menschen wie uns ins Leben gerufen worden, von einem Mann gezeugt, von einer Frau geboren worden. Sie gingen durch unsere Kindertagesstätten, sie gingen durch unsere Schulen, sie wurden begleitet von Sozialpädagogen, von Familienangehörigen, von Freundeskreisen. Wie kommt es denn eigentlich, dass die Wölfe Wölfe wurden?
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf genau diese Problematik lenken und fragen: Wie kommt es denn eigentlich, dass Menschen eine Affinität zu Gewalt haben, zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, zu Konflikten, dass sie bereit sind, andere Menschen sogar zu töten, in den Tod zu schicken – Menschen, mit denen sie überhaupt keine Berührung hatten? Wie kommt es dazu, dass sie so intolerant sind, dass sie die Meinung eines anderen kaum ertragen können? Jetzt bin ich schon wieder ganz in unserer Nähe: Wir haben es zu üben, tolerant zu sein. Unsere Gene stammen aus einer Situation, in der wir im Kampf gegeneinander gestanden haben, im Kampf ums Überleben; wir hatten Feinde, und wir hatten Stammesgenossen, die uns zu Hilfe kamen, damit wir überleben konnten. Und wir sind den schweren Weg der Emanzipation des Individuums gegangen, das sich in Freiheit mit den anderen verbündet, auch denen, die anders denken und anders fühlen.
Ich möchte das anhand dreier Gruppen beispielhaft darstellen. Das soll gar nicht heißen, dass es nicht noch viele andere Gründe gibt, und es richtet sich auch gar nicht gegen die Vorschläge, die meine Vorredner hier gemacht haben. Wir müssen eine repressive Prävention betreiben, wir müssen Bildungsarbeit bei jungen Menschen betreiben, und das, was ich hier sage, soll ergänzend sein.
Es gibt, wie gesagt, drei Gruppen. Was die eine Gruppe anbelangt, möchte ich zitieren, was uns Bildungsforscher und Individualforscher gesagt haben: Langzeituntersuchungen aus 1944, 1960, 1969, 1973 haben belegt, wie eine andauernd fehlende oder versagende emotionale Zuwendung durch eine unverwechselbare Bezugsperson gegenüber einem Kind zu schweren, irreversiblen psychischen und physischen Folgeschäden führt, zu mangelnder Sozialfähigkeit und zu Verlust von Empathie.
Spätestens beim Wort „Empathie“ müsste es bei uns klingeln. Wie kann ein Mensch ohne Empathie überhaupt verstehen, was sein Gegenüber will? Wie kann er in seinem eigenen Inneren zu der Idee der Religionsfreiheit stehen? Wie kann er zu unserer Verfassung stehen, wenn er keine Möglichkeit hat, sich in andere Menschen, Gruppen und Gesellschaften überhaupt einzufühlen?
Die genannten Forschungsergebnisse wurden in unserer Zeit im Rahmen von Längsschnittstudien erneut belegt. Darin wird hervorgehoben, dass jene Kinder, die Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung, unangenehmes elterliches Verhalten aufgrund mütterlicher Depression, Hilflosigkeit oder Abwesenheit erfahren haben, immer eine besonders große Bindungsunsicherheit haben, dass ihre Sozialfähigkeit erheblich eingeschränkt ist. Die Forscher folgern daraus, dass jene Kinder keine Fähigkeit zur emotionalen Regulation entwickeln können. – Das alles ist forschungsmäßig belegt. Wer sich dafür näher interessiert, dem kann ich die Quellen dazu nennen; das ist hier nicht der Ort dafür.
Ich will bloß Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, dass wir tatsächlich die Orte und die Gegebenheiten der Primärsozialisation in unserem Lande in den Blick nehmen müssen und auch dafür Verantwortung tragen.
(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Familiennachzug! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Familienzusammenführung!)
Die zweite Gruppe.
Herr Kollege Patzelt, Sie haben noch zwei wichtige Gedanken angekündigt. Allerdings ist Ihre Redezeit bereits abgelaufen.
Was? Das kann nicht sein. – Darf ich noch zwei Gedanken anbringen?
Leider nicht mehr.
(Michael Frieser [CDU/CSU]: Beim nächsten Mal!)
Ich mache das jetzt einmal so: Ich schicke Ihnen meine Rede.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7073627 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 218 |
Tagesordnungspunkt | Präventionsstrategie gegen gewaltbereiten Islamismus |