17.02.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 219 / Tagesordnungspunkt 21

Frank TempelDIE LINKE - Schutz von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften

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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Gewalt ist grundsätzlich abzulehnen, wenn sie nicht zum eigenen Schutz oder zum Schutz Dritter dringend erforderlich ist. Selbstverständlich gilt das insbesondere dann, wenn sie gegen Menschen gerichtet ist, deren Aufgabe es ist, anderen Menschen zu helfen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe diese Rede für meine Fraktion gerade deshalb übernommen, weil ich viele Jahre selbst als Polizeibeamter unterwegs war – ich bin Streife gelaufen –, weil ich mit vielen Polizeibeamten bis heute in vielfältigem Dialog bin und weil ich als Berichterstatter meiner Fraktion für den Bereich Katastrophenschutz mit vielen Helfern von THW, Feuerwehr und Rettungsdiensten regelmäßige Kontakte pflege. Mit diesem Blickwinkel sage ich ganz klar: Eine zunehmende Gewalt gegen Polizeibeamte, Feuerwehrleute und Rettungsdienste ist nicht hinnehmbar. Wir sind gemeinsam dazu aufgerufen, dem wirksam entgegenzutreten.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eines ist aber auch klar: Zunehmende Gewalt ist kein Phänomen, das nur Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst betrifft. Betroffen sind auch Zugbegleiter, Lehrer, Verkäuferinnen und viele andere. Es ist richtig, dass die Politik für Polizeibeamte und Rettungsdienste im Dienst des Staates eine besondere Verantwortung hat. Das ist der Punkt, bei dem wir uns hier im Plenum alle einig sein dürften. Das Kriterium, ob die Linke dem Entwurf der Regierungskoalition zustimmen kann, ist also nicht, ob ein besonderer Schutz für Polizeibeamte und andere notwendig ist, sondern ob neue Strafrechtsvorschriften diesen Schutz zumindest ansatzweise gewährleisten können.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Und genau daran, meine Damen und Herren, hat die Linke erhebliche Zweifel.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur die Linke!)

– „Nicht nur die Linke“, das höre ich gerne.

Es gibt bereits einen Sonderparagrafen: § 113 Strafgesetzbuch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Dieser wurde ursprünglich mit Blick auf die besondere Situation des Bürgers bei der Vollstreckungshandlung geschaffen. Schutzgut ist übrigens nicht das Individualrecht des Beamten, sondern die Vollstreckungsgewalt des Staates.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Das nur mal so zur Erinnerung. Es geht also zum Beispiel um aktive Gegenwehr bei einer Festnahme oder aktiven Widerstand gegen die Beschlagnahmung eines Gegenstandes.

Mit den von Ihnen vorgeschlagenen §§ 114 und 115 StGB sollen nun zahlreiche weitere Handlungen unabhängig von Vollstreckungshandlungen in das Sonderstrafrecht übernommen werden, also Angriffe auf Polizeibeamte, die zum Beispiel einer allgemeinen Streifentätigkeit nachgehen. Gibt es eine Rechtslücke, die das erforderlich macht? Gibt es verwerfliche Handlungen, die bisher nicht unter Strafe gestellt werden können? Gibt es gar Gewalt gegen Polizisten, Feuerwehrleute oder Rettungsdienstler, die nicht geahndet werden kann?

Gehen wir es durch: Werden Einsatzkräfte beleidigt, bespuckt, bepöbelt, kann das wegen Beleidigung nach § 185 Strafgesetzbuch geahndet werden. Auch einfache Ohrfeigen und Schubser können als tätliche Beleidigung zur Anzeige gebracht werden. Angriffe mit tätlicher Gewalt können nach § 223 StGB – Körperverletzung –, § 224 StGB – Gefährliche Körperverletzung – und § 226 StGB – Schwere Körperverletzung – geahndet werden. Wenn, wie in dem von Ihnen vorgeschlagenen § 115 StGB beschrieben, Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt an ihrer Tätigkeit gehindert werden, entspricht das einer Handlung gemäß § 240 Strafgesetzbuch, der Nötigung.

(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Meine Damen und Herren, es gibt keine einzige mögliche Handlung, die Sie unter Strafe stellen wollen, die nicht bereits jetzt strafbar ist.

(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Es geht um das Signal des Staates, Herr Kollege!)

– Ich komme auf die Signale noch zu sprechen. – Glauben Sie im Ernst, dass jemand, der Polizeibeamte attackiert, der Feuerwehrleute am Löschen hindert, der Rettungsdienste nicht durchlässt, auch nur einen Augenblick überlegt, nach welchem Paragrafen er jetzt belangt werden kann? Das ist Tätern egal.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Beim zweiten Mal schon!)

Täter denken nicht darüber nach, welches Strafmaß sie jetzt ereilt.

(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das gilt bei allen Straftaten!)

Das kann ich aus vielen Beschuldigtenvernehmungen durchaus sagen. Wissenschaftliche, kriminologische Erkenntnisse und die Rechtspraxis zeigen immer wieder, dass Strafverschärfung keinen Einfluss auf die Häufigkeit von Straftaten hat. Das ist jetzt wirklich nichts Neues.

(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das würde in der Konsequenz bedeuten, am besten das Strafrecht abzuschaffen!)

– Melden Sie sich doch einfach mal! So viel Erziehung muss doch sein. – Wenn Sie glauben, dass gewaltsame Übergriffe durch ein härteres Strafmaß verhindert werden können, dann ist das eine Illusion.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Justiz hat übrigens die Möglichkeit, die besondere Verwerflichkeit einer Handlung gegen Polizeibeamte oder Feuerwehrleute beim Strafmaß zu berücksichtigen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Das ist auch ständige Praxis!)

Deswegen haben wir einen Spielraum beim Strafmaß. Das könnte die Justiz ohne zusätzlichen Paragrafen berücksichtigen. Auch hier brauchen wir kein neues Gesetz.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jeder hier im Saal weiß genau, meine Damen und Herren, dass die von Ihnen beabsichtigten neuen Paragrafen im Strafgesetzbuch keine einzige Straftat gegen Polizeibeamte und Rettungskräfte verhindern wird – nicht eine einzige. Was Sie vorhaben – jetzt komme ich auf den netten Kollegen zu sprechen, der sich nicht traut, sich dazu zu melden –,

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

ist, ein Zeichen zu setzen, ein Signal zu setzen.

(Zuruf des Abg. Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU])

– Ja, ich beachte hier jeden. – Das halte ich grundsätzlich für richtig. Auch Zeichen können wichtig sein. Es macht sogar Sinn, den Blick der Öffentlichkeit auf diese üble Entwicklung zu richten und den Dialog mit der Gesellschaft zu suchen. Das halte ich, wie gesagt, für richtig. Aber das Strafrecht ist doch nicht das richtige Mittel dazu.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt politische Möglichkeiten, Signale zu setzen. Gesetze – das gilt auch für das Strafgesetzbuch – sind keine Signalgeber der Politik, sondern sie sind das Rüstzeug und die Arbeitsgrundlage für die Justiz. Also überlassen Sie das denen.

Gibt es Ihnen gar nicht zu denken, dass gerade juristische Organisationen Ihren Gesetzentwurf so deutlich kritisieren? Dass Sie den Linken nicht glauben, sind wir ja gewohnt. Der Deutsche Anwaltverein hat im Januar eine Stellungnahme abgegeben, in der Ihr Vorhaben sehr deutlich kritisiert wird und in der er darlegt, warum die Änderungen dieses Strafgesetzes falsch und unnötig sind.

(Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Den kann man auch in vielen anderen Dingen nicht ernst nehmen!)

– Wieder einer, der sich nicht traut, sich zu melden. – Der Deutsche Richterbund hat eine Stellungnahme abgegeben, in der er den Gesetzentwurf ebenfalls deutlich kritisiert. Auch das scheint Sie nicht zu interessieren. Sie möchten ja Signale setzen. Auch von der Neuen Richtervereinigung haben Sie eine sehr kritische Bewertung bekommen. Meine Damen und Herren, Sie bekommen aus den Reihen der Justiz ganz klare Argumente gegen Ihren Gesetzentwurf.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich verstehe ja durchaus, dass insbesondere Polizeigewerkschaften gesonderte Strafrechtsnormen begrüßen; auch das registrieren wir. Aber auch sie verstehen das mehr oder weniger als politisches Signal. Sie fordern durchaus zu Recht, dass etwas gegen die Zunahme der Übergriffe unternommen wird, selbst wenn es nur ein Signal ist. Wenn den Polizeigewerkschaften die Alternative geboten würde, statt politische Signale zu setzen, über andere wirksame Maßnahmen zu reden, kämen wir wahrscheinlich weiter.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist ein Unterschied, ob bei einem Polizeieinsatz zwei, vier oder sechs Beamte auftauchen, um einer kritischen Lage Herr zu werden. Es ist eine Ressourcenfrage, ob ausreichend Polizeibeamte vor Ort sind, um die Arbeit von Rettungskräften abzusichern. Der Stellenabbau bei der Polizei in Bund und Ländern hat für die Eigensicherung der Beamten im Einsatz erhebliche Risiken mit sich gebracht. Darüber muss man reden. Darüber wird auch die Linke mit Ihnen reden, wenn Sie tatsächlich über die Sicherheit von Einsatzkräften reden wollen.

Auch bei der persönlichen Ausrüstung kann noch sehr viel für die Sicherheit der Polizeibeamten getan werden. Vieles ist veraltet, zu schwer und wenig praktikabel. Wir haben beim Thema Bodykamera signalisiert: Wenn es rechtlich sauber ausgestaltet ist, wenn Sie da die Hausaufgaben nachholen, dann sind wir bereit, über solche Mittel, die möglicherweise die Hemmschwelle für Gewalttaten gegen Polizeibeamte heben, tatsächlich zu diskutieren.

Lassen Sie uns gemeinsam mit den Betroffenen und der Zivilgesellschaft aber auf die Suche nach den Ursachen einer zunehmenden Verrohung der Gesellschaft gehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Daraus werden sich dann auch die richtigen Maßnahmen ergeben. Ohne Ursachensuche führt das nicht zum Erfolg.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!)

Fehlende Straftatbestände sind nicht die Ursache für Gewalt, und neue Straftatbestände werden diese Gewalt auch nicht minimieren. Auch falsche Lösungen geben zunächst einmal das Gefühl, etwas getan zu haben. Damit verhindern Sie aber gleichzeitig, dass wir das Richtige tun. Auch das kann nicht im Interesse von Polizeibeamten, Feuerwehrleuten usw. sein.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war die Rede, die der Justizminister hätte halten müssen!)

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Stephan Harbarth.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7074067
Wahlperiode 18
Sitzung 219
Tagesordnungspunkt Schutz von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften
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