Michael GerdesSPD - Soziale Absicherung von Solo-Selbständigen
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal finde ich es schade, dass wir heute Vormittag nicht wie ursprünglich geplant über den Antrag der Grünen zur Zukunft der Arbeitswelt beraten haben; denn vieles, was wir mit dem Thema „Arbeit 4.0“ verbinden, passt auch zu der hier vorliegenden Großen Anfrage und dem Entschließungsantrag der Linksfraktion. Liebe Frau Kollegin Zimmermann, ich freue mich, dass wir das Thema Solo-Selbstständige heute wieder einmal beraten.
Die Digitalisierung wird die Arbeitswelt deutlich und noch stärker beeinflussen, als wir es bisher kennen. Wir haben es heute Morgen schon mehrfach gehört: Erwerbsbiografien werden voraussichtlich häufiger als früher Wechsel zwischen Zeiten der Selbstständigkeit und der abhängigen Beschäftigung aufweisen. Im Fokus stehen hier insbesondere die Solo-Selbstständigen.
Die Solo-Selbstständigkeit wird wohl zunehmen; aber ob sich die Quote der Selbstständigen ohne Mitarbeiter signifikant erhöht, können wir heute nicht vorhersagen. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern verlief der Anstieg der Solo-Selbstständigkeit in den letzten Jahren bei uns wesentlich moderater. Und dennoch: Berufliche Laufbahnen verändern sich. Da müssen wir uns unweigerlich die Frage stellen: Welche Auswirkungen wird das auf die soziale Sicherung haben? Bereits heute haben wir in Deutschland circa 3 Millionen Selbstständige, die keine obligatorische Altersvorsorge haben. Man könnte zu dem Schluss kommen, dass sie ihre berufliche Freiheit mit sozialer Unsicherheit bezahlen. Ich finde, das ist keine schöne Bilanz.
(Beifall bei der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Bundesarbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles geht deshalb mit ihrem Gesamtrentenkonzept explizit auf die Situation von Selbstständigen ein. Dabei schaut sie aber nicht nur auf diejenigen, die per Definition solo-selbstständig sind, sondern auf alle Selbstständigen. Das ist, wie ich meine, eine kluge Politik; denn nur weil jemand zwei oder drei Mitarbeiter hat, heißt das nicht, dass er für alle Zeiten ausgesorgt hat.
Gerade letzte Woche berichtete die Presse einmal mehr über die Beitragsrückstände von Selbstständigen bei den gesetzlichen Krankenkassen. Für viele Selbstständige sind die Beiträge im Verhältnis zum Verdienst zu hoch. Besonders junge Existenzgründer kämpfen zu Beginn ihrer Selbstständigkeit um wirtschaftliche Erfolge. Da dürfen die Sorgen über die soziale Absicherung nicht zu groß werden. Um etwas auf die Seite zu legen, reicht es oft nicht.
Der Bundesrat hat aktuell einen Antrag der Länder Thüringen, Berlin und Brandenburg auf dem Tisch, der darauf abzielt, die Krankenkassenbeiträge für Solo-Selbstständige zu senken. Wir sollten die Diskussion über Mindestbeiträge zur Krankenversicherung auch dringend führen.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kennen die Sorgen der Selbstständigen. Die Plenardebatte, die wir im November 2016 in diesem Haus geführt haben, hat gezeigt, dass durchweg alle Fraktionen Handlungsbedarf sehen – das sehen wir auch heute wieder –, um derzeit bestehende Lücken bei der sozialen Absicherung zu schließen und die Beanspruchung von Grundsicherungsleistungen aufgrund mangelhafter Altersvorsorge zu verhindern. Selbstständigkeit ist nicht gleich Selbstständigkeit. Ein Kioskbesitzer – ich hatte Büdchen-Guido hier schon einmal erwähnt – lässt sich nicht mit einem Unternehmensberater vergleichen; ein Programmierer dürfte andere Umsätze haben als ein Paketzusteller. Deswegen kann es keine pauschalen Lösungen geben.
Vom Grundsatz her plädieren wir als SPD-Fraktion für eine Einbeziehung von Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung, sprich: Wir wollen eine Rentenversicherungspflicht. Wir brauchen gute soziale Absicherung für alle, auch für alle Selbstständigen.
(Beifall bei der SPD)
Dabei geht es insbesondere um diejenigen, die nicht auf ein bereits existierendes berufsbezogenes Versorgungswerk zurückgreifen können. Solch eine Pflicht, meine Damen und Herren, sollte nicht negativ interpretiert oder als überzogener Eingriff des Staates in die Eigenverantwortung gesehen werden. Im Gegenteil: Unser Ziel ist die bessere Absicherung aller Selbstständigen durch bezahlbare Beiträge in allen Versicherungszweigen, und das kann nur gut sein.
Um dieses Ziel zu erreichen, könnte ein Blick in andere Länder helfen, auch wenn diese Systeme natürlich nicht immer eins zu eins übertragbar sind. Österreich hat alle Selbstständigen, nicht nur die Solo-Selbstständigen, und auch Beamte in die Rentenversicherung einbezogen. In den Niederlanden existiert eine Basiskranken- und -rentenversicherung für Solo-Selbstständige. Beides sollten wir uns wenigstens mal anschauen und betrachten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der zur Diskussion stehende Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke ist nicht in allen Aussagen und Forderungen nachvollziehbar, zum Beispiel bei der Scheinselbstständigkeit. Mit dem Gesetz zur Arbeitnehmerüberlassung haben wir im Herbst 2016 mehr Rechtssicherheit bei der Abgrenzung von abhängiger und selbstständiger Tätigkeit geschaffen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Zu wenig!)
Nun ist es gesetzlich definiert, wann ein Arbeitsvertrag vorliegt. Genau damit wollen wir den Missbrauch von Werkverträgen verhindern. Wir sind schon einen Schritt weiter, als der Antrag suggeriert. Wir haben etwas getan, und wir werden auch weiterhin etwas tun.
Abschließend möchte ich klar und deutlich festhalten: Selbstständige Erwerbstätigkeit sollte kein Armutsrisiko sein – weder jetzt noch im Alter.
(Beifall bei der SPD)
Das Ziel der SPD-Fraktion heißt: soziale Sicherheit auch für Solo-Selbstständige. Ich stelle fest, dass wir in diesem Hause nicht weit auseinanderliegen.
Herzlichen Dank und Glück auf!
(Beifall bei der SPD)
Vielen Dank, Michael Gerdes. – Nächste Rednerin: Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7074351 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 219 |
Tagesordnungspunkt | Soziale Absicherung von Solo-Selbständigen |