09.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 221 / Tagesordnungspunkt 7

Christian Lange - Effektivere und praxistauglichere Strafverfahren

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Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Strafjustiz arbeitet in hohem Maße effektiv. Die Staatsanwaltschaften haben im Jahr 2014 allein mehr als 4,5 Millionen Verfahren bearbeitet. In diesem Zeitraum haben die Strafgerichte weit über 700 000 Gerichtsverfahren erledigt. Dabei wird eine Vielzahl der Verfahren innerhalb kurzer Zeit, nämlich im amtsgerichtlichen Verfahren innerhalb von drei Monaten, abgeschlossen.

Aber es gibt zunehmend Strafverfahren, die die Justiz vor große Herausforderungen stellen. Deshalb hat der Bundesjustizminister zu Beginn der Legislaturperiode eine Expertenkommission gebeten, Vorschläge zur weiteren Effektivierung und Steigerung der Praxistauglichkeit der Strafjustiz zu erarbeiten. Der Gesetzentwurf, über den wir heute in erster Lesung beraten, greift die Empfehlungen dieser Kommission auf. Er betont dabei, dass sich eine Effektivierung des Strafverfahrens nicht allein auf Beschleunigungs- und Vereinfachungsaspekte beschränken darf. Effektivierung des Strafverfahrens bedeutet auch und vor allem, die bestmögliche Feststellung des wahren Sachverhalts als zentrale Grundlage schuld­angemessenen Strafens durch zeitgemäße strafprozessuale Regeln zu fördern. Genau das wollen wir tun.

Im Mittelpunkt unseres Gesetzentwurfes steht deshalb die Regelung zur audiovisuellen Dokumentation von Beschuldigtenvernehmungen. Die Expertenkommission hat hierzu in ihrem Abschlussbericht völlig zu Recht festgestellt, dass die gesetzlichen Vorgaben zur Protokollierung dieser Vernehmungen nicht dem Stand und den Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts entsprechen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es auch nicht besser!)

Die Praxis hält trotz bereits vor Jahren geschaffener Möglichkeiten der Bild-Ton-Aufzeichnung weitgehend an den überkommenen Protokollierungen in Form schriftlicher Inhaltsprotokolle fest. Sie schöpft damit die Möglichkeiten nicht aus, durch eine präzise, wortgenaue Aufzeichnung der Vernehmungsinhalte die Wahrheitsfindung als zentrale Aufgabe der Strafverfahren entscheidend zu verbessern. Deshalb wollen wir die Bild-Ton-Aufzeichnung jetzt jedenfalls bei Kapitaldelikten und bei besonders schutzbedürftigen Beschuldigten verpflichtend anordnen und Ausnahmen hiervon nur noch in ganz engen Grenzen zulassen.

(Beifall bei der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur bei Tötungsdelikten! Das ist lachhaft!)

Die audiovisuelle Dokumentation des Vernehmungsgeschehens ist der Mitschrift durch die vernehmenden Beamten weit überlegen. Das gilt gerade bei schweren Tatvorwürfen mit oft langwierigen Beschuldigtenvernehmungen. Die Aufzeichnung der Vernehmung ist in diesen Fällen auch deshalb besonders effektiv, weil sie das Vernehmungsgeschehen objektiv und für jeden Verfahrensbeteiligten später auch nachvollziehbar abbildet. Zweifel am Vernehmungsergebnis oder an der Art, wie ein Geständnis zustande gekommen ist, kommen deshalb erst gar nicht auf.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Häufig wirkt sich dies auch im weiteren Verfahren, etwa durch den Verzicht auf die Vernehmung der Vernehmungsbeamten, positiv aus.

Eine effektive Verfahrensgestaltung erfordert immer auch ein transparentes und kommunikatives Verhandeln. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner grundlegenden Entscheidung zur Verständigung ganz ausdrücklich betont, dass eine offene, kommunikative Verhandlungsführung der gesamten Verfahrensführung dienlich ist und daher eine selbstverständliche Anforderung an die sachgerechte Prozessleitung darstellt. Unser Gesetzesvorhaben sieht deshalb vor, die Grundsätze von Kommunikation und Transparenz auch im Gesetz weiter zu verankern und die hierzu bereits bestehenden Regelungen zu ergänzen.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)

Die Pflicht des Gerichts, den äußeren Ablauf der Hauptverhandlung in umfangreichen Verfahren vorab mit den Beteiligten abzustimmen, gehört dabei zu den eigentlich selbstverständlichen Anforderungen an eine kommunikative Verhandlungsführung.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geschieht ja heute schon! Alte Kamellen! 70er-Jahre!)

Dies gilt gleichermaßen für die Pflicht des Gerichts, dem Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung das Wort zu geben.

Natürlich enthält der Gesetzentwurf darüber hinaus auch zahlreiche Regelungen, die auf eine Beschleunigung der Verfahrensabläufe abzielen,

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel?)

ohne dabei in die Verfahrensgrundrechte der Beteiligten einzugreifen. Beispielhaft für die vielen Gesetzesänderungen, die der Entwurf hierzu enthält, nenne ich hier nur die neue Vorschrift zur Fristsetzung für Beweisanträge, die erst zum Schluss der Hauptverhandlung gestellt werden. Ein Beweisantrag, der erst nach Ablauf der vom Gericht hierfür gesetzten Frist gestellt wird, ist danach nicht etwa unzulässig. Das wäre mit den Grundsätzen des Strafverfahrens und den Beschuldigtenrechten nicht zu vereinbaren. Das Gericht kann aber künftig solche Anträge, wenn es sie für unbegründet hält, im Urteil und nicht durch immer neue Beschlüsse in der laufenden Hauptverhandlung, die das Verfahren verzögern, ablehnen.

Meine Damen und Herren, der vorgelegte Gesetzentwurf wird damit dem Ziel, das Strafverfahren praxistauglicher und zugleich effektiver auch im Sinne der Verbesserung von Kommunikation, Transparenz und Dokumentation auszugestalten, mit all seinen Inhalten gerecht. Ich bitte Sie deshalb um wohlwollende Beratung und schließlich um Zustimmung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Als nächster Redner kommt Jörn Wunderlich von der Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7082778
Wahlperiode 18
Sitzung 221
Tagesordnungspunkt Effektivere und praxistauglichere Strafverfahren
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