Christian Lange - Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass wir, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, ein weiteres wichtiges Vorhaben dieser Legislaturperiode beraten können, nämlich den bereits erwähnten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld.
Terroranschläge, wie zuletzt im Herzen unserer Hauptstadt, absichtlich herbeigeführte Flugzeugabstürze, wie jüngst beim Germanwings-Flugzeug über Südfrankreich, oder alltägliche Unglücksfälle, bei denen Menschen durch das Verschulden Dritter zu Tode kommen: Stets geht der Verlust geliebter Menschen einher mit Ohnmacht und Wut und vor allem mit dem grenzenlosen seelischen Leid derer, die trauernd und alleine zurückbleiben.
Regelmäßig steht dann auch die Frage nach einer Entschädigung für die Hinterbliebenen im Raum. Im internationalen Vergleich zeigt sich das deutsche Schadensersatzrecht in diesem Punkt bisher eher zurückhaltend. Es kennt nämlich bis heute keinen gesetzlichen Anspruch, nach dem Hinterbliebene für das mit dem Tod eines nahen Angehörigen verbundene Leid entschädigt werden.
Die Gerichte gewähren Hinterbliebenen derzeit nur ganz ausnahmsweise einen eigenen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld, nämlich dann, wenn sie durch den Tod eines Angehörigen deutlich in ihrem gesundheitlichen Befinden beeinträchtigt sind. Den meisten von Ihnen hier ist in diesem Kontext sicherlich der Begriff „Schockschaden“ geläufig.
Der historische Gesetzgeber fand es seinerzeit anstößig, einen immateriellen Schaden in Geld aufzuwiegen. Über die moralischen Beweggründe für diese Entscheidung kann man trefflich streiten. Der Ansatz hat aber zunehmend Kritik erfahren. Der Deutsche Juristentag hat etwa schon in den 60er-Jahren eine gesetzliche Regelung für einen Entschädigungsanspruch beim Tod eines Angehörigen gefordert. In den letzten Jahren ist diese Frage jedoch immer kontroverser diskutiert worden. Insoweit könnte der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, durchaus als Paradigmenwechsel im deutschen Schadensersatzrecht bezeichnet werden.
Das seelische Leid und die Trauer von Hinterbliebenen wollen wir künftig im Sinne einer Anerkennung entschädigen. Medizinisch fassbare gesundheitliche Beeinträchtigungen sind dazu nicht mehr erforderlich. Selbstverständlich – dessen sind wir uns bewusst – kann kein Geld der Welt die Trauer der Betroffenen relativieren oder gar kompensieren. Wir wollen aber ein wichtiges Zeichen in Richtung der Hinterbliebenen senden: Die Rechtsordnung verschließt sich eurem seelischen Leid nicht länger. Mit der Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld machen wir nämlich deutlich: Die Gesellschaft steht solidarisch hinter denjenigen, die zurückbleiben, und gewährt ihnen Anerkennung.
Mit diesem Gesetzentwurf beenden wir auch bestehende Ungerechtigkeiten; denn bei Ehrverletzungen und selbst bei entgangenen Urlaubsfreuden haben die Betroffenen bereits einen Anspruch auf Ersatz ihres immateriellen Schadens. Hinterbliebenen, die unter dem Verlust ihrer Lieben sicherlich ungleich mehr leiden, bleibt dies bislang verwehrt, und genau dies ändern wir nunmehr.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Letztendlich entfällt mit der Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld auch ein – darin dürften wir uns hier im Hause sicherlich einig sein – nicht wünschenswertes Alleinstellungsmerkmal des deutschen Rechts. Viele Staaten in der Europäischen Union und weltweit kennen bereits seit langem – wenn auch mit unterschiedlicher Begründung und Ausprägung – einen Entschädigungsanspruch für Hinterbliebene. Deutschland zieht hiermit nach.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin davon überzeugt, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine ausgewogene Lösung gefunden haben, und das war nicht ganz leicht.
Lassen Sie mich deshalb abschließend noch einige Details des Entwurfes skizzieren.
Der Anspruch wird im Hinblick auf die Anspruchsberechtigten als „Hinterbliebenengeld“ bezeichnet. Anspruchsberechtigt sind diejenigen Hinterbliebenen, die in einem besonderen Näheverhältnis zum Getöteten stehen. Für Ehegatten und eingetragene Lebenspartner, Eltern und Kinder wird dies vermutet.
Der Gesetzentwurf gibt mit der Anerkennung als Zweck des Anspruchs zugleich den entscheidenden Faktor für seine Bemessung vor. Es geht um eine im Einzelfall angemessene Entschädigung. Deswegen führen wir auch keine Pauschale ein. Denn dies wäre einerseits nicht geeignet, Einzelfallgerechtigkeit herzustellen, andererseits ist es gerade nicht angemessen, in Gestalt einer Pauschale eine Art „Sterbegeld“ zu zahlen. Die Bestimmung der Anspruchshöhe soll also den Gerichten überlassen bleiben. Dass die Rechtsprechung dazu imstande ist, belegen die deutsche Rechtspraxis und die Erfahrungen aus anderen Staaten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, dass dieser Gesetzentwurf vielen von Ihnen ein Herzensanliegen ist. Deshalb hoffe ich auf Unterstützung unseres Gesetzentwurfes und um angemessene Beratung.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Nächster Redner ist der Kollege Harald Petzold für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7082917 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 221 |
Tagesordnungspunkt | Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld |