Hendrik HoppenstedtCDU/CSU - Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der eine oder andere hat möglicherweise bezweifelt, ob wir die erste Lesung zu diesem Gesetzesvorhaben noch in dieser Wahlperiode erleben werden. Wir erleben sie heute. Ich gebe zu: Auch ich war nicht immer ganz sicher. Aber es ist umso schöner, dass das heute der Fall ist.
Es gibt für das Bundesministerium Lob und Tadel zugleich. Ein Stück weit muss ich erst einmal den Herrn Staatssekretär und seine Leute in Schutz nehmen. Es ist nicht so, dass sie nicht geliefert oder nichts getan hätten. Vielmehr wird der Gesetzentwurf der Bundesregierung morgen im Bundesrat beraten, während wir heute den der Koalitionsfraktionen debattieren.
(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Enttäuschen Sie mich nicht, Herr Kollege!)
Es ist nicht so, Herr Kollege Petzold, dass die Bundesregierung nichts getan hätte.
Es gibt dafür Lob, weil ich finde, dass das, was materiell-rechtlich im Gesetzentwurf vorgelegt wird, wirklich hervorragend ist. Mir fiel, ehrlich gesagt, nichts ein, was man verbessern könnte. Ich bin daher ganz unsicher, Frau Kollegin Keul, ob das Struck’sche Gesetz dieses Mal überhaupt Anwendung finden kann. Aber vielleicht hat die Opposition noch die eine oder andere Idee, was möglich ist.
Tadel gibt es in der Tat dafür, dass es insgesamt dreieinhalb Jahre gedauert hat, bis die erste Lesung zu diesem Gesetzesvorhaben durchgeführt werden kann. Das liegt, meine Damen und Herren, hoffentlich nicht daran, dass es die Union war, die dieses Vorhaben in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt hat. Wir jedenfalls hätten uns gewünscht, dass das Ganze deutlich schneller gegangen wäre, weil dann natürlich mehr Menschen, die tragischerweise einen nahen Angehörigen verloren haben, von diesem Gesetzeswerk hätten profitieren können.
Meine Damen und Herren, was haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart?
Menschen, die einen nahen Angehörigen durch Verschulden eines Dritten verloren haben, räumen wir als Zeichen der Anerkennung ihres seelischen Leids einen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch ein, der sich in das deutsche System des Schadensersatzrechts einfügt.
Ich betone diese Vereinbarung im Koalitionsvertrag deswegen so deutlich, weil viele gesagt haben, dass sich die Koalition diesem Thema erst durch den Absturz der Germanwings-Maschine gewidmet hätte. Das ist schlichtweg nicht der Fall.
Warum haben wir das in den Koalitionsvertrag geschrieben? Es gibt zwei Gründe dafür. Zum einen ist nicht nachvollziehbar, dass der tiefe seelische Schmerz, unter dem man möglicherweise ein Leben lang leidet, wenn man das eigene Kind durch einen Unfall, den ein Dritter verschuldet hat, getötet wird, von der Rechtsordnung nicht anerkannt wird, vor allen Dingen dann, wenn man bedenkt, dass für ganz andere Sachen, wie zum Beispiel entgangene Urlaubsfreuden, der Kfz-Nutzungsausfall oder Ehrverletzungen, Entschädigungen gezahlt werden. Andere europäische Rechtsordnungen sehen deswegen ein Angehörigenschmerzensgeld schon lange vor.
Zum anderen gibt es einen Wertungswiderspruch. Ein Schädiger steht hierzulande im Fall der Tötung eines Dritten wirtschaftlich besser da als bei einer Körperverletzung. Die Kollegin Keul hat das bei ihrem Antrag in der letzten Sitzung, als wir hier darüber diskutiert haben, ganz plastisch dargestellt, indem sie gesagt hat: Wenn ich auf einer Landstraße eine Person anfahre und verletze, dann ist es wirtschaftlich günstiger, den Rückwärtsgang einzulegen, um dem armen Opfer den Garaus zu machen. – Das ist in der Tat richtig. Man sieht daran allerdings auch, dass die Grünen nur wieder an das Geld denken.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU)
In der Tat werden nach § 844 BGB, wenn eine Tötung erfolgt, nur die Beerdigungskosten oder gegebenenfalls der Unterhalt ersetzt, falls überhaupt ein Unterhaltsberechtigter da ist, während in der Fallkonstellation, dass der Verletzte am Leben bleibt, ein Anspruch auf alle Vermögens- und Nichtvermögensschäden existiert.
Deswegen, meine Damen und Herren, führen wir einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld ein. Dem § 844 BGB, der schon bislang die Ersatzansprüche Dritter bei der Tötung regelt, wird ein neuer Absatz 3 angefügt:
Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten.
Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist bewusst eng gefasst, lässt aber auch eine gewisse Flexibilität zu. Das besondere Näheverhältnis – Herr Staatssekretär Lange hat es schon erwähnt – wird bei Ehegatten, Lebenspartnern, Elternteil oder Kindern vermutet. Bei anderen Verbindungen greift der Anspruch nur dann, wenn das Verhältnis dem entspricht, welches typischerweise zwischen den Ehegatten, Lebenspartnern, Kindern oder Eltern besteht.
Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld soll auch in Fällen der Gefährdungshaftung bestehen. Das ist tatsächlich eine Konsequenz des Germanwings-Absturzes, weil wir gesagt haben: Es kann in der Sache nicht sein, dass Hinterbliebene beispielsweise einer Fluggesellschaft ein Verschulden nachweisen müssen, was bei solchen Unglücken üblicherweise ziemlich kompliziert werden kann.
Zu der Frage der Anspruchshöhe. Was können Angehörige erwarten? Dazu wird vielfach gesagt: Man kann einem Menschenleben kein exaktes Preisschild anhängen. Das ist zumindest missverständlich; denn erstens wird der Verlust eines nahestehenden Menschen durch kein Geld der Welt ausgeglichen werden können. Zweitens ist es aber auch gar nicht das Ziel, dass wir ein Menschenleben materiell bewerten möchten. Ziel des Hinterbliebenengeldes ist nämlich der symbolische Ausgleich des Trauerschmerzes von nahestehenden Angehörigen. Die Zahlung des Hinterbliebenengeldes wird seelisches Leid nicht wirklich ausgleichen können. Mit der Schaffung des Anspruches wird aber gezeigt, dass die Rechtsordnung den empfundenen Schmerz anerkennt.
Wir stellen aus gutem Grund die Höhe des Anspruchs in richterliches Ermessen, weil jeder Fall anders gelagert ist. Wir äußern uns aber in der Gesetzesbegründung durchaus zu Orientierungspunkten. Es wäre nämlich falsch, Erwartungen zu wecken, dass künftig in Deutschland Entschädigungssummen in Dimensionen gezahlt werden, wie man sie aus den Vereinigten Staaten von Amerika kennt. Wir hatten hierzu – das sei offen angesprochen – mit dem Koalitionspartner durchaus Diskussionsbedarf, weil die SPD andere Vorstellungen dazu hatte. Dort hat man sich 30 000 bis 60 000 Euro pro Angehörigen vorgestellt. Wir haben gesagt: Es macht mehr Sinn, sich an der Schockschadensumme zu orientieren, die bei ungefähr 10 000 Euro liegt. Andere Fraktionen haben möglicherweise ganz andere Forderungen, sodass man darüber sicherlich diskutieren kann. Aber wir jedenfalls halten das, was jetzt in dem Gesetzentwurf steht, für richtig; denn im Koalitionsvertrag haben wir auch vereinbart, dass sich der Anspruch in das Schadenersatzrecht einfügt. Damit ist nicht nur die systematische Stellung im Gesetz gemeint, sondern auch die Größenordnung der Schadenersatzzahlungen.
Im Gesetzentwurf gehen wir von circa 24 000 Haftungsfällen pro Jahr aus. Da beim Hinterbliebenengeld geringere Summen als für Schockschäden zugesprochen werden, ergibt sich auf der Grundlage der Schockschadensummen rechnerisch eine Gesamtschadensumme von maximal 240 Millionen Euro pro Jahr.
Wenn man jetzt 30 000 bis 60 000 Euro pro Angehörigen zugrunde legen würde, würde die Gesamtschadensumme zwischen 480 Millionen und circa 1,4 Milliarden Euro liegen. Das würde dazu führen, dass das deutsche Schadenersatzrecht aus der Balance gebracht werden würde, weil natürlich dann auch für andere Schadenfälle wesentlich höhere Schadensummen gezahlt werden müssten. Hinzu kommt, dass natürlich dann die Versicherungsunternehmen die entsprechenden Schäden auf die Versichertengemeinschaft über erhöhte Prämien umlegen müssten. Deswegen tun wir gut daran, dass wir uns, was die Höhe betrifft, genauso wie es im Gesetzentwurf geregelt ist, an der Schockschadenrechtsprechung orientieren.
Einen letzten Punkt möchte ich ansprechen, nämlich die Berücksichtigung des Hinterbliebenengeldes beim Zugewinnausgleich. Dazu steht im Gesetzentwurf noch nichts. Darüber müssen wir uns im Ausschuss unterhalten, insbesondere auch deswegen, weil das morgen im Bundesrat Thema sein wird. Von der typischerweise sehr individuell empfundenen Trauer des Anspruchsberechtigten, etwa beim Unfalltod seiner Eltern, wird der Ehegatte regelmäßig nicht so mitbetroffen sein, dass eine nachträgliche Beteiligung über einen Zugewinnausgleich zwingend gerechtfertigt wäre. Deshalb soll das Hinterbliebenengeld beim Zugewinnausgleich dem Anfangsvermögen hinzugerechnet werden, sodass es im Ergebnis tatsächlich nur dem Angehörigen zugutekommt.
Unter dem Strich ist das ein wirklich gelungenes Gesetzesvorhaben. Ich freue mich auf die Ausschussberatungen und darauf, dass wir dann hoffentlich dieses Gesetz im Bundesgesetzbuch haben werden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Keul, Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/cvid/7082926 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 221 |
Tagesordnungspunkt | Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld |