09.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 221 / Tagesordnungspunkt 14

Rainer SpieringSPD - Novellierung des Berufsbildungsgesetzes

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Rängen! Kurz zu den Vorschlägen der Linken: Frau Hein, Sie haben einige Aspekte genannt und Überlegungen angestellt, denen man sehr wohl zustimmen kann.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Viele!)

Was ich ausgesprochen gut finde, ist, dass in diesem Hause, zumindest von den Grünen und von den Linken, erstmalig die Berufsschule in den Fokus genommen wird. Das freut mich.

(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Haben wir schon länger, Herr Spiering!)

Andere haben da vielleicht noch Nachholbedarf.

Ihr Vorschlag, Frau Hein, enthält neben anderen Punkten einen Punkt, der schlicht und ergreifend nicht umsetzbar ist. In Ihrem Antrag fordern Sie die grundgesetzliche Verankerung des Rechtsanspruchs auf einen Ausbildungsplatz. Es kann doch keiner so naiv sein, zu glauben, dass wir per Grundgesetz einen solchen Anspruch erfüllen können. Genau das macht Ihren Antrag absolut nicht zustimmungsfähig.

(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Die freie Berufswahl steht im Grundgesetz!)

– Frau Hein, lassen Sie uns jetzt nicht darüber debattieren, was man braucht, um das Grundgesetz zu ändern. Der vorliegende Antrag ist, was diesen Punkt betrifft, schlicht und ergreifend obsolet.

Zweiter Punkt. Über die solidarische Umlagefinanzierung hat man in diesem Land schon häufig und lange nachgedacht. Man kann darüber auch intensiv nachdenken, aber ich weise darauf hin: Wir haben mittlerweile sehr viele kleine Betriebe. Ich rede jetzt nicht von den Mittelständlern, sondern von den Einmann- oder Einfraubetrieben. Man kann diese in die Umlagefinanzierung integrieren, aber es würde für viele dann unendlich schwierig werden, den Auflagen gerecht zu werden. Deswegen würde ich mit solch einer Forderung sehr vorsichtig umgehen.

Der dritte Punkt ist die Lernmittelfreiheit. Das haben wir in Niedersachsen ausprobiert, und es lohnt sich, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Wenn man bedenkt, wo wir damit gelandet sind, würde ich sagen: Vorsicht an der Bahnsteigkante! – Man kann schnell etwas verlangen, aber eine entsprechende Umsetzung kann am Ende des Tages ausgesprochen schwierig werden. Deshalb sollte man sich vorher mit dem Thema auseinandersetzen und bei denen nachfragen, die das schon einmal ausprobiert haben.

Das sind drei Vorschläge von Ihnen, denen man, wie ich sagen würde, überhaupt nicht folgen kann.

Was ich gut finde, ist, dass wir das Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben. Thomas Feist, in diesem Punkt sind wir völlig unterschiedlicher Meinung: Das Bildungssystem in Deutschland hat eine Unwucht, und das können wir nicht gesundbeten. Auf der einen Seite gibt es die Nachfrage nach hochqualifizierten Facharbeitern, der wir nicht ausreichend nachkommen können, auf der anderen Seite – und das tut mir sehr weh – gibt es 2 Millionen junge Menschen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben und keinen bekommen werden.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr richtig!)

Ich glaube, darüber kann man nicht einfach so lax hinweggehen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Thomas Feist schüttelt mit dem Kopf: Werfen Sie einfach einen Blick in den Bericht des BIBB. Es gibt 2 Millionen Menschen, die keine Perspektive haben, die Existenzängste haben und die von der Gesellschaft abgehängt werden. Ich finde, das kann sich ein System wie das deutsche schlicht und ergreifend nicht leisten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Da würde ich auch gerne alle ideologischen Überlegungen und Wettbewerbsfragen außen vor lassen. Das ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen, und vor allen Dingen auch stellen können, wie ich glaube. Die Frage ist nur, wie wir das tun.

Nächste Anmerkung – und das tut mir als Berufsschullehrer so leid –: Das Wirtschafts- und Sozialsystem in Deutschland ist mit keinem Bildungssystem so eng verknüpft wie mit dem Berufsbildungssystem, aber es gibt keine Wertschätzung vonseiten der Öffentlichkeit. Ich finde, hier müssen wir etwas tun. Genau daran müssen wir arbeiten: an der Wertschätzung für das berufsbildende System.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE])

Ich möchte kurz darstellen, was wir anbieten. Ich habe hier mehrfach vier Forderungen vorgetragen – ich werde sie gleich um eine fünfte ergänzen –: knappe, einfache und sinnvolle Veränderungen am Berufsbildungsgesetz – vor allen Dingen unter dem Aspekt der Qualitätssteigerung –,

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Freistellung von über 18-Jährigen für den Berufsschulunterricht – ich habe hier lang und breit erklärt, warum, wieso, weshalb –, Freistellung von Mitgliedern in Prüfungsausschüssen, Finanzierung von Freistellungsansprüchen von Prüfern und verbindlicher Durchstieg von zweijähriger in die dreieinhalbjährige Ausbildung. Ich kann mich im Übrigen auch mit der Mindestausbildungsvergütung sehr anfreunden. Wir haben beim Mindestlohn da sehr gute Erfahrungen gemacht.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das sind einfache und unspektakuläre Schritte.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert eigentlich?)

– Dazu möchte ich eine Ansage machen:

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, mach doch mal!)

Auch die Grünen würden sich, wenn sie Teil in einer Koalition wären, an die Koalitionsabsprachen halten. Das gehört sich so in einem Parlament.

(Beifall der Abg. Dagmar Ziegler [SPD] – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Die würden ja auch mit der CDU regieren!)

Wir haben das hier offen diskutiert, und ich mache an dieser Stelle jetzt die Position der SPD deutlich: Wir brauchen nicht die großen Schritte, wir brauchen die einfachen Schritte.

Ich sage auch gleich etwas zu dem großen Wurf, der so gerne mal in den Raum gestellt wird. Kollege Mutlu, wer glaubt, sensible und fragile Systeme wie das Berufsbildungssystem in einem großen Wurf verändern zu können, der irrt. Beteiligt sind IHK, HWK, Zentralverband des Deutschen Handwerks, BDI, BDA, Gewerkschaftsverbände, Kommunen, Länder und die Bundesrepublik Deutschland, und von den Kirchen habe ich noch gar nicht angefangen zu reden. Wer glaubt, in dieses System mit einem großen Schlag einbrechen zu können, kann nur scheitern. Wer an das Berufsbildungsgesetz herangeht, der muss das sehr sorgfältig machen

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

und sich über den Stand der Dinge informieren. Ich glaube, das haben wir ungenügend getan.

Wo sieht meine Fraktion einen Anknüpfungspunkt, um wirklich etwas tun zu können? Das zentrale Element im System der Berufsbildung ist momentan die Berufsschule. Wer sich intensiv mit der Frage auseinandersetzt, weiß, dass Innovation für kleine und mittelständische Betriebe heute nur noch über die Berufsschule transportiert werden kann. Das machen übrigens viele Berufsschulen sehr gut vor. Wenn wir fördern wollen, dann ist das Berufsschulsystem das System, das wir schlechthin fördern müssen.

An dieser Stelle muss ich auch Kritik an meiner Ministerin hinsichtlich des Wissenschaftsbereichs äußern: Wir haben nach wie vor keine nachhaltige Forschung zur Berufsbildung; wir haben keine Förderung der digitalen Strukturen in den berufsbildenden Schulen; wir haben keine Förderung der Berufsschullehrerausbildung; wir haben keine Zusicherung des Staates für junge Menschen, dass sie einer sicheren Zukunft entgegenblicken können. – Die Berufsschule kann das leisten. Die Berufsschule kann den Einstieg leisten, um junge Menschen zu qualifizieren. Hamburg macht es exemplarisch vor, wie man junge Menschen in Berufsschulen holt und aus den Berufsschulen heraus in den ersten Ausbildungsmarkt bringt. Ja, das geht.

Damit komme ich zu der nächsten zentralen Aussage, Thomas Feist: Man kann sich immer gut hinstellen und sagen, dass das eine Forderung an die Länder ist; aber viele Länder sind schlicht und ergreifend völlig überfordert. Wir wissen, dass Kommunen im Grenzbereich der Leistungsfähigkeit sind. Träger der berufsbildenden Schulen sind die Kommunen, Landkreise oder kreisfreien Städte. Wenn ich mir die Finanzen unserer kreisfreien Städte angucke, dann weiß ich, dass die nicht gut sind. Wir müssen endlich einmal begreifen: Auch wenn Bildung an sich keine gesamtstaatliche Aufgabe ist, ist die Berufsbildung das allemal.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn wir der Berufsschule helfen wollen, dann ist das eine gesamtstaatliche Aufgabe, der sich diese Republik stellen muss.

Wenn wir das Hohelied der dualen Berufsausbildung singen und sie im Ausland so präsentieren, dann müssen wir auch willens sein, den Preis dafür zu zahlen. Und ich sage: Der Preis wird nicht niedrig sein. Dann sind wir in der Lage, unsere Berufsschulen so auszustatten, dass sie auch Menschen, die unter schwierigen Bedingungen starten, an die Hand nehmen können, damit sie in dem System Berufsschule, das integrativ ist – ich habe das hier häufig vorgetragen –, vorankommen.

Herr Kollege Spiering, Sie denken an die Redezeit?

Sie haben vollkommen recht, Herr Präsident. Ich war gerade so in Aufwallung.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen, das Berufsbildungsgesetz wird uns weiter verfolgen, und wir werden es ändern. Wir werden es unter dem Aspekt der Berufsschule ändern.

Herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD)

Zum Abschluss dieser Antragsberatung hat die Kollegin Uda Heller das Wort für die CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7082945
Wahlperiode 18
Sitzung 221
Tagesordnungspunkt Novellierung des Berufsbildungsgesetzes
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