Christian KühnDIE GRÜNEN - Umsetzung einer EU-Richtlinie im Städtebaurecht
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte mich am Anfang der Debatte bei den Berichterstattern für die Berichterstattergespräche und für das kollegiale Miteinander in den Beratungen zur BauGB-Novelle bedanken, ganz explizit auch bei Staatssekretär Florian Pronold. Ich glaube, es war ein gutes Verfahren. Leider wurden wir von der Opposition nur einmal in dieser Legislaturperiode an einem wichtigen Gesetz beteiligt. Ich finde, die Große Koalition hätte öfter den Mut haben können, auf uns von der Opposition zuzugehen, dann wären Ihre Gesetze im Schnitt auch ein bisschen besser gewesen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Mit der Novelle schreiben wir das urbane Gebiet in das Baugesetzbuch. Das war eine der Ideen, die in der Charta von Leipzig festgehalten wurden. Nach zehn Jahren ist das eigentlich längst überfällig, aber wir Grünen finden die Idee gut, und wir sind froh, dass diese grüne Idee endlich im Baugesetzbuch verankert wird. Dabei geht es um die Logik einer anderen Stadtentwicklung, um die Logik „innen vor außen“, um die Stadt der kurzen Wege. Eine funktionale, eine soziale und eine ästhetische Mischung in der Stadt wird hier festgeschrieben. Das ist gut. Deswegen stimmen wir der Einführung der Baugebietskategorie „Urbanes Gebiet“ zu.
Diese Baugesetzbuchnovelle hat aber einen ganz großen Haken. Diese Baugesetzbuchnovelle ist nämlich mit einer Erhöhung des Lärms in diesen Gebieten um 3 dB verbunden. 3 dB, das heißt doppelter Lärm. Frau Hendricks, Sie haben das „moderat“ genannt. Das ist nicht „moderat“, sondern das ist gesundheitsschädlicher Lärm, und davor müssen wir die Menschen in unseren Städten schützen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
3 dB mehr Lärm sind unzumutbar. Das ist gesundheitspolitisch falsch, das ist umweltpolitisch falsch, und das ist stadtentwicklungspolitisch falsch. Ich hoffe, dass der Bundesrat dieses Vorhaben stoppen wird. Das sehen nicht nur wir Grünen so, sondern das sagen auch das Umweltbundesamt und der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Ich glaube, Sie sollten an dieser Stelle einmal auf Ihre eigenen Expertinnen hören.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir Grünen sagen nicht, wir wollen gar nichts für den Lärmschutz tun; ganz und gar nicht. Wir wollen das Hamburger Fenster, den Hamburger Weg. Wir wollen mehr technischen Lärmschutz ermöglichen. Ich glaube, das ist eine Lösung, mit der die Kommunen abwägen und punktuell, bei wirklichen Lärmschutzproblemen eingreifen können. 3 dB mehr Lärm in allen Gebieten zu erlauben, halten wir für falsch. Wie gesagt, das ist gesundheitspolitisch und lärmschutzpolitisch der völlig falsche Weg.
Der zweite Haken an diesem Gesetz ist der § 13b, den die CSU jetzt in dieses Baugesetzbuch hineinschreiben will. Das ist nichts anderes als ein Flächenfraßparagraf; denn damit wird die Außenentwicklung privilegiert. Die ganze Idee der Baugesetzbuchnovelle ist ja, die Innenentwicklung zu privilegieren. Die CSU bringt mit dem § 13b aber sozusagen den Flächenverbrauch im Außenbereich ein. Ich finde, das passt hinten und vorne nicht zusammen. Dass Sie, Frau Hendricks, da mitmachen, zeigt mal wieder, dass es Ihnen nicht gelingt, Umweltschutz und Baupolitik miteinander zu verbinden. Das ist die Bilanz Ihrer Regierungszeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ziel dieser Novelle ist eigentlich die Privilegierung der Innenentwicklung; dem folgt die ganze Logik. Dass dieses Ziel nicht erreicht wurde, ist wirklich schade. Dass die CSU auf ihrer Forderung besteht, kann ich überhaupt nicht verstehen. Das zeigt doch nur, dass Sie als CSU die Dorfkerne und die Innenentwicklung in den Städten längst aufgegeben haben, dass Sie sich sozusagen eher um die Investoren kümmern als um eine gute dörfliche, regionale und städtische Entwicklung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kühn, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pronold zu?
Ich lasse gerne eine Zwischenfrage des Kollegen Pronold zu.
Lieber Kollege Kühn, mein Melden zu einer Zwischenfrage ist leider zu spät bemerkt worden. Sie bezieht sich auf den Punkt, den Sie zuvor angesprochen haben, auf die wirklich wichtige Frage: Wie bekommen wir einen Konsens zwischen mehr Lärmbelastung und Innenverdichtung hin? Wenn ich Sie richtig verstehe, ist das Hamburger Fenster dazu gedacht, mehr Lärmschutz für die Leute zu schaffen. Das Hamburger Fenster bedeutet jedoch, dass ich eine Lärmbelastung von bis zu 70 Dezibel im Außenbereich haben kann und nicht 63 Dezibel, wie die Koalition sie vorschlägt. Durch die Verlagerung des Messpunktes, wie Sie das wollen, können bis zu 70 Dezibel im Außenbereich, vor dem Fenster, vorherrschen. Ist das die angebliche Lärmreduzierung, die Sie den Leuten versprechen?
Erst einmal ist das ja ein Vorschlag, den das Bundesland Hamburg eingebracht hat, und der Erste Bürgermeister dieses Bundeslandes ist kein Grüner, sondern ein Sozialdemokrat. Das Bundesland Hamburg ist gleichzeitig Land und Stadt. Es hat genau die Probleme, über die wir hier beim urbanen Gebiet reden, täglich vor der Tür: Wie kommen wir an Flächen heran? Wie können punktuelle Lösungen aussehen?
Bei der HafenCity ist genau dieses Problem aufgetreten. Daraufhin hat das Land Hamburg überlegt: Wie könnte eine technische Lösung ohne Veränderung des Messpunktes aussehen? Denn sie wäre im Augenblick auch gesetzlich gar nicht möglich. So hat das Bundesland Hamburg ein geschlossenes Fenster entwickelt, das aber eigentlich geöffnet ist. Der Messpunkt ist weiterhin vor dem Fenster, die technische Einheit aber dahinter, der Lärmschutz wird heruntergerechnet, um im Innenpegelbereich zu bleiben. Damit muss der Messpunkt nicht verändert werden. Das ist sozusagen die Gretchenfrage. Auf der einen Seite ist das eine baupolitische Einschätzung und auf der anderen Seite eine immissionspolitische Einschätzung. Das ist kein Bruch mit dem Immissionsschutz, sondern eine punktuelle Erleichterung.
Der Vorschlag Hamburgs geht noch weiter. Es geht nicht darum, dass das im ganzen Gebiet so sein muss. Im Außenbereich jeder Wohneinheit muss es einen Zugang geben, sozusagen einen geschützten Außenbereich. Das bedeutet, dass, wenn wir beispielsweise in einem urbanen Gebiet an den Parkplatz eines Supermarktes heranrücken – dort gibt es mehr Lärm –, eine Seite mit dem Hamburger Fenster oder anderen technischen Lärmschutzeinheiten ausgerüstet ist, aber der Innenbereich des urbanen Gebiets weiterhin geschützt ist.
Was Sie wollen, ist Folgendes: Die 3 dB sollen vorgeschrieben werden. Dann können die Kommunen abwägen, ob sie daruntergehen. Damit machen Sie aber einen Bruch im Immissionsschutz auf. Denn Sie lassen in einem Gebiet diese 3 dB mehr an gesundheitsschädlichem Lärm zu. Das wird dazu führen, dass in anderen Gebietskategorien der Lärmschutz auch geschliffen wird und dann auch Gerichte einen höheren Lärmpegel erlauben.
Deswegen liegen Sie im Umweltministerium falsch. Ich sage Ihnen auch, warum Ihre Immissionsschützer im Umweltministerium das hineingeschrieben haben. Das hat einen Grund. Sie wollen nämlich, dass das scheitert. Ich glaube, dass das Umweltministerium letztlich etwas auf den Weg gebracht hat, bei dem man jetzt die Idee hat, dass die Bundesländer da scheitern müssen.
Ich sage Ihnen: In dem Verfahren zwischen dem Bundesrat und der Bundesregierung wird es jetzt auch zu einer anderen Lösung kommen. Am Ende wird es nach meiner Einschätzung der technische Lärmschutz sein – und nicht Ihre Vorstellung von 3 dB.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Sie erlauben, mache ich eine Zwischenbemerkung.
Gerne.
Was Sie vorschlagen, ist ein echter Bruch. Damit geben Sie nämlich das Verursacherprinzip auf. Das ist der echte Bruch, den Sie dabei veranstalten. Und das ist mit mir als Umweltpolitikerin nicht zu machen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Nur eine Aussage dazu: Sie als Umweltpolitikerin schreiben in eine Gebietskategorie einen Lärmpegel hinein, den sowohl der Sachverständigenrat für Umweltfragen als auch das Umweltbundesamt für gesundheitsschädlich halten. Das ist als Umweltpolitiker auch nicht hinnehmbar, glaube ich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meines Erachtens haben sowohl die 3 dB als auch der § 13b mit guter Stadtentwicklungspolitik wenig zu tun. Deswegen müssen wir uns als Grüne, obwohl wir das urbane Gebiet sehr schätzen und es für eine sehr gute Idee, eine wirkliche Weiterentwicklung und einen Meilenstein im Baugesetzbuch halten, bei dieser Baugesetzbuchnovelle leider enthalten.
Wir Grüne stehen für lebenswerte Städte mit kurzen Wegen, mit einer Nutzungsmischung, mit einer Vielfalt und mit einer kleinräumigen Teilung von Gewerbe, Arbeiten und Leben untereinander in der Stadt. Wir stehen aber nicht für eine Stadt, in der der Flächenfraß im Außenbereich organisiert wird und in dem die Menschen mit Lärm und gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben.
Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Als nächster Redner hat Michael Groß für die SPD-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7082998 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 221 |
Tagesordnungspunkt | Umsetzung einer EU-Richtlinie im Städtebaurecht |