09.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 221 / Tagesordnungspunkt 26

Lena StrothmannCDU/CSU - EU-Regelungen über Dienstleistungen

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Danke schön. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Europäische Kommission hat im Zuge ihrer Binnenmarktstrategie am 10. Januar dieses Jahres ihr Dienstleistungspaket vorgelegt. Ziel dieser Binnenmarktstrategie ist unter anderem, das Potenzial des europäischen Binnenmarktes freizusetzen, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und Hemmnisse im Dienstleistungsverkehr abzubauen.

Eine vorbereitende Maßnahme war zum Beispiel die Transparenzinitiative der Europäischen Kommission, die zwei Jahre lang die reglementierten Berufe auf den Prüfstand gestellt hat.

In ihren länderspezifischen Empfehlungen aus dem Jahr 2011 hat die Kommission die reglementierten Berufe und den deutschen Meister erstmals als Binnenmarktschranke bezeichnet und die Aufweichung der Berufsreglementierungen gefordert. 5 600 reglementierte Berufe, das ist eindeutig zu viel, so die Aussage der zuständigen EU-Kommissarin Bienkowska. Aus ihrer Sicht gibt es noch immer zu viele Hürden bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung. Ursache ist laut Kommission vor allen Dingen die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten.

Circa 50 Millionen Menschen – 22 Prozent aller Erwerbstätigen in Europa – arbeiten in reglementierten Berufen. Deutschland hat lediglich 149 reglementierte Berufe, davon 41 im Handwerk. Im europäischen Durchschnitt sind es mit circa 200 deutlich mehr.

Das Dienstleistungspaket soll jetzt eine höhere Durchlässigkeit und mehr Wettbewerb schaffen. Diese Maßnahmen schießen jedoch eindeutig über das Ziel hinaus.

Inhalt des Dienstleistungspakets sind vier Einzelmaßnahmen, von denen drei als Richtlinie rechtlich verbindlich sein sollen: die elektronische Dienstleistungskarte, das Notifizierungsverfahren und die Verhältnismäßigkeitsprüfung von Berufsreglementierungen. Zudem gibt es noch eine Verordnung zur Dienstleistungskarte und eine Empfehlung zur Berufsreglementierung.

Die Hoffnung, dass das gesamte Dienstleistungspaket empfehlenden Charakter haben wird, hat sich leider zerschlagen. Die aktuellen Vorschläge zielen darauf ab, unsere vergleichsweise hohen Anforderungen und Qualitätsstandards für Berufszugänge aufzuweichen.

Das Dienstleistungspaket ist ein weiterer Schritt in Richtung Deregulierung. Das, meine Damen und Herren, ist nicht gut für Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Betroffen sind vor allem Unternehmensdienstleistungen und freie Berufe wie Architekten, Ingenieure, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sowie der gesamte Bausektor. Aber auch das Handwerk mit den Ein- und Ausbaugewerken und den Gebäudereinigern ist betroffen, und damit auch der deutsche Meister. Er steht bei uns noch immer für Qualität und Ausbildung. Hier legt die Kommission die Axt an den deutschen Meister. Auch das dürfen wir nicht zulassen.

Das Handeln der Kommission ist nicht nachvollziehbar. Auf der einen Seite bewertet sie unser duales Ausbildungssystem als Best Practice gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit vor allen Dingen in Südeuropa. Auf der anderen Seite stuft die Kommission den Meisterbrief als Hemmnis für den Berufszugang im Binnenmarkt ein. Auch wenn die Kommission dabei immer wieder betont, den deutschen Meister nicht abschaffen zu wollen, laufen die jetzt vorgelegten Richtlinienvorschläge darauf hinaus.

Meine Damen und Herren, mit ihren Richtlinienvorschlägen wie dem geplanten Notifizierungsverfahren verletzt die Kommission die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit sowie der Subsidiarität nach dem Vertrag von Lissabon. Auch im Blick auf die Berufsreglementierung überschreitet sie ihre Kompetenzen.

Für die Reglementierung der freien sowie der Handwerksberufe sind die Mitgliedstaaten zuständig. Auch hier verletzt der Kommissionsvorschlag die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität, sodass wir eine Subsidiaritätsrüge gegen das Dienstleistungspaket erheben. Dies tun ebenfalls der Bundesrat und auch das französische Parlament. Der Deutsche Bundestag hat von dem Instrument der Subsidiaritätsrüge seit dem Vertrag von Lissabon nur selten Gebrauch gemacht. Deshalb ist es, meine Damen und Herren, an der Zeit, dass wir als nationales Parlament unser Kontrollrecht nutzen und die Verstöße gegen die Subsidiarität rügen.

Trotz der knappen Frist haben wir es geschafft, eine gemeinsame Rüge mit dem Koalitionspartner auf den Weg zu bringen. An dieser Stelle möchte ich ein herzliches Dankeschön an den Koalitionspartner für die gute Zusammenarbeit und die schnelle und unkomplizierte Abstimmung richten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Vor allem die osteuropäischen Staaten, aber auch die Skandinavier und die Briten – trotz Brexit – unterstützen die Vorschläge.

Für mich als Handwerksmeisterin und Sprecherin unserer Fraktion für das Handwerk sind zwei Punkte besonders kritisch: einmal die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Berufsreglementierungen und zum anderen die Elektronische Europäische Dienstleistungskarte. Deshalb will ich auf beide gesondert eingehen.

Die Europäische Kommission kritisiert unverhältnismäßige und veraltete Reglementierungen als Hemmnis zum Berufszugang. Sie schlägt daher Verhältnismäßigkeitsprüfungen bei der Verabschiedung neuer Reglementierungen oder Änderungen vor. Hierzu werden elf neue Prüfkriterien vorgeschlagen, durch weitere zehn ergänzt, die die Entscheidungskompetenzen der nationalen Gesetzgeber einschränken. Die Annahme, dass Deregulierung und Liberalisierung zu mehr Wachstum führen, ist durchaus fraglich. Auch rechtlich gibt es da Zweifel.

Der EuGH hat bisher stets anerkannt, dass Berufsreglementierungen Sache der Nationalstaaten sind. Zudem gibt es bereits vier Verhältnismäßigkeitskriterien des europäischen Gesetzgebers im Rahmen der Anerkennungsrichtlinie. Auch die Mobilität im Binnenmarkt ist durch die Richtlinie zur Anerkennung von Berufsqualifizierungen gewährleistet und funktioniert vor allen Dingen. Die Prüfkriterien der Richtlinie schränken die Entscheidungsautonomie nationaler Gesetzgeber weiter ein. Außerdem müssen neue, unabhängige Stellen für die Verhältnismäßigkeitsprüfung von Berufsreglementierungen eingerichtet werden. Das widerspricht dem Verhältnismäßigkeitsprinzip und schafft neue, unnötige Bürokratie.

Die Dienstleistungskarte soll grenzüberschreitende Arbeiten erleichtern. Praktisch soll die Karte von Dienstleistern in ihrem Herkunftsland beantragt werden, um in einem anderen Mitgliedstaat Leistungen zu erbringen. Das Zielland muss die Dienstleistungskarte akzeptieren und kann keine weiteren Anforderungen stellen. In der Praxis sind die geplanten Prüffristen von zwei Wochen viel zu kurz, sodass faktisch Genehmigungen ohne Prüfung erteilt werden. Auch hier sollen die Mitgliedstaaten entsprechende Behörden einrichten. So werden Doppelstrukturen geschaffen, da es bereits den einheitlichen Ansprechpartner in den Mitgliedstaaten gibt.

Das Herkunftslandprinzip, das wir bei der Dienstleistungsrichtlinie noch verhindert haben, wird hier durch die Hintertür eingeführt. Das lehnen wir strikt ab. Auch für Dienstleister aus anderen EU-Staaten müssen weiter unsere Anforderungen gelten. Der Vorschlag schießt weit über das Ziel hinaus und schränkt die Kompetenzen der nationalen Parlamente ein. Es ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Verwaltung und das öffentliche Wirtschaftsrecht der Mitgliedstaaten. Es kann nicht Ziel sein, neue, kostenintensive bürokratische Verwaltungsstrukturen in den Mitgliedstaaten zu schaffen. Die Schwierigkeiten im grenzüberschreitenden Dienstleistungsbereich liegen an anderer Stelle, zum Beispiel in mangelnden Sprachkenntnissen und unterschiedlichen technischen Ausstattungen.

Mit der Subsidiaritätsrüge senden wir ein wichtiges Signal nach Brüssel. Außerdem wehren wir uns dagegen, dass jetzt schnell im informellen Trilog solche einschneidenden Entscheidungen getroffen werden. In unserem Entschließungsantrag zur Binnenmarktstrategie im Juni letzten Jahres haben wir uns bereits klar gegen solche Eingriffe positioniert.

Europa steht vor großen Herausforderungen und ringt um Wege aus der Krise. Einmischungen in die Subsidiarität und der Ausbau unnötiger und unverhältnismäßiger Bürokratie in den Mitgliedstaaten bringen die Bürger immer mehr gegen die EU auf. Maßnahmen wie das Dienstleistungspaket treiben sie in die Arme der Europagegner. Ich weiß nicht, wie ich das meinen Handwerkern zu Hause erklären kann. Ich bitte daher um Ihre Unterstützung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Als nächstes hat Annalena Baerbock für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7083055
Wahlperiode 18
Sitzung 221
Tagesordnungspunkt EU-Regelungen über Dienstleistungen
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