09.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 221 / Tagesordnungspunkt 26

Sabine PoschmannSPD - EU-Regelungen über Dienstleistungen

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte jetzt einmal deutlich machen, gerade nach Ihrer Rede: Wir haben hier in diesem Parlament bereits zwei Stellungnahmen abgegeben, mehrheitlich. Wir haben ganz klar gemacht, dass wir das Ziel der EU-Kommission, den Binnenmarkt zu vertiefen, grundsätzlich begrüßen. Da waren wir alle einer Meinung; ich glaube, das ist auch weiter so.

Gleichzeitig wollen wir uns aber hiermit kritisch zu einzelnen Aspekten der Binnenmarktstrategie äußern. Das Dienstleistungspaket besteht aus vier Einzelmaßnahmen. Dazu gehören die Dienstleistungskarte, die Stärkung des Notifizierungsverfahrens und ein Analyseraster zur Verhältnismäßigkeitsprüfung. Außerdem gibt die Kommission eine rechtlich nicht verbindliche Reformempfehlung für Berufsregulierung vor. Zu allen Vorschlägen hatten wir uns bereits in unseren vorherigen Stellungnahmen kritisch positioniert.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber darum geht es gar nicht!)

Da ist der Koalitionsantrag für eine Subsidiaritätsrüge jetzt nur folgerichtig.

Bei den Richtlinienvorschlägen zum Notifizierungsverfahren und zur Verhältnismäßigkeitsprüfung sehen wir das Subsidiaritätsprinzip der EU-Verträge verletzt. Sie schränken den Handlungsspielraum des nationalen Gesetzgebers – darum geht es uns jetzt – unverhältnismäßig ein und sind nicht von den EU-Verträgen abgedeckt.

Das Notifizierungsverfahren betrifft neue oder auch zu ändernde Regelungen, die in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie fallen. Es geht also in erster Linie um Berufszulassungs- und Berufsausübungsregeln, von denen insbesondere die Baubranche, aber auch Unternehmensdienstleistungen und der Fremdenverkehr betroffen sind. Regeln in diesem Bereich werden nicht nur vom Bundestag und den Länderparlamenten beschlossen, sondern auch von den Kammern im Rahmen ihrer Selbstverwaltungsbefugnisse.

Eine Notifizierungspflicht gibt es bereits heute, und so richtig überzeugend kann die EU-Kommission nicht begründen, warum das geltende Verfahren reformiert werden muss. Umso kritischer sehen wir die mit dem vorgeschlagenen Verfahren verbundene Einschränkung. So soll es während des laufenden nationalen Gesetzgebungsverfahrens eine dreimonatige Stillhaltefrist geben, in der die Kommission sowie die anderen Mitgliedstaaten die Regeln prüfen und noch einmal kommentieren können. Gibt es Bedenken, kann es zu einer Vorwarnung kommen, und das Gesetzgebungsverfahren kann für weitere drei Monate ausgesetzt werden. Schließlich kann die Kommission das Gesetz sogar komplett stoppen. Dem Mitgliedstaat selbst bleibt dann nur der Gang zum Europäischen Gerichtshof, um gegen diese Entscheidung zu klagen.

Das ist meiner Ansicht nach eine Umkehrung des bisher geltenden Prinzips, wonach die Kommission vor den Europäischen Gerichtshof ziehen musste, wenn sie nationale Regelungen für EU-rechtswidrig hielt. Ein solches Verfahren geht weit über die Kompetenz der EU hinaus, Regelungen für die gegenseitige Anerkennung von Zeugnissen und anderen Nachweisen zu schaffen. Zum anderen widerspricht dieses Verfahren unserem Demokratieprinzip: Jede parlamentarische Tätigkeit mit Bezug zu Dienstleistungen stünde dann unter Genehmigungsvorbehalt der EU-Kommission. Unabhängig davon würde es die nationalen Gesetzgebungsprozesse und somit auch notwendige Reformen natürlich verlangsamen. Gerade weil wir alle bemüht sind, Bürokratie, die nicht sein muss, zurückzudrängen, ist die Frage, warum wir sie hier doppelt aufbauen.

Hinsichtlich der vorgeschlagenen detaillierten Verhältnismäßigkeitsprüfung haben wir ebenfalls erhebliche Bedenken. Wir sind bereits heute dazu verpflichtet, Berufsregulierungen auf ihre Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Die Kriterien dafür wurden vom EuGH entwickelt und sind in der Berufsanerkennungsrichtlinie festgeschrieben. Auch bei diesem Vorschlag ist meines Erachtens nicht ersichtlich, weshalb nun eine Richtlinie gebraucht wird. Laut dieser soll sich die Verhältnismäßigkeit von neuen oder geänderten Berufsregulierungen an EU-einheitlichen Maßstäben orientieren. Das dafür vorgesehene Analyseraster enthält 21 detaillierte Prüfkriterien. Zudem sollen empirische Begründungen der Notwendigkeit sowie ökonomische Wirkungsanalysen vorgelegt werden. Auch das würde diesen Prozess sehr verlängern. Ich denke, eine Umsetzung dieses Vorschlags wird nicht zu einer verbesserten Verhältnismäßigkeitsprüfung in den Mitgliedstaaten führen, sondern eher zu einer schematischen Abarbeitung der Prüfkriterien Es ist sogar zu befürchten, dass die tatsächlich nötige inhaltliche Auseinandersetzung mit der Verhältnismäßigkeit dabei auf der Strecke bleibt.

Mit unserer Kritik sind wir übrigens nicht alleine. Gerade kam ja der Vorwurf, dass wir die Verhältnismäßigkeit im Grunde gar nicht so ins richtige Licht rücken würden.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch nicht! Die Bundesregierung sieht das wie wir!)

Nein, beide Kammern des französischen Parlaments sowie der Bundesrat teilen unsere Subsidiaritätsbedenken. Das Dienstleistungspaket beinhaltet darüber hinaus die Dienstleistungskarte. Frau Strothmann hat es gerade angesprochen. Wir halten eine Subsidiaritätsrüge zu diesem Vorschlag nicht für notwendig. Deshalb differenzieren wir schon sehr. Wir werden das inhaltlich diskutieren müssen und uns damit auch noch weiter kritisch auseinandersetzen. Denn wir sehen hier die Gefahr, dass das Herkunftslandprinzip durch die Hintertür eingeführt wird, was wir entschieden – alle zusammen, glaube ich – ablehnen.

Sehr geehrte Damen und Herren, bei aller Kritik, die ich hier vorbringe, möchte ich zum Schluss noch einmal betonen, dass wir Erleichterungen für den europäischen Dienstleistungsmarkt grundsätzlich begrüßen. Und ich möchte auch ganz klar sagen, dass es uns nicht darum geht, ausländische Konkurrenz aus unserem Land fernzuhalten. Wir sind wie die EU-Kommission an einem freien Dienstleistungsmarkt interessiert, aber wir sollten dabei nicht übers Ziel hinausschießen. Die EU-Kommission sollte, wie sie es auch von ihren Mitgliedsländern verlangt, die Verhältnismäßigkeit wahren.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Zum Abschluss der Debatte hat jetzt der Kollege Dr. André Hahn die Gelegenheit, hier kurz für die Fraktion Die Linke zu reden.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7083072
Wahlperiode 18
Sitzung 221
Tagesordnungspunkt EU-Regelungen über Dienstleistungen
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