10.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 222 / Tagesordnungspunkt 50

Andreas SchwarzSPD - Infrastrukturabgaben und Verkehrsteuern

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich wirklich, heute wieder einmal zur CSU-Maut reden zu dürfen. So langwierige wie auch intensive Gesetzgebungsverfahren hat man ja recht selten hier im Hohen Hause. Man merkt: Dieses CSU-Projekt hatte Geburtsprobleme. Ob das viel zitierte Sprichwort „Was lange währt, wird endlich gut“ die Realität zutreffend beschreibt, muss sich allerdings noch erweisen. Im Moment gilt der klare Arbeitsauftrag aus München: Minister, make Maut great again!

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der geplanten höheren Steuerentlastung für abgasärmere Autos hat Minister Dobrindt auf die Kritik der EU-Kommission reagiert, dass nur Inländer über die Kfz-Steuer ihre Mautzahlungen komplett erstattet bekommen. Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, dass Inländer, deren Fahrzeuge die Euro‑6-Norm erfüllen, sogar noch mehr Geld zurückbekommen, als sie über die Maut gezahlt haben. Das lässt sich der Verkehrsminister immerhin 100 Millionen Euro kosten.

Zudem wurde am Preismodell gearbeitet. Für die Kurzzeitmaut gibt es jetzt – je nach Motorengröße und Schadstoffausstoß – fünf statt drei Stufen. Die Preise für eine Zehn-Tages-Maut liegen zwischen 2,50 Euro und 20 Euro. Im alten Mautgesetz lagen sie noch zwischen 5 Euro und 15 Euro. Der Gesetzentwurf postuliert, dass all diese Änderungen am ursprünglichen Gesetz nicht zu niedrigeren Einnahmen führen sollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, da sind wir beim eigentlichen Kernproblem des Gesetzentwurfs angekommen: bei der Einnahmenseite. Mit der steht und fällt schließlich – wie wir hier ja schon an der lebhaften Diskussion gemerkt haben – das ganze Projekt. Wir als SPD-Bundestagsfraktion sehen in dem Bereich noch Klärungs- und Diskussionsbedarf.

Herr Minister Dobrindt und sein Ministerium gehen nach dem Gutachten von Professor Dr. Wolfgang Schulz von jährlichen Gesamteinnahmen in Höhe von circa 4 Milliarden Euro aus. Davon entfallen rund 3,1 Milliarden Euro auf in Deutschland zugelassene Fahrzeuge und circa 830 Millionen Euro auf nicht in Deutschland zugelassene Fahrzeuge. Abzüglich der Systemkosten und der Mindereinnahmen bei der Kfz-Steuer sollen dann jährlich circa 500 Millionen Euro zur Finanzierung der Infrastrukturmaßnahmen zur Verfügung stehen.

Staatssekretär Dr. Meister aus dem BMF stützt diese Berechnung, über die wir uns ja schon in einigen bilateralen Gesprächen ausgetauscht haben. Es gebe aus Sicht des BMF keine Veranlassung, die Annahmen der Verkehrsexperten des Verkehrsministeriums zu bezweifeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe die beiden Gutachten von Herrn Ratzenberger und Herrn Schulz einmal verglichen. Die große Differenz bei den prognostizierten Einnahmen resultiert zum ganz überwiegenden Teil aus der Schätzung der Ein- und Durchfahrten von im Ausland zugelassenen Fahrzeugen bei Tages- und Geschäftsreisen. Im ADAC-Gutachten wird eine wesentlich höhere Anzahl an Fahrten pro Pkw angenommen. Begründet wird das mit den im kleinen Grenzverkehr üblicherweise recht häufigen Freizeit- und Einkaufsfahrten von Privatleuten und mit häufigen Fahrten über kürzere Distanzen bei Tagesgeschäftsreisen von Handelsvertretern und Handwerkern etc. Genau bei diesen Daten hat aber auch das BMVI keine aktuellere Grundlage als das ADAC-Gutachten. Der Vorwurf des BMF, das ADAC-Gutachten basiere nur auf hochgerechneten Daten aus dem Jahr 2002, ohne aktuelle Statistiken einfließen zu lassen, ist aus meiner Sicht nicht ganz stichhaltig.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Insgesamt kommt das ADAC-Gutachten auf 19 Ein- und Durchfahrten pro ausländischem Pkw, während das Verkehrsministerium hier nur von acht ausgeht. Nach den ADAC-Berechnungen werden nur 10,4 Millionen Vignetten verkauft, was zu einem Gebührenaufkommen von circa 276 Millionen Euro führt. Nach BMVI-Pro­gnose werden 29,6 Millionen Vignetten verkauft, woraus ein Gebührenaufkommen von 834 Millionen Euro resultieren soll. Selbst wenn man nur die Berechnungen der Ein- und Durchfahrten pro Fahrzeug bei Tages- und Geschäftsreisen nach ADAC-Gutachten zur Grundlage nimmt und ansonsten die Parameter aus der BMVI-Pro­gnose unverändert lässt, ergibt sich ein Gebührenaufkommen in Höhe von nur 370 Millionen Euro und damit ein Verlustgeschäft für den Staat. Ich halte die Zweifel, die im Raum stehen, erst einmal für angebracht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie doch dagegen! Das ist doch die Konsequenz, wenn man Zweifel hat!)

Ich bin damit nicht der Einzige. Das wird geteilt vom Normenkontrollrat, der die Zahlen bemängelt. Auf die Bedenken der Länder, die zeitgleich im Bundesrat tagen, möchte ich heute noch gar nicht eingehen.

Ich habe am Mittwoch eine schriftliche Frage an das BMF gerichtet, weil ich gerne wissen möchte, ob das BMF eigene Berechnungen zu den Einnahmeprognosen erstellt hat. Ministerpräsident Stephan Weil hat gestern der Passauer Neuen Presse gesagt – ich zitiere ihn –:

Das Finanzministerium beleuchtet in anderen Fällen die Berechnungen anderer Ministerien sehr kritisch. Es ist erstaunlich, dass ausgerechnet beim Thema Pkw-Maut ein klares Wort von Herrn Schäuble fehlt.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt halt alles! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zu den Managervergütungen bei VW hätte Herr Weil etwas sagen können!)

Dass der Herr der Zahlen bei dieser zentralen Frage schweigt, ist sicherlich seltsam und bedarf der Aufklärung. Auch der Auftritt der BMF-Sprecherin ­Tiesenhausen-Cave auf der gestrigen Regierungspressekonferenz hat leider wenig Erhellendes zu der Frage „Gibt es eine BMF-Berechnung?“ gebracht. Da war manche Antwort mehr im Bereich des Mystischen.

Ich halte es für zwingend geboten, dass das BMF die vorliegenden Daten noch einmal genau überprüft und haargenau nachrechnet.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE])

Es geht hier schließlich um die Einhaltung eines zentralen Versprechens des Koalitionsvertrages, dass kein inländischer Autofahrer durch die Maut mehr belastet werden darf und dass Mehreinnahmen generiert werden müssen. Pacta sunt servanda, das gilt natürlich auch für unseren Koalitionsvertrag. Aber wir sehen es als unsere Pflicht an, im laufenden Gesetzgebungsverfahren bei offenen Fragen für eine endgültige Klärung zu sorgen.

(Beifall bei der SPD)

Mir ist noch wichtig, zu erwähnen, dass die Verabredungen zum ersten Gesetz betreffend die Personalplanung beim Zoll weiterhin Bestand haben. Es bleibt dabei, dass wir zwölf Monate nach Inkrafttreten einen Zwischenbericht erhalten, um zu schauen, ob wegen des Beratungsbedarfs der Bürgerinnen und Bürger beim Personalbedarf eventuell nachgesteuert werden muss.

Zu guter Letzt noch ein Hinweis. Wir möchten nicht durch fehlerhafte Einnahmeprognosen die schwarze Null, die wir uns im Hohen Haus hart erarbeitet haben,

(Lachen bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Gerade ihr!)

in unserem Haushalt riskieren. Deswegen ist genaues Rechnen wichtig.

Ich danke für die geschätzte Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das war noch ein Nachklapp zum Karneval! – Zuruf von der CDU/CSU: Das war aber jetzt der absolute Knaller! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir sind in der Fastenzeit und nicht im Karneval! – Heiterkeit bei der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Tata, tata, tata!)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun der Kollege Oliver Krischer das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7083144
Wahlperiode 18
Sitzung 222
Tagesordnungspunkt Infrastrukturabgaben und Verkehrsteuern
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