10.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 222 / Tagesordnungspunkt 50

Sebastian HartmannSPD - Infrastrukturabgaben und Verkehrsteuern

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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es scheint so zu sein, als ob es hier gar nicht um das Gesetz zur Einführung einer Infrastrukturabgabe geht, sondern als ob im Kern das Wahlkampfthema vorweggenommen wird. Ich kann Ihnen versichern: Für die SPD wird im Zentrum des Wahlkampfs mehr Gerechtigkeit für unser Land und die Menschen, die in diesem Land hart arbeiten, stehen und keine Infrastrukturabgabe.

(Beifall bei der SPD)

Darüber hinaus ist offenbar der Versuch gemacht worden, ein Thema zu besetzen, mit dem man Populisten den Wind aus den Segeln nehmen kann. Es ist über alternative Fakten gesprochen worden. Wenn man sich die Fakten ansieht, dann scheint es nicht so richtig erfolgreich gewesen zu sein, die Einführung der Pkw-Maut dafür zu nutzen, um den Einzug von unverantwortlichen Populisten, Spaltern und Hetzern in regionale oder Länderparlamente zu verhindern. Das scheint offensichtlich nicht der wahre Grund gewesen zu sein. Wir müssten das noch einmal ausdiskutieren.

Ich möchte auf den Ausgangspunkt zurückgehen. Wir haben einen Koalitionsvertrag beschlossen. Ich danke der Opposition dafür, dass sie an diesen Koalitionsvertrag erinnert. Ich versichere Ihnen für die SPD-Bundestagsfraktion: Dieser Koalitionsvertrag gilt, und zwar mit jedem Satz. Daran werden wir uns abarbeiten.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie beim letzten Mal auch schon erzählt!)

– Ich kann ja Ihren Neid verstehen. Im Gegensatz zu Ihnen haben wir einen Koalitionsvertrag. Aber das kommt davon, wenn man nicht mitmachen will.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie können diesen schönen Koalitionsvertrag, den im Wesentlichen wir Sozialdemokraten ausgehandelt haben, jetzt nicht zum Anlass für Ihre Kritik nehmen.

Wir werden die erste Lesung aber dazu nutzen, noch einmal von vorne anzufangen. Wir schauen uns die Einnahmeprognose an. Wir berücksichtigen, was sich in den letzten zwei Jahren getan hat. Wir beschäftigen uns vor allen Dingen mit der Aussage: Dieses Gesetz ist Satz für Satz, so wie es ist, europarechtskonform. Das kann so beschlossen werden. Es muss nichts daran geändert werden. – Darauf hat sich die SPD-Bundestagsfraktion verlassen.

(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Es war doch ganz offensichtlich, dass das nicht stimmt!)

Nun haben wir die Situation, dass es offensichtlich Änderungsbedarf gibt. Diesen Änderungsbedarf, den der Herr Verkehrsminister auch den Gesprächen geschuldet sah, die Sie in Brüssel mit Unterstützung anderer Mitglieder der Bundesregierung geführt haben, werden wir zum Anlass nehmen, die anstehende Anhörung sehr ernst zu nehmen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nehmen Sie Anhörungen sonst nicht ernst?)

Herr Kollege Schwarz hat es bereits gesagt: Wir schauen uns die Einnahmeprognose an. Wir schauen uns die Europarechtskonformität an. Der Koalitionsvertrag gilt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Da hier auch aus regionaler Sicht argumentiert wurde, aus Sicht von Baden-Württemberg oder Bayern, möchte ich darauf hinweisen: Ich komme aus Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen hat einige deutliche Hinweise zur Auswirkung auf die Grenzregionen gegeben, mit denen sich der Bundesrat beschäftigt hat. Wir sind stolz darauf, dass wir als SPD-Bundestagsfraktion im ersten Entwurf des Gesetzes die Änderung bezüglich der Grenzregionen hinbekommen haben, dass die Bundesstraßen, die Bundesautobahnen dort differenziert betrachtet werden. Aber offenbar hat der Bundesrat wiederum Diskussionsbedarf angemeldet; das ist eben Teil der Gesetzgebung auf der Bundesebene. Natürlich werden wir über diese Grenzregionen reden. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich kann mich erinnern, dass wir Vorschläge auf den Tisch gelegt und gesagt haben, dass wir uns auch andere Lösungen vorstellen könnten. Vielleicht diskutieren wir unter dem Eindruck der Beratungen im Bundesrat hierüber noch einmal. Dafür ist das Gesetzgebungsverfahren ja da, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ein letzter Punkt zu einem echten Beitrag für die Infrastruktur; der Kollege Schwarz hat das sehr schön auf den Punkt gebracht. Wir haben natürlich wie immer verschiedenste Gutachten. Aber jetzt komme ich einmal zur Opposition: Natürlich gibt es Gutachten zur Höhe der Einnahmen, die man aus einer solchen Maut erzielen kann. Das muss man plausibilisieren, indem man Anhörungen durchführt. Aber es gibt eine einfache Lösung: Es gibt Gutachten der Regierung, die man sich zu eigen machen kann. Wenn Herr Schäuble erklärt: „Das ist die Einnahmeprognose, die gilt; das ist der Beitrag, den wir durch die Infrastrukturabgabe für die deutsche Infrastruktur erzielen“, dann haben wir damit doch etwas, was wir bisher in der Debatte noch nicht vernommen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Da wir schon dabei sind: Natürlich ist die Maut nicht das Herzensanliegen der SPD. Wir sind aus anderen Gründen in die Koalition eingetreten. Für uns war der Mindestlohn der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der SPD)

Es ging uns um mehr Lohngerechtigkeit von Mann und Frau, um mehr Investitionen in den Wohnungsbau, um mehr soziale Investitionen in unserem Land. Meinen Sie denn ernsthaft, die Maut war das Kernthema unseres Wahlkampfes? Erinnern Sie sich an 2013! Erinnern Sie sich daran, was wir 2017 in den Mittelpunkt stellen! Die Umfragen scheinen darauf hinzudeuten, dass wir damit nicht ganz danebenliegen, sondern dass wir recht haben, wenn es uns darum geht, mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Wir werden uns sicher nicht an der Frage einer In­frastrukturabgabe abarbeiten. Wir werden darauf achten, dass es eine vernünftige Beratung des Gesetzentwurfs gibt, und nicht irgendetwas anderes hineindiskutieren.

Für die Opposition aber in aller Klarheit: Wer eine Maut für alle fordert, die strecken- und wegeabhängig ist, und darüber hinaus ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes zur Grundlage seiner Argumentation macht, der muss wirklich aufpassen. Der gleiche Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat nämlich ein Gutachten statuiert, das besagt, dass kommunale Räte – ich bin selber praktizierender Kommunalpolitiker – sich nicht mit der Frage von TTIP und CETA beschäftigen dürfen. Wenn Sie das zur Maßgabe machen, hätten Sie nie über TTIP und CETA in den Räten diskutieren dürfen. Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, diese wissenschaftlichen Arbeiten zu werten und dann zu entscheiden, ob wir uns das zu eigen machen.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir!)

Darum wird es gehen. Sie machen es sich zu einfach, meine Damen und Herren von der Opposition.

(Beifall bei der SPD)

Es gilt der Koalitionsvertrag. Darauf können sich die Menschen in unserem Land verlassen.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir vor zwei Jahren auch gehört!)

Wir nehmen keinen Satz zurück. Keine deutsche Autofahrerin und kein deutscher Autofahrer wird mehr belastet. Die SPD ist und bleibt in ihrer langen Geschichte die Schutzmacht der kleinen Leute und damit auch der Autofahrer in diesem Land.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Da es offensichtlich andere Teile im Plenum gibt, die das nicht wollen, sage ich: Meine lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger, verlassen Sie sich darauf: Es wird zu keiner Mehrbelastung von deutschen Autofahrerinnen und Autofahrern kommen. – Es ist vielleicht Ironie der Geschichte, dass wir den ADAC an der Seite haben. Aber der Koalitionsvertrag gilt, meine Damen und Herren, und daran werden wir uns messen.

Wir sind die Europarechtspartei,

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihr seid die Schutzmacht!)

eine Partei, die schon 1925 die Vereinigten Staaten von Europa gefordert hat.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Ein Spitzenkandidat wie Martin Schulz muss sich nicht verstecken, wenn es um die Europarechtskonformität geht.

(Beifall bei der SPD)

Wir investieren das Geld, das wir möglicherweise einnehmen, in die deutsche Infrastruktur.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja bravo!)

Darum geht es, meine Damen und Herren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gut, dass wir für das Geld sorgen, das ihr verteilen wollt! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn ihr die Schutzmacht der kleinen Leute seid, warum muss dann der Schulz alles umdrehen? – Gegenruf von der SPD: Es ist doch so! Wir halten uns an die Verträge! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir mal eine Pause! Hier gibt es Klärungsbedarf!)

Es wird sicher hochgradig spannend sein, im Protokoll nachzulesen, was jenseits der förmlichen Redebeiträge zwischen den Fraktionen noch ausgetauscht wird.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was die SPD alles so ist, genau! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Was die SPD für einen Quatsch erzählt! Das wird spannend sein! – Gegenruf des Abg. Sebastian Hartmann [SPD]: Also bitte, Herr Kollege! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Quatsch“ ist aber noch sehr freundlich!)

– Vielleicht trägt der Hinweis zur Beruhigung bei, dass jedenfalls Redebeiträge im Deutschen Bundestag nicht mautpflichtig sind.

(Heiterkeit – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nur die guten! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nur die guten!)

Nun hat die Kollegin Wilms für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7083159
Wahlperiode 18
Sitzung 222
Tagesordnungspunkt Infrastrukturabgaben und Verkehrsteuern
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