Sören BartolSPD - Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf dem Weg hierher bin ich an einem Plakat des Art Directors Club vorbeigekommen. Die Elite der deutschen Kommunikationswirtschaft wirbt mit folgendem Slogan für ihr Festival: „Das Motto der Deutschen: Vorschrift statt Fortschritt?“ Das klingt erst einmal mäßig und ist außerdem ein Vorwurf, der auch in der Debatte um das automatisierte Fahren im Raum steht. Aber wie so vieles im Leben, liebe Werberinnen und Werber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch hier alles eine Frage der Balance.
Apropos Frage. Beim heutigen Thema stehen einige Fragen im Raum: Wie weit ist die Technik eigentlich schon? Ist die weitere Entwicklung Evolution oder Eruption? Wollen wir uns von der Technik bestimmen lassen oder nicht? Wie lösen wir das Problem, dass hochautomatisierte und herkömmliche Fahrzeuge lange Zeit parallel fahren werden?
Vorweg: Ich bin ein Befürworter des automatisierten Fahrens. Ich unterstütze auch das Vorhaben des Bundesverkehrsministers, das Testfeld und den vorliegenden Gesetzentwurf. Warum? Weil ich glaube, dass das automatisierte Fahren eine Riesenchance für die deutsche Automobilindustrie ist, Vorreiter in einem zukunftsweisenden Bereich zu sein. Das ist eine Chance, die wir nicht vertun dürfen, gerade auch im Hinblick auf die Vielzahl der Arbeitsplätze, die in der traditionellen Automobilindustrie in den nächsten Jahren durch Veränderungen im Bereich Mobilität unter Druck geraten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Was passiert, wenn ich die Hand vom Lenkrad nehme und die Maschine übernimmt? Wir brauchen dringend eine Rechtsgrundlage für das automatisierte Fahren. Ich halte diesen Vorstoß allerdings nicht alleine aus wirtschaftlichen Gründen für wichtig. Ich glaube darüber hinaus, dass das automatisierte Fahren das Potenzial hat, die Verkehrssicherheit in Deutschland deutlich zu erhöhen. Der Mensch ist in einigen Situationen die größte Gefahr im Verkehr. Die Sicherheit auf unseren Straßen würde sich durch den Einsatz entsprechender Systeme erhöhen, und die Zahl der Unfälle auf Autobahnen würde sich deutlich verringern.
Ich weiß, wie überzeugt manche Kollegen von ihren eigenen Fähigkeiten als Autofahrer sind. Aber glauben Sie mir, auch wenn einige das nur ungern hören: Das Assistenzsystem mit seinem Algorithmus kann auf der Autobahn sicherer fahren als Sie und ich, sofern die bestimmungsgemäße Verwendung sichergestellt ist.
Ich möchte in dieser Debatte eines ganz klar sagen: Das hochautomatisierte Fahren, über das wir im Moment reden, hat mit dem in der Diskussion immer wieder vorgebrachten Bild des Autofahrenden, der auf dem Fahrersitz die Augen schließt und sich tiefenentspannt von A nach B fahren lässt, nichts, aber auch gar nichts zu tun. Wer von dieser Art des Reisens träumt – gestatten Sie mir die Werbung für unser Schienenpapier –, der sollte auch in naher Zukunft lieber die Bahn nutzen.
(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das sollte er sowieso!)
Das hochautomatisierte Fahren erfordert eine Grundaufmerksamkeit des Fahrers, und zwar permanent. Der Fahrer muss unverzüglich – so steht es auch im Gesetzentwurf – die Kontrolle über sein Fahrzeug übernehmen, wenn das System die Übernahmeaufforderung erteilt, was jeden Moment geschehen kann.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist „Grundaufmerksamkeit“?)
Natürlich: Die Fortschritte, die heute technisch schon möglich sind, werden in naher Zukunft möglicherweise rasch zunehmen. Sie werden sich also noch ein bisschen weiter zurücklehnen können, solange die Grundaufmerksamkeit gewährleistet ist, solange Sie nur so entspannt sind, dass Sie unverzüglich jeden Moment die Kontrolle übernehmen können.
Beim hochautomatisierten Fahren sprechen wir also über eine Erleichterung, mehr Fahrkomfort, mehr Sicherheit, über eine große Evolution der schon vorhandenen Assistenzsysteme. Ein Schläfchen auf der Autobahn? Nein, das gibt es noch nicht.
Ich komme zu den ethischen Fragen von Mensch und Maschine. Wir können keine Algorithmen verklagen, falls etwas passiert, falls das System versagt, falls ein automatisiertes Fahrzeug einen tödlichen Unfall verursacht. Vor deutschen Gerichten können keine Roboter verklagt werden. Auf der Anklagebank sitzt immer ein Mensch: der Fahrer, der Hersteller oder die oder der, die oder der das System möglicherweise fehlerhaft programmiert hat.
Es bleibt kompliziert: Nach welchen Kriterien sollen die Systeme programmiert werden? Etwa wenn ein Unfall nicht zu verhindern ist: Wie handelt das System? Unser Grundgesetz verbietet in zivilen Situationen jedes Abwägen von Leben gegen Leben; kein Menschenleben ist mehr wert als ein anderes. Was soll der Algorithmus in einer Situation tun, in der der Mensch vermutlich intuitiv oder reflexartig entscheidet?
Ich habe auf diese Fragen keine Antwort. Es ist aber sinnvoll, sich derartige Fragen bei der Einführung einer neuen Technologie zu stellen und nicht erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Die aktuelle Debatte um die Entsorgung des Atommülls ist für mich ein alarmierendes Beispiel dafür, wie die Einführung einer neuen Technologie nicht laufen sollte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Minister Dobrindt hat eine eigene Ethikkommission eingerichtet. Lieber Kollege Dobrindt, diese Kritik sei an dieser Stelle einmal erlaubt: Sie hätten hier lieber den Nationalen Ethikrat zurate ziehen sollen.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hätte der ja eine eigene Meinung! Das ist schlecht!)
Offene Fragen sehe ich auch beim Datenschutz. Es muss klar sein, welche Daten wo und wie lange gespeichert sind und unter welchen Umständen sie anonymisiert an Dritte herausgegeben werden können. Im weiteren parlamentarischen Verfahren, etwa bei der kommenden Anhörung, werden wir Lösungen suchen, die am Ende die Zustimmung des Bundesrates finden.
Sie sehen: Fortschritt geht nicht ganz ohne Vorschrift. Ich möchte den beiden eingangs zitierten Schlagworten abschließend noch ein drittes hinzufügen. Es heißt: Vorsicht. Von den in Dubai vollmundig angekündigten Drohnen, die die Bewohner dort schon im Sommer durch das Emirat fliegen sollen und für deren Benutzung man, wie der Spiegel schrieb, „viel Mut und Glauben mitbringen müsse“, sind wir in Deutschland weit entfernt – aus gutem Grund. Blinde Fortschrittsgläubigkeit hat in der Menschheitsgeschichte selten zu etwas Gutem geführt. Die griechische Mythologie ist voll von warnenden Beispielen. Ein „Volle Kraft voraus“, eine „Augen zu und durch“-Mentalität beim automatisierten Fahren würden in einer Katastrophe enden.
(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Richtig!)
Ich plädiere also für den vorliegenden Gesetzentwurf, der das automatisierte Fahren in engen Grenzen gerade auch auf Abschnitten deutscher Autobahnen zulässt, wenn es uns gelingt, die Fragen, die auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme – wie ich finde, zu Recht – angemahnt hat, im parlamentarischen Verfahren zu klären.
Ich wünsche mir zudem ein gründliches Nachdenken, eine wirklich breite Debatte über die ethischen Fragen, die sich spätestens mit dem autonomen Fahren stellen, eine Debatte, die sich dem Fortschritt nicht verschließt, sich dabei aber der eigenen Möglichkeiten und Grenzen auch bewusst ist. Diese Debatte müssen wir nicht nur, aber auch in diesem Hause führen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Stephan Kühn.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7083253 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 222 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Straßenverkehrsgesetzes |