10.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 222 / Tagesordnungspunkt 55

Fritz FelgentreuSPD - Entlastung Alleinerziehender

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das ganze Haus ist sich, glaube ich, darin einig, dass Alleinerziehende im Vergleich zu Elternpaaren ganz besondere Aufgaben meistern und auch mit zusätzlichen Kosten fertigwerden müssen. Noch teurer wird das Leben für sie, wenn die getrennt lebenden Eltern eines Kindes beide den Anspruch haben, sich um ihr Kind liebevoll zu kümmern und ihm ein echtes Zuhause zu bieten, egal ob es sich gerade beim Vater oder bei der Mutter aufhält. Genau dann entstehen zusätzliche Kosten etwa für ein zweites Kinderzimmer, für Kleidung, für Vereine, für kulturelles Angebot und, und, und. Diese alltäglichen Sorgen werden für die Solidargemeinschaft allerspätestens in dem Moment eine Herausforderung, in dem mindestens der Haushalt, in dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat, von Transferleistungen abhängig ist. Meistens geht es dabei um alleinerziehende Mütter, die mit ihrem Kind von Arbeitslosengeld II leben.

Relativ leicht ist es noch, sich darüber zu verständigen, was wir alle gemeinsam nicht wollen. Wir wollen nicht, dass die Kinder unter dieser unglücklichen Lebenssituation unnötig leiden, und wir wollen nicht, dass für die Mutter ein Anreiz entsteht, den Umgang mit dem Vater zu verhindern. Beide Überlegungen sprechen gegen die gegenwärtige Lösung, gegen die sogenannte – Achtung, Fachterminus – temporäre Bedarfsgemeinschaft.

Nach geltendem Recht ist es so: Das Jobcenter kann tageweise den Aufenthalt des Kindes beim Vater berechnen und die entsprechenden Tagessätze – natürlich nur für das Kind, nicht für die Mutter – von dem Geld abziehen, das es an den Haushalt der Mutter überweist. Aus der persönlichen Sicht der Mutter, die den Haushalt führt, heißt das dann: Jeder Tag, den mein Kind bei meinem Ex verbringt, bedeutet, dass meine sowieso schon knappe Kasse noch ein bisschen leerer wird. Keine gute Voraussetzung für eine partnerschaftliche Kindeserziehung! Zum Glück verfahren bei weitem nicht alle Jobcenter so. Aber aus Sicht der SPD ist klar: Das ist vielleicht rechtlich einwandfrei – deswegen möchte ich Ihnen auch widersprechen, Herr Strengmann-Kuhn, dass es hier um das Existenzminimum geht –; aber es geht an der Lebenswirklichkeit vorbei. Davon wollen wir wegkommen.

(Beifall bei der SPD)

Unser Koalitionspartner meint, das zusätzliche Geld, das Alleinerziehende jetzt schon bekommen, reiche aus, um das Problem zu lösen. Das sehen wir anders. Wir sind auch nicht glücklich mit dem enormen Aufwand, den manche Jobcenter betreiben, um nach den bestehenden Regeln den Anspruch der Eltern zu berechnen. Leistungsbescheide von 200 Seiten Umfang, wie der Kollege Paschke sie eben erwähnt hat, sind zwar zum Glück auch in diesen Fällen eine Ausnahmeerscheinung, aber, liebe Frau Voßbeck-Kayser, bei aller Wertschätzung für die Berücksichtigung individueller Lebenssituationen sind sie doch eine Ausnahme, die wir in Zukunft nicht mehr erleben wollen.

Andererseits wollen wir aber auch keine Lösung, die bei Paaren den Eindruck erweckt, dass der Solidargemeinschaft ihre Kinder möglicherweise weniger wert sind als die Kinder Alleinerziehender oder dass sie die Familie mit nur einem Elternteil gegenüber Elternpaaren besonders fördern wolle. Dazu noch eine Randbemerkung: Das Gegenteil ist der Fall. Natürlich wünschen wir – auch hier denke ich, dass ich für das ganze Haus sprechen kann – allen Kindern und allen Familien, dass sie zusammenbleiben. Aber im Leben kommt es nun einmal sehr oft anders. Dann brauchen die Kinder und die Familien Verständnis und Solidarität.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das muss der Staat dann bezahlen!)

– Ja, natürlich, auch das.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Interessant!)

Trotzdem fällt es mir bei den Vorschlägen der Linken schwer, gegenüber Paaren zu vertreten, dass die zusätzliche Unterstützung, die Sie vorschlagen, nicht auf eine Bevorzugung hinausläuft. Sie wollen den Kindern Alleinerziehender grundsätzlich das Anderthalbfache dessen zugestehen, was andere Kinder erhalten.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie können ja einen anderen Vorschlag machen!)

Auch diesen Weg wird die SPD nicht mitgehen,

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie hoch ist denn der Mehrbedarf nach Ansicht der SPD?)

und zwar nicht, weil wir den Familien Unterstützung vorenthalten wollen, nein, sondern aus Gründen der Gerechtigkeit.

Am Ende müssen wir eine Lösung finden, die vom Kindeswohl ausgeht. Das Kind braucht beide Eltern, und zwar möglichst ohne Streit und Ärger. Deshalb müssen wir den Regelsatz des Kindes dort lassen, wo es meistens lebt, also in der Regel bei der Mutter. Für die Zeiten, die es mit dem Vater verbringt, wollen wir einen nach Alter und Dauer gestaffelten Umgangsmehrbedarf anerkennen, der aber nicht die von den Linken vorgeschlagenen Ausmaße erreicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, liebe Frau Freudenstein, ich lade Sie herzlich ein, Ihren Widerstand gegen eine lebensnahe und familienfreundliche Lösung aufzugeben. Den Antrag der Linken können wir aus guten Gründen heute gemeinsam ablehnen. Aber einen vernünftig ausgestalteten Umgangsmehrbedarf sollten wir trotzdem einführen,

(Beifall bei der SPD)

und zwar einfach, um Kindern, die es schwerer haben, das Großwerden in solidarischer Verantwortung ein kleines bisschen leichter zu machen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7083319
Wahlperiode 18
Sitzung 222
Tagesordnungspunkt Entlastung Alleinerziehender
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