Kerstin AndreaeDIE GRÜNEN - Arbeit 4.0 - Arbeitswelt von morgen
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wirtschaftsmagazin brand eins hat in seiner Märzausgabe getitelt: „Neue Arbeit ... ist mehr als alte Arbeit mit Internetanschluss“. Digitalisierung verändert nicht nur die Art, wie wir produzieren grundlegend, sondern auch unsere Arbeitsweise. Arbeit wird technischer, vernetzter und flexibler. Das bietet auch eine Chance für humanere und selbstbestimmtere Arbeit.
Aber was wir uns fragen müssen, ist, ob das Neue auch in das Alte passt. Die Motivation für unseren Antrag war, sich dieser Frage zu stellen: Wie verändert sich eigentlich die Arbeitswelt? Wie gehen wir damit um, wenn die Menschen Angst davor haben, dass die Digitalisierung ihren Arbeitsplatz gefährdet? Wer verliert überhaupt? Wir sind uns ganz sicher: Wir können und wollen diese Entwicklung nicht aufhalten; aber wir können und müssen sie gestalten und dafür sorgen, dass niemand abgehängt wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Die Voraussetzungen dafür sind, dass wir alle Menschen mitnehmen, befähigen, fördern, qualifizieren. Digitalisierung schafft bessere Möglichkeiten, sich zu informieren und weiterzubilden. Das reicht aber nicht aus. Schulen brauchen bessere Ausstattungen. Lehrer müssen geschult werden. Weiterbildungsangebote, gerade für Geringqualifizierte, Ältere und Menschen mit Migrationshintergrund, sind vonnöten.
Weiterbildung und Qualifizierung dürfen nicht vom Geldbeutel der Menschen abhängen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Weiterbildung daran scheitert, dass das Geld dafür nicht aufgetrieben werden kann, dann ist das ein Fehler. Was wir Ihnen vorschlagen, ist, dass Agenturen und Jobcenter zu Zukunftsagenturen für Arbeit und Weiterbildung ausgebaut werden. Arbeitsuchende und Erwerbstätige bei der Weiterbildung aktiv zu unterstützen, das ist unser konkreter Vorschlag.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Zweite ist, dass wir Regeln für diesen digitalen Wandel brauchen. Das betrifft den Beschäftigtendatenschutz. Da geht es um Regeln, um der Entgrenzung entgegenzuwirken. Das nimmt im Übrigen auch die Arbeitgeber in die Pflicht. Wo hört Selbstbestimmung auf, und wo fängt Ausbeutung an?
Nun hat die Ministerin Nahles mit dem Grünbuch im Jahr 2015 die richtigen Fragen gestellt. Dort steht:
Mit Arbeiten 4.0 wollen wir eine wichtige Debatte eröffnen und Fragen stellen, gemeinsame Antworten finden.
Und weiter:
... am Ende des Prozesses werden wir genauer wissen, wie wir in Zukunft arbeiten möchten und was wir tun müssen.
Wir sind am Ende des Prozesses; aber ich habe nicht den Eindruck, dass Sie die gewünschten Antworten haben. Das Weißbuch sollte Lösungen liefern; aber es bleibt im Konjunktiv: hätte, müsste, sollte.
Dort, wo es konkret werden muss, da fehlt Ihnen der Mut für konkrete Antworten; aber wir brauchen eine mutige Bundesregierung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben wir!)
Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Die Menschen wollen flexibler arbeiten, Arbeit und Familie besser verbinden, aber nicht im Goodwill des Arbeitgebers. Beschäftigte brauchen eine echte Wahlarbeitszeit – Selbstbestimmung und Freiheit, größere Freiheit hinsichtlich Ort und Zeit der eigenen Arbeit.
Was machen Sie jetzt? Sie bieten eine dreijährige Experimentierklausel für ausgewählte Betriebe an und auch nur für Beschäftigte mit Tarifvertrag. Das ist weder ein klarer Rahmen noch eine klare Ansage. Beschäftigte wollen ein Recht auf Homeoffice. 74 Prozent der Beschäftigten geben heute an, sie wollten mehr von zu Hause arbeiten. Wir wollen, dass hier ein Rechtsrahmen geschaffen wird, dass Rechtssicherheit besteht. Das nutzt auch der Motivation der Menschen. Das hat viel mit veränderten Arbeitswelten zu tun und viel mit der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Dann müsste das Auto von zu Hause aus gebaut werden! – Zuruf des Abg. Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU])
– Natürlich, Herr Lengsfeld, kann die Bäckerin nicht von zu Hause ihre Brötchen verkaufen. Homeoffice funktioniert natürlich nur da, wo es betriebsbedingt möglich ist.
Aber wenn nur 12 Prozent der Betriebe dies in Anspruch nehmen, obwohl es bei 40 Prozent der Betriebe möglich wäre und 74 Prozent der Menschen das wollen, dann ist da eine Schieflage. Das ist das, was wir meinen, wenn wir sagen: Wir brauchen hier Rechtssicherheit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Digitalisierung schafft mehr Selbstständigkeit. Wir Grüne unterstützen das. Selbstständigkeit ist eine Graswurzel unserer Wirtschaft, eine wichtige Quelle für Innovation. Aber ihre Stärke kann sie nur ausspielen, wenn sie sich nicht im sozial luftleeren Raum bewegt. 50 Prozent aller Solo-Selbstständigen haben weder eine gesetzliche noch eine private Altersversicherung. Deswegen sagen wir: Wir müssen die Versicherungen zu Bürgerversicherungen weiterentwickeln, wobei alle mitgenommen werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Wir brauchen gerade für Gründer und für diejenigen in diesen neuen Beschäftigungsformen einen bezahlbaren Zugang zu den Sozialversicherungssystemen. Es kann doch nicht sein, dass die Sorge um die soziale Absicherung dazu führt, dass man sich nicht in dieser neuen Arbeitswelt zurechtfindet, dass Existenzsicherung die eigene Kreativität so hemmt, dass man seinen Platz nicht findet. Hier brauchen wir Antworten von Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Schließlich müssen wir Arbeit neu denken. Dazu gehören neue Beschäftigungsformen wie Crowdworking. Es gibt digitale Plattformen. Da verdienen sich viele ein paar Euro oder auch mehr dazu; das ist gut. Das Problem ist, dass dieser neue Markt 24 Stunden jeden Tag global im Wettbewerb steht.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das ist kein Problem! Das ist gut!)
Hier ist ganz deutlich erkennbar, dass das Neue nicht mehr in das Alte passt. Deswegen müssen wir darüber nachdenken. Wir können nicht einfach stehen bleiben. Plattformen dürfen kein rechtsfreier Raum sein. Auch da brauchen wir Lösungen von Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])
Wir befinden uns mitten in einem gigantischen Umbruch. Manche sprechen von einer digitalen Revolution mit ähnlich umwälzenden Folgen wie denen der industriellen Revolution vor 200 Jahren. Die Geschwindigkeit der Veränderungen stellt jeden Einzelnen, aber auch die Gesellschaft insgesamt vor große Herausforderungen. Die Politik ist gefordert, hier Antworten zu liefern.
Deswegen legen wir Ihnen den Antrag „Arbeit 4.0“ vor. Ich möchte, dass wir in die Diskussion über Instrumente gehen, die dazu beitragen, dass die Menschen mit dieser Digitalisierung und mit dieser Veränderung am Arbeitsplatz, in der Arbeitswelt klarkommen, sich sicherer fühlen und an dieser Veränderung teilnehmen. Gehen wir in die Diskussion!
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir diskutieren mit!)
Uwe Lagosky ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7089263 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 225 |
Tagesordnungspunkt | Arbeit 4.0 - Arbeitswelt von morgen |