23.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 225 / Tagesordnungspunkt 5

Lars CastellucciSPD - Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede Herrn Oppermann zitiert. Ich wollte zu Beginn meiner Rede eigentlich Herrn Mayer zitieren, aber stattdessen frage ich als Erstes Herrn Gutting, ob die Farbe seiner Jacke ein politisches Statement ist.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Das beschäftigt mich gerade irgendwie mehr. Vielleicht schwimmen Ihnen ja so langsam die Felle davon.

(Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Sonst haben Sie keine Probleme?)

Das ist mir nur aufgefallen.

Herr Mayer, Sie haben der Presse heute Morgen schon mitgeteilt, dass Sie für eine härtere Gangart bei Abschiebungen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber wenn ich mir die entsprechende Statistik aus Ihrem Heimatland anschaue, dann fällt mir auf, dass die Zahl der Abschiebungen in Bayern im letzten Jahr gesunken ist.

(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Kein Land schiebt so viel ab wie Bayern!)

Der bayrische Löwe startet mal wieder mit einem Sprung und landet als Bettvorleger. Was ich besonders interessant fand: Der bayerische Innenminister Herrmann zieht trotzdem eine positive Bilanz. Ich finde das großartig. Das gibt es wirklich nur bei der CSU.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Finden Sie das denn richtig?)

Zurück zum Ernst, der dieser Angelegenheit angemessen ist. Es gibt Menschen, die hierbleiben dürfen, und es gibt Menschen, die nicht hierbleiben dürfen.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Dann müssen sie abgeschoben werden!)

Wenn diejenigen, die nicht hierbleiben dürfen, trotzdem hierbleiben,

(Zuruf von der CDU/CSU: Dann stimmt was nicht!)

dann zeigt das, dass unser Rechtsstaat nicht funktioniert. Deswegen müssen wir Ausreisen durchsetzen, wenn die Pflicht dazu besteht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Schleswig-Holstein zum Beispiel!)

Ich führe bei mir im Wahlkreis hin und wieder sogenannte Wohnzimmergespräche. In den letzten Monaten ist ein Satz immer häufiger gefallen. Er lautete: Der Rechtsstaat muss für alle gelten. – Die Menschen sagen: Bei mir werden Steuern und Abgaben abgezogen, wenn ich über eine rote Ampel fahre, muss ich zahlen, usw. Und sie fragen mich: Wie kann das sein, dass Menschen einfach über die Grenze kommen? Oder: Wie kann es sein, dass Menschen, die hier sind, aber nicht hier sein dürfen, trotzdem hierbleiben können? Ich glaube, dass wir den Rechtsstaat in Gefahr bringen, wenn wir nicht für klare Verhältnisse sorgen. Deshalb: Wer Ausreisen nicht durchsetzen will, der kann das Asylrecht auch gleich abschaffen; denn das eine bedingt das andere.

(Beifall der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU])

Ich kämpfe für das Asylrecht. Deswegen finde ich: Abschiebungen gehören dazu.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Warum gelingen Abschiebungen nicht? Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen, und einer ist, dass die Identität der betreffenden Personen nicht festgestellt werden kann. Ja, es ist so: Viele, die zu uns kommen, besitzen keine Papiere. Das ist ihnen vielfach gar nicht vorzuwerfen. Es kann sein, dass sie die Papiere abgeben mussten, weil die Schleuser es von ihnen verlangt haben. Die abgenommenen Papiere werden so zu den gefälschten Papieren der nächsten Flüchtlinge, die wiederum von diesen Schleusern abhängen. So entsteht ein neues Geschäft. Dass wir keine legalen und sicheren Zugangswege über sogenannte Kontingente eröffnen – darüber haben wir uns häufiger ausgetauscht –, ist ein Teil der Misere, die zu diesen Geschäften beiträgt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Aussage, es könne nicht sein, dass einer ohne Papiere, aber mit Handy kommt, zeugt – das muss ich leider sagen – nicht von besonderer Kenntnis; denn man kann sich ohne Papiere auf die Reise machen, ohne Handy aber nicht.

Es geht darum: Man kann hier ohne Papiere ankommen; aber von demjenigen, der hier Hilfe erwartet oder auch nur erhofft, können wir erwarten, dass er mitwirkt an der Feststellung seiner Identität. Wenn jemand keine Papiere hat, aber ein Handy, dann muss man im Zweifel nach Ausschöpfung aller anderen Mittel, nach dem Interview und nach Hinzuziehung von Experten, auch die Handydaten nutzen können. Ich glaube, das ist nicht nur vertretbar, sondern auch geboten. Wir haben ein Recht darauf, zu wissen, wer bei uns ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nun wird von verschiedenen Seiten Kritik an diesem Gesetzentwurf laut, unter anderem daran, dass wir vorsehen, dass Menschen länger in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben sollen. Das bringt mich zu der Frage, wie es um die Verfahren bestellt ist. Sehr geehrter Herr de Maizière und verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei diesem Thema platzt mir langsam der Kragen. Es ist nun einmal so, dass man die Leute nicht abschieben kann, bevor das Verfahren abgeschlossen ist. So wird kein Schuh draus.

Wir haben bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass wir eine Verfahrensdauer von drei Monaten anstreben. Im letzten Jahr wurde uns jedes Vierteljahr von Ihnen und vom Bundesamt auf die Frage, ob alle Mitarbeiter an Bord seien, gesagt: Ja, das werden wir bis zum Ende des Quartals schaffen. – Auf die Frage, ob die liegengebliebenen Verfahren abgearbeitet sind, wurde gesagt: Ja, das werden wir bis zum Ende des Quartals schaffen. – Und auf die Frage, ob die Verfahren jetzt durchschnittlich drei Monate dauern, wurde gesagt: Das werden wir bis zum Ende des Quartals schaffen. – Jetzt erhalten wir die Asylgeschäftsstatistik, in der von einem Rückgang der Antragszahlen um 71,5 Prozent und 333 000 anhängigen Verfahren – Stand Februar – die Rede ist.

Sehr geehrter Herr Minister, das kann so wirklich nicht bleiben. Dieser Gesetzentwurf erweckt mal wieder den Eindruck, als seien die Leute, die zu uns kommen, schuld an allen Problemen, weil sie täuschen, tricksen und sich nicht richtig verhalten. Wir müssen diese Verfahren in Ordnung bringen. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Nur dann können auch die Abschiebungen funktionieren.

(Beifall bei der SPD)

Vernünftige Verfahren heißt, dass wir eine angemessene Verfahrensdauer brauchen, und zwar nicht gemessen zwischen Beginn und Ende des Verfahrens, sondern ab dem Zeitpunkt, zu dem die Leute über die Grenze kommen. Wir müssen die Rechtsberatung in die Verfahren integrieren. Stand letztes Jahr hatten wir 150 000 bei den Gerichten anhängige Verfahren. Das ist doch kein Zustand. Das führt doch zu immer weiteren Verzögerungen.

Ich bin dafür – jetzt komme ich zur Kritik der Verbände –, dass die Menschen so lange in den Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben, solange ihr Verfahren läuft, und nur verteilt werden, wenn klar ist, dass sie hier eine Bleibeperspektive haben. Alles andere macht doch gar keinen Sinn. Die Menschen reißen sich ein Bein aus, werden Patinnen und Paten, sorgen für Wohnungen, sorgen für Ausbildungsplätze, kümmern sich darum, dass die Integration vor Ort funktioniert, und rums werden die Leute woandershin verteilt oder müssen das Land wieder verlassen. Das ist nicht sinnvoll. Deswegen ist es vernünftig, zu sagen: Solange die Verfahren laufen, sind die Menschen an einem Ort, wo zentral alles für sie getan wird. Das geht aber nur, wenn wir eine Verfahrensdauer von drei Monaten haben.

(Beifall bei der SPD – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie aber nicht!)

Die Verbände fragen: Wo sind die Räumlichkeiten, in denen derjenige, der zur Schule geht, lernen kann? Wie sieht es mit der Privatsphäre aus? Wie sieht es mit dem Zugang zu Freizeitangeboten, mit Teilhabeangeboten aus? – Dazu sage ich: Ja, auch das muss in diesen Erstaufnahmeeinrichtungen gewährleistet werden. Das ist kein Argument dafür, dass die Leute sofort im Land verteilt werden müssen.

Im Übrigen: Wenn man gerade auf die Abschiebungen schaut, die schon stattgefunden haben, ist es ja so, dass sich unter den Abgeschobenen viele Menschen befinden, die schon viele, viele Jahre hier in Deutschland ansässig sind, die zum Teil über einen Arbeitsplatz verfügen, die ihren eigenen Lebensunterhalt finanzieren können und die angefangen haben, unsere Sprache zu lernen. Ich bin der Auffassung, wenn wir zu einer härteren Gangart bei den Ausweisungen kommen, wie es gefordert ist, dann sollten wir auch Wege eröffnen, sodass diejenigen, die schon lange hier sind und die schon begonnen haben, sich zu integrieren, hier in diesem Land auch eine Bleibeperspektive haben. Alles andere macht keinen Sinn.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Dazu zählen im Übrigen auch die sogenannten Dublin-Fälle. Im Moment ist es so, dass die eine Abteilung versucht, Leute, die schon sehr lange hier sind, wieder zurück nach Italien und bald auch nach Griechenland zu bringen. Die nächste Abteilung an Beamten ist händeringend darum bemüht, Leute aus Italien und bald auch aus Griechenland nach Deutschland zu bringen. Wir bringen Leute zurück, die angefangen haben, sich hier zu integrieren, und wir holen uns wieder Leute, die hier bei null anfangen. Das ist doch ein neues Kapitel im Roman zu Schilda, das macht keinen Sinn. Ein solches Verfahren müssen wir unbedingt beenden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Also, wir sind in der Passionszeit. Wenn man die Passion hört, dann ist da der Ruf des Volkes: „Kreuziget ihn!“ Da sind wir heute weiter. Heute ruft man nur nach einem neuen Gesetz. Das ist natürlich ein Fortschritt. Ob jedes Gesetz ein Fortschritt ist, ist damit noch nicht gesagt. In jedem Fall gilt: Die Gesetze, die wir haben, und die Gesetze, die wir jetzt verabschieden, muss man konsequent umsetzen, und dazu rufe ich Sie auf. Das ist das Allererste, was wir tun müssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Als nächste Rednerin spricht Luise Amtsberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7089311
Wahlperiode 18
Sitzung 225
Tagesordnungspunkt Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht
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