23.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 225 / Tagesordnungspunkt 7

Markus PaschkeSPD - Arbeitslosenversicherung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Guter Antrag!)

Vor einigen Monaten war in meiner Bürgersprechstunde ein Facharbeiter aus der Textilindustrie. Er ist Mitte 40 und hat 25 Jahre im selben Unternehmen gearbeitet, bis dessen Insolvenz seine Lebensplanung kaputt gemacht hat. Die früher stolze und starke Textilindustrie produziert heute in Deutschland so gut wie gar nicht mehr. Der Strukturwandel hat dazu geführt, dass der Facharbeiter keine Alternative in der Region mehr hat und mit seinen Qualifikationen keine Chance auf dem Arbeitsmarkt erhält.

So wie ihm geht es vielen Menschen in Deutschland. Eine einmal erworbene Qualifikation reicht längst nicht mehr für ein gesamtes Berufsleben. Vonseiten der Politik können wir die Betroffenen nicht alleinlassen und sagen: Pech gehabt! Wenn du noch arbeiten willst, arbeite unter deiner Qualifikation. Hauptsache, du bist schnell wieder in einem Job. – Vielmehr sind wir es den Menschen schuldig, sie dabei zu unterstützen, eine Perspektive für die Zukunft zu finden.

Dieser Facharbeiter muss noch 20 Jahre arbeiten. Er will auch noch 20 Jahre arbeiten. Eine gute und zukunftsfähige Qualifizierung lässt sich aber nicht mit Praktika und Kurzschulungen erreichen.

(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Recht hat der Mann!)

Deshalb brauchen wir einen Rechtsanspruch auf Qualifizierung.

(Beifall bei der SPD)

Der Qualifizierungszeitraum darf dann nicht auf die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes angerechnet werden. Das ist doch ganz klar.

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber beim ALG II geht das alles!)

Das ist auch der Grund, warum Andrea Nahles und Martin Schulz

(Beifall bei der SPD – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Funktioniert das auch auf Knopfdruck?)

– damit nicht nur Klaus Ernst von unserem Vorsitzenden redet –

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die Nahles war das aber nicht!)

den Vorschlag gemacht haben, das Arbeitslosengeld Q – „Q“ bedeutet Qualifizierung – einzuführen. Das hilft den Menschen und gibt ihnen für die Zukunft eine Perspektive.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Zu dir komme ich gleich noch.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Lassen Sie die Zwischenfrage zu? Ich sehe es Ihrem Gesicht schon an.

Gerne.

Bitte.

Ganz herzlichen Dank, lieber Kollege Paschke, dass die Zwischenfrage zugelassen wird. – Inzwischen ist so häufig, nicht nur heute Morgen, sondern auch jetzt, von einem Abwesenden die Rede, dass man fast den Eindruck haben könnte, hier wird ein Lied von ­Mireille Mathieu intoniert: „All meine Träume heißen Martin, Martin, denn seine Liebe war so schön“.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Gleichwohl: Es wurde hier schon mehrfach über das Arbeitslosengeld Q gesprochen, das für ältere Arbeitslose sozusagen eine Verlängerung des Bezuges von Arbeitslosengeld mit der Möglichkeit vorsieht, sich zu qualifizieren. Das kann man durchaus machen. Mich interessiert thematisch, wie es mit Ihrem Bild von sozialer Gerechtigkeit vereinbar ist, wenn gleichzeitig die Perspektive „50plus“ nicht mehr weitergeführt wird, also Langzeitarbeitslose nicht weiter besonders gefördert werden.

Ich bitte einfach darum, mir zu versichern, dass das nicht das Bild der sozialen Gerechtigkeit ist, das die SPD im Wahlkampf präsentieren will, dass sie die Gesellschaft nicht spalten will, dass sie die Langzeitarbeitslosen nicht abhängen will, sondern dass sie sich wie die Union darum bemüht, alle in Arbeit zu bringen, seien sie langzeitarbeitslos oder seien sie im SGB III.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lieber Kollege Zimmer, ich freue mich über diese Zwischenfrage und Anmerkung. Das gibt mir Gelegenheit, genau diesen Punkt herauszuarbeiten. Heute reden wir über die Arbeitslosenversicherung. Da ist Qualifizierung dafür, in der Zukunft Perspektiven zu haben, ein ganz entscheidender Punkt.

Sie haben gerade die Förderung von Langzeitarbeitslosen angesprochen. Wir sind dazu bereit. Wir können sofort die Einführung des Passiv-Aktiv-Transfers unterschreiben,

(Beifall bei der SPD)

sodass wir etlichen Langzeitarbeitslosen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt geben. Das ist doch bisher an der Union gescheitert und nicht an der SPD.

(Beifall bei der SPD – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das war jetzt ein Rohrkrepierer! – Katja Mast [SPD]: Eigentor!)

Wir waren aber beim Arbeitslosengeld, bei der Qualifizierung. Genau in diesem Zusammenhang finde ich interessant – ich habe heute Morgen gut zugehört bei der Diskussion –, dass genau diejenigen dieses Konzept am lautesten kritisieren, die auch am lautesten über Fachkräftemangel jammern und die bisher nicht bereit sind, unsere Jugendlichen bei der Ausbildung ausreichend zu unterstützen und jedem einen Ausbildungsplatz zu bieten. Ich sage es ganz deutlich: Wenn dann einige Politiker auf diesen Zug aufspringen, dann frage ich mich, mit welcher Motivation sie dies tun und wessen Interessen sie da eigentlich vertreten.

Ich will das mit einem schönen Bild verbinden: Der Schulz-Zug ist in der Frage der Arbeitslosenversicherung und der Gerechtigkeit ein ICE,

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Mit Neigetechnik!)

und einige versuchen, ihn mit einer handbetriebenen Draisine zum Wettrennen aufzufordern.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Ich freue mich, dass die Linken mit Teilen ihres Antrags auf diesen ICE aufspringen wollen und nicht auf die Draisine. Klaus, da kriegen wir bestimmt etwas hin.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben im Dialogprozess Arbeiten 4.0 den Anspruch auf Qualifikations- und Weiterbildungsberatung festgelegt. Mit dem Gesetz zur Stärkung der beruflichen Weiterbildung und des Versicherungsschutzes in der Arbeitslosenversicherung haben wir Schwerpunkte auf die Weiterentwicklung und Weiterbildung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gesetzt. Wir belohnen Bildung und motivieren zum Weitermachen bis zum erfolgreichen Abschluss. Das sind doch die ersten Schritte hin zu einer zukunftsfähigen und zukunftsorientierten Arbeitsversicherung.

Eine weitere Baustelle ist der Zugang zur Arbeitslosenversicherung. Gerade Menschen in prekären und flexiblen Beschäftigungsformen brauchen eine Absicherung. Ich kann den Ärger der Betroffenen sehr gut verstehen. Kurzfristig Beschäftigte zahlen im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses Beiträge an die Arbeitslosenversicherung und haben dann keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn sie nicht mindestens 12 volle Monate innerhalb von 24 Monaten Beiträge bezahlt haben. Ich finde, das ist nicht gerecht, und weil das nicht gerecht ist, ist auch hier der Schulz-Zug schon in Fahrt gekommen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Andrea Nahles und Martin Schulz haben Anfang des Monats ihre Ideen vorgestellt, wie es besser geht:

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was die SPD alles machen würde, wenn sie an der Regierung wäre!)

Wer in drei Jahren zehn Monate lang Beiträge gezahlt hat, soll zukünftig Arbeitslosengeld erhalten. Damit wird der Schutz in der Arbeitslosenversicherung auf viele kurzfristig und prekär Beschäftigte, Filmschaffende und andere Künstlerinnen und Künstler ausgedehnt. Ich finde, das ist gerecht. Es hilft vor allem den betroffenen Menschen; denn die Menschen müssen im Mittelpunkt stehen.

(Beifall bei der SPD)

Ich lade alle herzlich ein, ein Ticket für diesen ICE zu lösen und gemeinsam mit der SPD die Arbeitslosenversicherung zukunftsfähig und gerechter zu gestalten.

Danke.

(Beifall bei der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Kommt der Schulz-Zug auch zum Koalitionsausschuss? Oder wird die Haltestelle ausgelassen?)

Danke, Herr Kollege. – Als nächster Redner spricht Tobias Zech von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7089579
Wahlperiode 18
Sitzung 225
Tagesordnungspunkt Arbeitslosenversicherung
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