Tobias ZechCDU/CSU - Arbeitslosenversicherung
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Klaus Ernst, vielen Dank erst einmal für die von mir wohlgemeint aufgenommene Sorge um unsere Wahlkampffähigkeit. Natürlich hast du recht: Wir sind nicht im Wahlkampf. Wir sind sechs Monate vor der Bundestagswahl nicht im Wahlkampf, weil wir als Union, als CDU/CSU, dieses Land regieren und uns nicht mit Wahlkampfklamauk aufhalten und eine Sau nach der anderen durchs Land treiben,
(Beifall bei der CDU/CSU)
weil dieses Land und dieses Volk es verdienen, dass man auch sechs Monate vor der Bundestagswahl vernünftige Arbeit abliefert. Dafür stehen wir hier in dieser Koalition und in diesem Parlament
(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Dann müsst ihr mal Horst Seehofer Bescheid sagen!)
und vor allem in dieser Debatte, der Debatte, die wahrscheinlich jeden von uns schon einmal betroffen hat durch die Angst vor Arbeitslosigkeit.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen in der Vergangenheit ging. Ich habe erst vor kurzem wieder daran denken müssen: Ich habe vor knapp 20 Jahren eine Ausbildung bei Edeka gemacht. Ich habe da Tomaten nach Größe und Joghurts nach Datum sortiert. Vor kurzem habe ich gehört, dass es den ersten kassenlosen Supermarkt geben wird, in dem kein Kassierer und keine Kassiererin mehr gebraucht wird. Da habe ich mir gedacht: Was denken sich jetzt meine Kollegen in dem alten Laden? Die können nichts dafür. Die Technologie schreitet fort. – Kollege Paschke hat es ausgeführt: Es gibt Branchen, die verschwinden. Somit ist jeder persönlich, individuell immer wieder mit Arbeitslosigkeit konfrontiert. Dieses Thema lädt dazu ein, aufgegriffen zu werden. Es ist aber kein Thema für Wahlkampf, und es ist auch kein Thema für Klamauk.
Weil ich die Debatte in den letzten Wochen verfolgt habe und auch davon die Rede war, dass man am Arbeitslosengeld schrauben muss, will ich kurz ein paar sachliche Fakten in die Debatte einführen: Wir haben im Vergleich zu 2005 400 000 offene Stellen zusätzlich – on top! – auf dem Arbeitsmarkt. Wir haben so viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte wie noch nie seit Bestehen dieser Bundesrepublik, und seit 2005, seit Angela Merkel regiert, hat sich die durchschnittliche Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I bei über 55-Jährigen nahezu halbiert.
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Sag doch mal, woran das liegt, Tobi! Was hat Angela Merkel damit zu tun?)
Sie ist mit 217 Tagen auf einem historischen Tiefstand. Das ist die Wahrheit.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Zahl der über 55-jährigen Arbeitslosen ist nur leicht gesunken; das stimmt. Man muss aber dazusagen, dass wir mittlerweile 3 Millionen mehr Arbeitnehmer über 55 auf dem Arbeitsmarkt haben. Somit ist die Zahl der über 55-jährigen Arbeitslosen massiv zurückgegangen. Das und nichts anderes ist die Wahrheit. Wir sind seit zehn Jahren auf einem guten Weg. Alles andere redet den Arbeitsmarkt und die Fähigkeiten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland schlecht. Dafür sind wir nicht zu haben.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Klaus, du hast uns einen Tipp für den Wahlkampf gegeben. Ich gebe euch auch einen: Vielleicht müsstet ihr euch auch einen Buchstaben für euer Konzept überlegen. Von Q war schon die Rede. Vielleicht nehmt ihr W für Arbeitslosengeld „Wahlkampf“. Mehr ist es nämlich nicht.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder V wie Verstand! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Oder L wie Links!)
Ich möchte auf den Antrag näher eingehen; er hat es nämlich verdient.
Herr Kollege Zech, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst zu?
Natürlich.
Lieber Tobias, ich möchte noch einmal auf folgenden Zusammenhang eingehen – da sind wir wahrscheinlich gar nicht so weit auseinander –: Ja, Qualifikation ist notwendig, auch für die Älteren, die möglicherweise noch mit 55 ihren Job verlieren. Meine Erfahrung ist, dass gerade die 55-Jährigen das sehr gerne annehmen, weil sie, wenn sie bis 67 arbeiten müssen, nicht zwölf Jahre zu Hause bleiben wollen. Es liegt also nicht daran, dass die Menschen nicht arbeiten wollen. Wenn wir uns darüber einig sind und wenn wir die guten Arbeitsmarktzahlen kennen, dann müsste klar sein, dass eine theoretisch längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes in der Praxis gar keine Wirkung hat, weil die Menschen mit ihrer Qualifikation bzw. spätestens nach einer Qualifikationsmaßnahme wieder Arbeit haben. Das bedeutet: Unser Antrag, auch wenn man die möglichen Kosten entsprechend hochrechnet, ist eigentlich nicht das Problem. Das Problem besteht vielmehr darin, dass eine große Zahl von Älteren – du hast die Zahlen selbst genannt – trotz der Weiterbildung nicht mehr in Jobs kommt.
Wenn jemand mit 55 aus dem Betrieb ausscheidet, dann ist er nach zwei Jahren Weiterbildung 57. Wer stellt denn einen 57-Jährigen noch ein? Es gibt noch zwei Jobs, wo das theoretisch gut funktioniert, nämlich Bundespräsident und Papst. Bei den normalen Bürgern ist das schwieriger.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind da wirklich schon weiter!)
Wir haben jetzt auch schon einen jüngeren Bundespräsidenten. Ja, auch da ist es nicht mehr so, dass man als Älterer gleich wieder einen Job kriegt.
Wenn das Problem ist, dass man Ältere trotz Weiterbildung nicht vermitteln kann, dann ist die Frage: Wie gehen wir mit deren Würde um? Was machen wir mit denen? Schicken wir sie in den Hartz-IV-Bezug, oder schaffen wir eine Lösung, indem wir ihnen länger Arbeitslosengeld-I-Bezug ermöglichen, sodass sie mehr Zeit haben, wieder in Arbeit zu kommen, statt sie kurz vor der Rente nach einem erfüllten Arbeitsleben und möglicherweise 30, 40 oder 50 Jahren Arbeit in Hartz IV zu schieben? Das ist der Sinn unseres Antrags.
Sehr geehrter Kollege Ernst, vielen Dank. Ich habe Ihren Antrag gelesen. Mir ist auch die Ernsthaftigkeit dessen, was dahintersteckt, durchaus bewusst. Das erkenne ich an. Ich bitte aber, mir nachzusehen – ich komme gleich darauf zurück –, dass ich einen anderen Ansatz habe, was die Lösung betrifft.
Ich bin der Überzeugung – insofern haben Sie meine volle Zustimmung –: Für Weiterbildung ist es nie zu spät – bis zum letzten Tag.
(Beifall bei der SPD)
Die Frage ist nur, wer die Weiterbildung anbietet. Dazu gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten. Wenn Sie die Studien vom IAB und vom Institut der deutschen Wirtschaft lesen, welche Art der Weiterbildung zur Reintegration in den Job führt, dann werden Sie feststellen, dass es sich zu 75 Prozent um Angebote der betrieblichen Weiterbildung und nur zu einem sehr geringen Teil um Angebote der Bildungsträger handelt. Wir müssen sicherlich noch einmal darüber sprechen, was unter Weiterbildung zu verstehen ist. Aber grundsätzlich stimmen Sie sicherlich der Aussage zu, dass Weiterbildung der Hauptfaktor ist, wenn es um auskömmliche Renten und gesunde Jobs geht.
Ich glaube aber, dass ihr bei den Symptomen und nicht bei den Problemen ansetzt. Ich gebe der Kollegin Pothmer recht – das ist nichts Neues –: Euer Antrag geht – egal ob es um Q oder W geht – an der Praxis vorbei; denn er würde dazu führen, dass wir ein Mittel für eine weitere Frühverrentungswelle schaffen. Gerade das wollen wir nicht. Wir wollen nicht den leichten Weg in die Frühverrentung gehen. Euer Antrag stellt nichts anderes dar als eine reine Symptombekämpfung und greift nicht dort, wo es notwendig wäre.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die arbeitslos sind, wollen nicht – ich bitte auch hier um Ihre Zustimmung –, dass die Bezugsdauer so lange wie möglich ist, sondern wollen so schnell wie möglich zurück auf den ersten Arbeitsmarkt. Da – und nicht an der Bezugsdauer – müssen wir ansetzen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Daher erkläre ich – ob es nun um Q oder W geht –, dass die Koalition aus CDU/CSU und SPD diesen Antrag in voller Überzeugung ablehnen wird, und das zu Recht.
Frank-Jürgen Weise hat sich zur Verlängerung der Bezugsdauer wie folgt geäußert – ich darf zitieren, Frau Präsidentin –:
Mehr Verteilung schafft Leistungsempfänger statt Leistungserbringer. Der Wettlauf um die höchsten Zahlungen führt in eine Sackgasse.
Diese Sackgasse wollen wir nicht. Wir haben sie erkannt und werden sie umschiffen.
Zur Ehrlichkeit gehört dazu, dass die Kosten unkalkulierbar sind, wenn die Dauer der Arbeitslosengeldzahlungen verlängert wird. Das geht am Bedarf und auch an den Interessen der Arbeitnehmer vorbei. Ich halte eine Verlängerung auch im Hinblick auf die Generationengerechtigkeit für nicht verantwortbar; denn dieses Geld sollte besser für wirkliche Qualifizierungsmaßnahmen eingesetzt werden. Ich will jetzt nicht auf die Details eingehen; das haben schon die Vorredner gemacht. Ich möchte vielmehr betonen, dass wir die Arbeitslosenversicherung in diesem Land in den letzten Jahrzehnten zu einem äußerst modernen Zweig unseres Systems weiterentwickelt haben. Natürlich werden wir auch in Zukunft tatkräftig anpacken. Wir müssen die Arbeitslosenversicherung weiterentwickeln, aber in die Zukunft gewandt und nicht rückwärts. Wir müssen uns dabei an den Arbeitnehmern als Kunden orientieren, und die Kunden wollen zurück auf den ersten Arbeitsmarkt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ähnliches gilt für Ihre einzelnen Forderungen und die Ausweitung der Rahmenfrist von zwei auf drei Jahre. Ich könnte diese Liste beliebig fortsetzen.
Wir haben sicherlich das Problem erkannt, dass nicht jede Beratung funktioniert und dass es Schwierigkeiten bei der Vermittlung älterer Arbeitnehmer gibt. Hier muss die Bundesagentur für Arbeit, die dem Ministerium für Arbeit und Soziales zugeordnet ist, ansetzen. Es muss operativ gearbeitet werden. Wie das geschehen soll, will ich aber nicht erst aus Presseartikeln erfahren. Vielmehr muss sich das in der Arbeit des Ministeriums zeigen. Wir hatten lange genug Zeit dafür. Wir brauchen keine Systemänderung. Wir haben sehr gute Gesetze und eine gute Arbeitslosenversicherung; das müssen wir nutzen. Man muss operativ eingreifen, wenn etwas nicht funktioniert. Was wir aber nicht brauchen, ist eine unkalkulierbare, sinnlose und am Arbeitnehmer vorbeigehende Erweiterung der Arbeitslosengeldbezugsdauer. Eine solche Erweiterung wird nur dazu führen, dass die Menschen eher in Rente geschickt werden, bringt aber keinen Einzigen eher zurück in den Job. Den Menschen wieder Arbeit zu geben, muss unser Ziel sein.
(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Mast [SPD]: Olle Kamellen!)
Dieses Thema wird uns garantiert noch länger beschäftigen. Ich freue mich auf die weiteren Debatten mit Ihnen über dieses große Thema. Ich lade jeden, dem es um die Sache geht, ein, darüber mitzudiskutieren. Das tun wir am besten hier im Parlament und nicht bei irgendwelchen Partys.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank, Herr Kollege Zech. – Als Nächste spricht die Kollegin Waltraud Wolff von der SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7089582 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 225 |
Tagesordnungspunkt | Arbeitslosenversicherung |