Norbert MüllerDIE LINKE - Ausbau der Kindertagesbetreuung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Jahr 2016 befanden sich etwa 700 000 Kinder im U-3-Bereich in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung. Damit betrug die Betreuungsquote etwa 33 Prozent, wobei etwa jedes vierte Kind in Westdeutschland und mehr als jedes zweite Kind in Ostdeutschland betreut wurden.
Trotz eines deutlichen Ausbaus in den letzten Jahren ist dies schlichtweg zu wenig. Wir wissen aus Erhebungen des Deutschen Jugendinstituts, dass mehr als 43 Prozent aller Eltern inzwischen den Wunsch haben, ihre Kinder in Einrichtungen der frühkindlichen Bildung und Betreuung zu bringen. Das heißt, es gibt eine erhebliche Lücke zwischen den vorhandenen Plätzen und dem bestehenden Bedarf.
Ich verweise an dieser Stelle nochmals auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes, dass Kitaplätze auf der Grundlage des Rechtsanspruchs so anzubieten sind, dass sie in einer vernünftigen Erreichbarkeit von Wohn- oder Arbeitsort der Eltern verfügbar sind. Ansonsten müssen die Kommunen Strafen zahlen, nämlich für Einkommensausfälle der Eltern, wenn diese ihre Erwerbstätigkeit nicht aufnehmen bzw. dieser nicht nachgehen können, weil die entsprechenden Plätze nicht vorhanden sind.
Wir hatten im letzten Jahr trotz des Ausbaus sogar einen Rückgang der Betreuungsquote. Auch darüber muss man sprechen, weil das ein gefährliches Warnsignal ist. Wir haben erfreulicherweise seit 2010 geburtenstarke Jahrgänge. Der Rückgang der Betreuungsquote muss dazu führen, dass der Bund den Status quo nicht fortführt, sondern mehr drauflegt.
(Beifall bei der LINKEN)
Wer hat den Kitaausbau bezahlt? Ich höre der Ministerin Schwesig immer gerne zu; das alles klingt so schön. In Wahrheit aber hat nicht der Bund den Kitaausbau bezahlt. Der Bund hat den Rechtsanspruch eingeführt. Der war – da sind wir uns einig – überfällig, gut und richtig. Die Kosten für den Ausbau haben aber im Wesentlichen die Länder, die Kommunen und die Eltern getragen. Die Länder und die Kommunen haben jeweils – und das jedes Jahr – 2 Milliarden Euro dafür ausgegeben, die Eltern 1 Milliarde Euro; das sind Zahlen aus Ihrem Ministerium. Die haben den Ausbau im Wesentlichen finanziert – und nicht der Bund, der sich hier relativ billig aus der Verantwortung herausgeschlichen hat.
(Beifall bei der LINKEN)
So groß die Aufgabe auch ist, die Plätze weiter auszubauen, so groß ist die Erwartungshaltung in Bezug auf den Qualitätsausbau. Dem folgen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf, insbesondere was den Titel angeht. In ihm steht viel über Qualität. Im Gesetzestext steht eigentlich gar nichts mehr über Qualität. Das Einzige, was Sie in Bezug auf verbesserte Qualität mit fördern, ist, dass die Länder und die Kommunen jetzt auch in Ausstattung investieren können. Tische und Stühle in einer Kita haben aber relativ wenig mit Qualität zu tun. Qualität heißt Personal, Personal, Personal, und da lassen Sie Kommunen, Länder und Eltern wieder im Regen stehen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir als Linke schlagen vor, ein bundesweites Kitaqualitätsgesetz aufzulegen. Ich weiß, dass in den Ländern inzwischen einiges in Bewegung gekommen ist. Wenn Sie sich die Stellungnahme des Bundesrates, die Sie ja gelesen und erwidert haben, anschauen, dann werden Sie feststellen, dass der Bundesrat erstmals fordert, dass es möglich sein soll, die Gelder für den Platzausbau auch in den Qualitätsausbau zu stecken. Das macht auch durchaus Sinn, weil der Ausbau unterschiedlich weit fortgeschritten ist. Die Antwort der Bundesregierung darauf ist, das sei nicht nötig. Wenn wir aber hier über ein Kitaqualitätsgesetz reden, dann sagen Sie: Die Länder wollen das ja gar nicht, weil sie angeblich keine vergleichbaren Standards wollen. – Ich sage Ihnen: Die Länder würden bei einem Kitaqualitätsgesetz mitmachen, wenn der Bund das Geld dazu gibt
(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das glaube ich Ihnen!)
und nicht wie beim Rechtsanspruch die Qualitätsstandards festlegt und sich am Ende mit wenig Geld aus der Verantwortung stiehlt. Das funktioniert nicht.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Genau! Der Bund zahlt, und die Länder bestimmen! Schauen Sie mal nach Thüringen, Herr Müller!)
Kitaqualitätsgesetz heißt: Wir müssen über bundesweite Standards für die Fachkraft-Kind-Relation reden. Was heißt das? Die Fachkraft-Kind-Relation beschreibt, wie viele Kinder auf eine Fachkraft kommen. Wir müssen auch darüber reden, was eigentlich eine Fachkraft ist. Eine Fachkraft ist – das wird durch die Bundesagentur für Arbeit inzwischen vermittelt – keine Fachkraft für die Mittagsbetreuung – Qualifikationsaufwand: 40 Stunden Weiterbildung – und auch kein Kindergartenhelfer, wozu in einigen Ländern ausgebildet wird, schlecht bezahlt und bei weitem nicht so hoch qualifiziert wie der staatlich anerkannte Erzieher. Das ist entscheidend: Wir brauchen staatlich anerkannte Erzieher in den Kitas, und wir brauchen bundesweite Standards für gute Qualität.
(Beifall bei der LINKEN)
Gute Qualität heißt auch Leitungsfreistellung. Es kann nicht sein, dass die Leitung in einer Kindertageseinrichtung den kompletten Verwaltungsapparat mitstemmt und am Ende diese Kraft eben nicht am Kind ist. Das heißt, wir müssen über Leitungsfreistellungen reden. Das fordert auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, und das war auch eine Forderung bei den Streiks im Bereich der Sozial- und Erziehungsberufe im letzten Jahr.
Legen Sie also endlich ein Kitaqualitätsgesetz vor. Beschleunigen Sie den Ausbau, und lassen Sie die Länder, die Kommunen und vor allem die Eltern nicht mehr im Regen stehen, die erst keinen Platz kriegen, und dann, wenn sie einen Platz bekommen, in der Republik auf sehr unterschiedliche Qualitätsstandards stoßen, je nachdem, wie die politischen Verhältnisse in den Ländern sind, und je nachdem, wie die Kassenlage von Ländern und Kommunen ist. Wir brauchen einen Einstieg des Bundes bei der Kitaqualität, und wir brauchen sozusagen einige Kohlen mehr in der Frage des Platzausbaus.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Damit die links regierten Länder über ihre Verhältnisse leben können, Herr Müller!)
Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7089824 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 225 |
Tagesordnungspunkt | Ausbau der Kindertagesbetreuung |