23.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 225 / Tagesordnungspunkt 11

Kai GehringDIE GRÜNEN - Prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Groß war zu Beginn dieser Wahlperiode die Einigkeit im Hohen Haus, dass Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler klarere Karriereperspektiven, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Familienfreundlichkeit benötigen.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deshalb haben wir auch viel gemacht!)

Das war eine sehr günstige Ausgangslage, um Großes zu bewegen.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Was wir getan haben!)

Diese Chance haben Union und SPD verspielt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Irrtum!)

Für faire statt prekäre Wissenschaftskarrieren zu sorgen, ist nun mal ein Marathonlauf, aber der Koalition ist schon nach 100 Metern die Puste ausgegangen.

(Dr. Karamba Diaby [SPD]: Also, ist ja mutig!)

Bessere Bedingungen in der Wissenschaft bleiben auf der Strecke, und das ist schlecht; denn wir dürfen kein Talent vergraulen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sie sind selber nicht hinterhergekommen!)

Kurzatmig ist ihr sogenanntes Nachwuchsprogramm. Bei 1 000 Tenure-Track-Professuren an Universitäten bleiben unklare Perspektiven und wenig Planbarkeit für viel zu viele Alltag. Auch fehlt Ihrem Tenure-Track-Programm eine explizite Förderung von Frauen, während zugleich die Zukunft des Professorinnenprogramms völlig ungewiss ist. Für dauerhafte Karrierewege neben der Professur sorgen Sie nicht, und die Tenure-Track-Professuren sind viel zu wenig lukrativ und attraktiv für viele Universitäten.

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Abwarten!)

Die Fachhochschulen haben Union und SPD gleich jahrelang vergessen,

(Dr. Simone Raatz [SPD]: Das stimmt nicht!)

obwohl sie besonders damit zu kämpfen haben, Professorinnen und Professoren zu gewinnen. Ein Nachwuchsprogramm für die FHs gibt es noch nicht. Machen Sie das doch endlich! Wer regiert denn? Fazit: Mit Ihrem Nachwuchsprogramm müssen Sie noch mal ins Trainingslager.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Simone Raatz [SPD]: Liegt so gut wie auf dem Tisch!)

Schnappatmung bekomme ich allerdings bei Ihrer Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes.

(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das möchte ich einmal sehen!)

Es fehlt noch eine systematische Untersuchung. Sie kommt erst 2020, also fast am Ende der nächsten Legislaturperiode,

(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ja, eben! Warum denn nicht früher?)

obwohl man schon jetzt weiß – das haben die Anhörungen gezeigt –, dass Ihre Novelle nicht vernünftig wirken kann und viel zu große Hoffnungen damit verbunden werden.

Mindestvertragslaufzeiten sind Fehlanzeige,

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Natürlich!)

und undefiniert ist zum Beispiel, was unter Qualifizierung zu verstehen ist

(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Genau!)

und was eine angemessene Befristungsdauer für einen Qualifizierungsschritt sein soll.

Damit werden sich noch viele Anwälte und auch findige Personaler in den Chefetagen der Wissenschaft zu beschäftigen haben. Durch solche Schwammigkeiten verfehlen Sie das eigentliche Ziel, einen klaren rechtlichen Rahmen für bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu schaffen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Beim WissZeitVG hilft weder Trainingslager noch Doping, sondern nur eine Novelle, die klare Mindestvertragslaufzeiten, einen Wegfall der Tarifsperre und eine echte Familienkomponente bringt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE])

Gänzlich außer Sichtweite ist das Ziel, die Grundfinanzierung der Hochschulen zu verbessern. Es ist echt problematisch, sich von Pakt zu Pakt zu hangeln;

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: 1,4 Milliarden jedes Jahr! – Gegenruf der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das ist ein alter Hut! Das können Sie nicht vier Jahre lang sagen!)

denn das erschwert es den Hochschulen, zusätzliche verlässliche Dauerstellen für Daueraufgaben zu schaffen.

Es wird noch besser. Beim neuen Unionspapier schrillen bei mir sämtliche Alarmglocken, weil Sie offensichtlich die Axt an den Hochschulpakt legen wollen.

(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Richtig!)

Wenn Sie das tun, dann reißen Sie mutwillig Löcher in die Finanzierung der Universitäten und vor allem der Fachhochschulen vor Ort. Nicht mit uns! Wir brauchen eine verlässliche Grundfinanzierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Auch künftig wollen viele junge Menschen studieren. Der Studierendenberg wird nicht zum Tal, sondern zu einem Hochplateau. Wir wollen diesen jungen Menschen Freiräume ermöglichen, anstatt sie zu versperren. Deshalb sind und bleiben eine ausreichende Zahl an Studienplätzen und gute Studienbedingungen unser Anspruch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Über 90 Prozent der Verträge in der Wissenschaft – über 90 Prozent! – sind befristet. Über die Hälfte dieser Verträge hat eine unsäglich kurze Laufzeit von unter einem Jahr.

(Dr. Simone Raatz [SPD]: „Hatte“, nicht „hat“!)

Nur 22 Prozent der Promotionen werden abgeschlossen. Über 10 Prozent der Promovierenden verdienen weniger als 826 Euro im Monat.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Aus welchem Jahr sind denn die Zahlen? 2014?)

Sie sind also armutsgefährdet. Diese niederschmetternden Zahlen aus dem Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs mahnen: Da müssen wir ran! Dieses Befristungsunwesen muss enden. So können wir mit Talenten für die Wissensgesellschaft jedenfalls nicht umgehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Deswegen ist es dringend notwendig, schnell zu weiterführenden Schritten zu kommen. Jetzt stehen ein vernünftiges Wissenschaftszeitvertragsgesetz für mehr Sicherheit an, um gut forschen zu können, ein Personalprogramm für die Fachhochschulen, eine bessere Grundfinanzierung für die Hochschulen und auch mehr Verantwortungsbewusstsein in der Wissenschaft für die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in puncto Personalentwicklung und Karrierewege.

Diesen Marathon gilt es zu laufen. Wir sind dazu bereit. Das, was Sie vorgelegt haben, ist wirklich Stückwerk. Das Befristungsunwesen lässt sich damit leider nicht überwinden. Deshalb: Da muss mehr passieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das Wort hat die Kollegin Dr. Simone Raatz für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7089850
Wahlperiode 18
Sitzung 225
Tagesordnungspunkt Prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft
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