23.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 225 / Tagesordnungspunkt 11

Simone RaatzSPD - Prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz der Äußerungen von Frau Gohlke und Herrn Gehring muss ich doch sagen – ich denke, das ist unbestritten –: Wir haben in dieser Legislatur vieles an Verbesserungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs auf den Weg gebracht. Das muss man einmal anerkennen; man sollte nicht immer nur herumnörgeln.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber – das ist richtig –: Jetzt heißt es dranbleiben, insbesondere am Thema „Gute Arbeit in der Wissenschaft“. Frau Gohlke, jetzt sollten Sie einmal zuhören; das, was jetzt kommt, hören Sie nicht so oft: Ich möchte Ihnen und den Kolleginnen und Kollegen von der Linken für den Antrag Danke sagen. Ihr Antrag unterstützt nämlich unser Thema „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ in einigen Punkten. Das muss man einmal anerkennen. Es ist schön, dass Sie das präsent halten und uns natürlich damit immer auch den Spiegel vorhalten.

Ich gebe Ihnen recht: Es ist wirklich ein Unding, dass heutzutage jede zweite Neueinstellung – nicht in der Wissenschaft, sondern prinzipiell – befristet erfolgt. Das geht nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dazu kommt, dass es in der Forschung – die Zahl haben wir häufig gehört – fast 90 Prozent sind. Außerdem hatten diese befristeten Verträge – „hatten“, nicht „haben“ – häufig eine sehr kurze Laufzeit, und zwar nicht nur an unseren Hochschulen. Ich finde es bedenklich, dass dies auch an unseren außeruniversitären Forschungseinrichtungen so ist. Das ist für mich überhaupt nicht erklärbar.

(Beifall der Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] und Nicole Gohlke [DIE LINKE])

Jeder kann hier Beispiele nennen, auch ich. Sie haben das Beispiel genannt, dass jemand zehn befristete Verträge hintereinander bekommen hat. Ich kenne eine junge Wissenschaftlerin, die noch an ihrer Doktorarbeit arbeitet und in dieser Zeit schon 15 verschiedene Arbeitsverträge unterschreiben musste. Von diesen 15 Kurzzeitverträgen hatten manche nur eine Laufzeit von einem Monat.

Ich war gestern beim Parlamentarischen Abend der AiF. Mir gegenüber stand ein Wissenschaftler, schon ein gestandener Mann, der mittlerweile schon 50 befristete Arbeitsverträge unterschrieben hatte. Das geht natürlich nicht; das ist klar. Dem haben wir nun einen Riegel vorgeschoben.

(Beifall bei der SPD)

Jeder von uns kann irgendwelche Beispiele nennen, und wir könnten uns sicherlich gegenseitig mit Zahlen übertrumpfen. Aber das ist nicht das, was wir wollen. Wir wollen mit dieser hohen Zahl an befristeten Verträgen Schluss machen.

Diese kurzen Laufzeiten und die fehlenden Karriereperspektiven schrecken insbesondere junge Frauen ab, die ihre berufliche Zukunft dann leider nicht in der Wissenschaft sehen. Ich denke, das können wir uns in der Zukunft definitiv nicht mehr leisten. Auch, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dies ungerecht und darüber hinaus familien- und gleichstellungsfeindlich. Darum haben wir, wie gesagt, den Missbrauch von Befristungen in dieser Legislatur endlich eingedämmt. Wir haben das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novelliert, und ich betone: wir, die Fraktionen von SPD und CDU/CSU. Wir haben das auf den Weg gebracht. In Ihrem Antrag steht, dass es von der Bundesregierung kommt. Die hat es jetzt umgesetzt, aber auf den Weg gebracht haben wir es als Koalitionsfraktionen, und das möchte ich mir auch nicht nehmen lassen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Das Gesetz auf den Prüfstand zu stellen und zu novellieren, war nicht leicht; das muss man sagen. Die Mehrheit der Akteure in Wissenschaft und Politik sieht zwar, dass bei den Arbeitsverträgen in der Wissenschaft etwas aus dem Ruder gelaufen ist, trotzdem bleibt es eine Mammutaufgabe, Lösungen zu finden, die allen Beteiligten und Belangen gerecht werden.

Ja, Frau Gohlke, und ja, Herr Gehring, auch wir hätten uns an manchen Stellen eine Konkretisierung gewünscht.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir mit Rot-Rot-Grün!)

Andererseits muss ich sagen: In diesen Einrichtungen arbeiten Leute, die auch einen Kopf auf den Schultern haben und ihn benutzen können. Die wissen, wie wichtig es ist, gutes Personal zu halten, und das kann man heute nur halten mit vernünftigen Arbeitsbedingungen. Darum appellieren wir zum Beispiel auch an die Eigenverantwortung unserer Wissenschaftseinrichtungen. Alles immer vorzugeben, halte ich nicht für den richtigen Weg.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb haben Sie eine Frauenquote beschlossen!)

Mit der Reform haben wir das alte Wissenschaftszeitvertragsgesetz vom Kopf auf die Füße gestellt. Wir haben aus einem Befristungsgesetz ein Qualifizierungsgesetz gemacht und die Zeit der willkürlichen Befristungen damit hoffentlich endgültig beendet. Seit einem Jahr ist dieses Gesetz nun in Kraft. Die junge Wissenschaftlerin, von der ich gerade erzählt habe, aber auch viele andere junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben dadurch endlich einen vernünftigen Arbeitsvertrag und damit mehr Planungssicherheit als bisher, und das freut mich erst einmal. Das sollte uns insgesamt erst einmal freuen.

Schön wäre gewesen, wenn sich das bereits in den Zahlen des Bundesberichts Wissenschaftlicher Nachwuchs widergespiegelt hätte, doch die aktuellsten Zahlen in diesem Bericht, auf die sich auch Herr Gehring bezogen hat, sind von 2014. Man muss sagen: Damit kann man nichts anfangen. Das ist schade. Wir müssen also im Endeffekt den nächsten Bericht abwarten, um zu sehen, was unser Wissenschaftszeitvertragsgesetz bewirkt hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, allein die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu ändern, reicht aber nicht. Für planbare Karrierewege braucht es auch Programme zur besseren Stellenausstattung an der Hochschule. Auch darauf haben meine Vorrednerinnen und Vorredner hingewiesen. So haben wir ein Bund-Länder-Programm für den wissenschaftlichen Nachwuchs auf den Weg gebracht. Für einen Zeitraum von über zehn Jahren haben wir immerhin zusätzliche 1 000 Tenure-Track-Stellen finanziert. Allein für Sachsen sind das 52 zusätzliche Stellen. Das finde ich erst einmal gut. Das ist eine Zahl, mit der man etwas anfangen kann.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Darüber hinaus – das wissen wir, und das muss man nicht dauernd betonen, aber ich sage es an dieser Stelle noch einmal – hat der Bund seit 2015 die komplette Finanzierung des BAföGs übernommen. Damit stehen den Ländern über 1 Milliarde Euro jährlich zur Verfügung. Allein für Sachsen sind das über 80 Millionen Euro. Damit kann man etwas anfangen. Auch damit kann man die Stellensituation verbessern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Und wie geht es jetzt weiter? Sicher nicht mit den unrealistischen und durch nichts begründeten Forderungen Ihres Antrags nach 100 000 zusätzlichen Stellen. Schon aus diesem Grund können wir Ihrem Antrag so nicht zustimmen. Unbestritten ist aber, dass die Grundfinanzierung der Hochschulen nachhaltig verbessert werden muss. Das Aufheben des Kooperationsverbotes im Hochschulbereich gibt jetzt Möglichkeiten, und diese Möglichkeiten sollten wir auch nutzen.

Wichtig ist – und darauf hat meine Kollegin schon hingewiesen –, dass Personalplanung oder bestehende Personalentwicklungskonzepte ein verbindliches Förderkriterium bei der Bewilligung von Projektmitteln sein müssen. Finanzielle Einschnitte zeigen dann auf jeden Fall ihre Wirkung.

Aber, wie ich schon sagte, allein politische Initiativen verbessern die Personalsituation noch nicht. Was wir darüber hinaus brauchen – und das ist mir ganz wichtig –, sind Präsidentinnen und Präsidenten, Rektorinnen und Rektoren sowie Lehrstuhlinhaber, die sich als gute Arbeitgeber verstehen,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

und die auch alles dafür tun, um den wissenschaftlichen Nachwuchs durch eine gute Betreuung zu wissenschaftlichem Erfolg zu führen. Und da haben wir noch sehr viel Luft nach oben. Dazu gehört auch, dass man Perspektiven aufzeigt; entweder innerhalb oder außerhalb der Hochschule. Dazu zählen für mich auch Fachhochschulen oder Stellen in der Wirtschaft.

Für einen Wandel ist es auch wichtig, dass wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben, die nicht nur fachlich exzellent sind, sondern sich auch gesellschaftspolitisch engagieren, die eben wissen, wie man sich organisiert und wie man die eigenen Rechte im Endeffekt durchsetzt. Auch hier können wir einmal gucken, welchen Organisationsgrad wir im wissenschaftlichen Mittelbau haben. Der ist sehr gering. Daran liegt es auch. Da müssen die Leute auch einmal selbst für ihre Sache einstehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sich mit Dreimonatsverträgen zu organisieren, ist nicht so leicht!)

Denn eines ist gewiss – damit komme ich zum Schluss –: Nur mit motivierten und engagierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern werden wir die Innovationsfähigkeit unseres Landes auch zukünftig sichern. Nur mit unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern werden wir einen Beitrag zur Bewältigung der großen globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Energieversorgung oder Digitalisierung leisten. Dazu gehören – das ist klar – gute Arbeitsbedingungen, Planungssicherheit und auch attraktive Karriereoptionen.

Danke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Dr. Wolfgang Stefinger das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7089859
Wahlperiode 18
Sitzung 225
Tagesordnungspunkt Prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine