24.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 226 / Tagesordnungspunkt 28

Michael FrieserCDU/CSU - Demografiepolitische Bilanz der Bundesregierung

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich am Anfang für die Tatsache, dass man die demografiepolitische Bilanz der Bundesregierung auch einmal in einer Debatte behandeln kann. Manchmal verschwindet sie etwas aus den Augen des Parlamentes. Ich kann nur sagen: Wer eine Strategie der Regierung hinterfragt, der sollte sie einmal lesen. Das ist wirklich ein interessantes Werk, insbesondere weil der Begriff „Bilanz“ draufsteht. In einer Legislaturperiode geht es nämlich immer auch darum, einen Strich zu ziehen.

Es hilft nichts – das vielleicht auch an die Adresse der Vorrednerin –, durch das gesamte Sozialrecht zu mäandern und einen Forderungskatalog darüber aufzustellen, was in dieser Welt alles wünschenswert wäre. Hinter vielem davon könnte ich einen Haken oder ein Ausrufezeichen – vielleicht nicht unbedingt ein grünes – setzen. Sie sagen aber kein Wort dazu, wie das ohne zusätzliche Belastungen für eine geringer werdende nachwachsende Generation finanziert werden soll,

(Beifall bei der CDU/CSU)

keinen Satz zu der nachfolgenden Generation, die diese Lasten tragen muss – darüber sind wir uns ja, wenn es um das Thema Demografie geht, einig – und die immer kleiner wird, sodass sich das Verhältnis verändert.

Auf der einen Seite sind wir manchmal in dem Modus, zu sagen, der demografische Wandel sei die Bedrohung, und es wird ängstlich gefragt: Um Gottes willen, was kommt da auf uns zu? Seit nahezu 20 Jahren hören wir die fürchterlichsten Aussichten. Auf der anderen Seite heißt es in den letzten zwei Jahren beim Thema „Zuwanderung durch Flüchtlinge“: Entwarnung! Jetzt gibt es überhaupt keine Probleme mehr.

Wir haben in dieser Debatte sehr viel zum Thema Zuwanderung gehört. Die Frage, ob das deutsche Zuwanderungs- bzw. Einwanderungsrecht kompliziert ist, war noch nie ein gutes Maß für die Orientierung. Es kann aber effizient sein. Ich bin sofort bereit, über Einwanderung bzw. Zuwanderung zu reden, wenn diese Gesellschaft bereit ist, über die Frage zu diskutieren, wen wir im Hinblick auf den demografischen Wandel gebrauchen können, wer tatsächlich ein Zuwachs für uns ist, wer unsere Systeme und unsere Gesellschaft unterstützt und einen ganz wesentlichen Beitrag dazu leistet. Nein, durch Zuwanderung werden die Fragen des demografischen Wandels nicht automatisch beantwortet; denn Zuwanderung bedeutet nicht gleichzeitig Stabilität der Sicherungssysteme. Was wir brauchen, ist eine Zuwanderung in Arbeit, nicht eine Zuwanderung ins Arbeitsamt.

(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es wäre viel wichtiger, die Arbeitgeber würden wieder ordentlich in die Rente einzahlen! Das wäre viel wichtiger!)

Deshalb ist es entscheidend, dass wir dafür die Regeln setzen.

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie das doch! Sie regieren doch!)

Ich danke Herrn Staatssekretär Schröder; denn er hat darauf hingewiesen, dass wir definiert haben, was wir und diese Regierung in 13 Handlungsfeldern auf den Weg gebracht haben. Diese 122 Maßnahmen haben nur ein Ziel, nämlich ein längeres, gesünderes, attraktiveres und aktiveres Leben zu ermöglichen, ohne in irgendeiner Art und Weise hinsichtlich derer, die nach uns kommen, mit dem sogenannten Tür-zu-Effekt zu reagieren.

Im Augenblick liegen viele Vorschläge auf dem Tisch. Das Schleifen der dämpfenden Rentenfaktoren aber ist nicht dazu geeignet, dieses Bild auch nur annähernd aufrechtzuerhalten. Es geht nicht darum, die Räder zurückzudrehen; denn alles, was wir zurückdrehen, muss am Ende des Tages jemand bezahlen.

Herr Kollege Frieser.

Herr Präsident, ich habe Sie kaum an Ihrer Stimme erkannt.

Wir haben uns ja noch verständigt. – Ich wollte Sie schlicht fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.

Der Kollege hat stimmlich laut schon sehr auf sich aufmerksam gemacht, sodass ich ihm die Gelegenheit geben will, dies jetzt mit Mikrofon zu tun.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Herr Kollege Frieser, Sie haben eben gesagt, wir müssten die Dämpfungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel so erhalten. Sie heißen zwar Dämpfungsfaktoren, führen aber in Wirklichkeit dazu, dass die Erhöhungen der Renten der Rentnerinnen und Rentner im Verhältnis zu dem Anstieg der Löhne der aktiven Erwerbstätigengeneration gekürzt werden. Das muss man immer dazusagen. Sie haben mit keinem Wort begründet, warum diese Kürzung aufgrund des demografischen Wandels notwendig sein sollte.

Ich frage Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es angesichts des demografischen Wandels viel wichtiger ist, dass die Menschen gute Löhne und später gute Renten haben und die älteren Menschen in Zukunft nicht in Altersarmut leben müssen, und dass es für die Finanzierung einer guten Rente viel wichtiger ist, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber wieder die Hälfte der gesamten Alterssicherungskosten tragen?

Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass schon ein Mehrbeitrag von 33 Euro im Monat pro Arbeitnehmerin/Arbeitnehmer und pro Arbeitgeberin/Arbeitgeber bei einem durchschnittlichen Verdienst von 3 022 Euro ausreichen würde, um das Rentenniveau von 48,2 wieder auf 53 Prozent anzuheben? Dies wäre bis zum Jahr 2029 möglich. Das rechne ich Ihnen aus Zeitgründen nicht vor, –

Das ist nett.

– weil mir sonst die Frau Präsidentin sagt, dass das nicht ginge. Aber rechnerisch geht das. Nehmen Sie das zur Kenntnis? Sind Sie auch bereit, zuzugeben, dass es für eine vernünftige Alterssicherung viel wichtiger ist, dass die Produktivitätsentwicklung und das Wirtschaftswachstum gut vorankommen, als nur das Verhältnis von Rentnern zu Beschäftigten?

(Beifall bei der LINKEN)

Sehen Sie, Herr Kollege, meine Bereitschaft zur Kenntnisnahme ist nahezu unbegrenzt. Sie ist aber vor allem der Wahrheit verpflichtet. Wenn Sie den Ausgang dieses Redebeitrags abgewartet hätten, dann hätten wir über diese Frage schön reden können.

Ich darf auf Folgendes hinweisen: Wir werden bei Menschen, die im Produktionsprozess stehen und die tatsächlich ein Leben lang gearbeitet haben, dafür sorgen, dass sie für die Gesellschaft auch im Alter einen produktiven Beitrag leisten, was der Tatsache geschuldet ist, dass die Menschen erstens länger und zweitens gesünder leben. Wenn wir auf alle dämpfenden Faktoren verzichten würden, würden wir diesen Menschen einen Bärendienst erweisen.

Ich darf auf der anderen Seite darauf hinweisen, dass unsere Anstrengungen, die Arbeitswelt beim Thema „Arbeit 4.0“ zu gestalten, genau darauf gerichtet sind. Dazu gehört auch das Thema, nicht nur junge Menschen in Arbeit zu bringen. Wir stellen uns immer den Dachdecker vor, der 40 Jahre lang körperlich hart gearbeitet hat und am Ende seines Arbeitslebens natürlich nicht in der Lage ist, über das Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten. Aber die Welt hat sich doch geändert.

Nehmen Sie daher bitte zur Kenntnis, dass die Welt sich insofern geändert hat, dass die Menschen länger arbeiten können, dass die Digitalisierung ihren Beitrag dazu leisten kann und dass sich das natürlich auf irgendeine Art und Weise in der Rente auswirken muss.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, genau dieser Punkt ist entscheidend. Menschen werden älter. Sie leben gesünder. Sie werden länger leben. Sie sollen einen aktiven Ruhestand haben. Das kommt aber nicht von selbst, wenn wir diesen demografischen Wandel nicht zu gestalten wissen. Deshalb steht in der Überschrift: „Jedes Alter zählt“.

Das Thema „demografischer Wandel“ beschäftigt sich nicht nur mit den gesünderen, älteren und produktiveren Menschen, die in einem Unruhestand leben, sondern es beschäftigt sich auch mit den Menschen, die in dieser Gesellschaft die Lasten zu tragen haben. Deshalb ist es entscheidend, dass wir uns die Frage stellen: Wie gehen wir damit um, und wie halten wir Menschen in ihrem Arbeitsleben fit? Es reicht nicht mehr, den Menschen zu sagen: Macht einmal für drei Tage oder eine Woche einen Workshop. – Es kommt darauf an, dass wir die Rahmenbedingungen setzen, damit Menschen für ein Semester oder ein Trimester aus ihrem Arbeitsleben herausgehen, um neu zu lernen und ihren Beruf besser zu verstehen.

Das wird aber nicht dadurch funktionieren, indem wir die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verlängern und sagen: Staat, mach du das. Das Arbeitslosengeld wird dann 48 Monate gezahlt, und wir schmücken das Ganze noch mit ein bisschen Qualifizierung aus. – Wir müssen vielmehr zusammen mit den kleinen und mittelständischen Unternehmen die Menschen in die Lage versetzen, dass sie mit ihrem Arbeitgeber ihren Arbeitsplatz neu erleben und auch altersgerecht gestalten können. Das kann die Digitalisierung und die Arbeit 4.0 leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Insofern, glaube ich, ist unser Ansatzpunkt genau richtig. Wir können dieses Thema nicht alleine den Kommunen überlassen und erklären: Wir heben das Kooperationsverbot im Zusammenhang mit Qualifizierung und Bildung auf. – Dagegen wird man als geborener Föderalist natürlich Vorbehalte haben. Wir haben vieles getan, was mit Blick auf die Kommunen nicht ausschließlich in die Zuständigkeit des Bundes fällt. Ich weise nur auf die Übernahme der Kosten für die Grundsicherung im Alter hin.

Entscheidend ist, die Rahmenbedingungen zu setzen. Ein wichtiger Aspekt beim demografischen Wandel ist die Unterstützung für kinderreiche Familien. Wenn wir über das Thema „Wohnungen und Bauen“ reden, dann reden wir immer mit Blick auf die Ballungsräume. Wir reden immer darüber, wo es extrem schwierig ist. Ja, es ist schwierig für eine Familie mit drei Kindern, in München, in Frankfurt, in Hamburg eine Wohnung zu finden. Welche Überraschung!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nein, es geht darum, dass große Landstriche in diesem Land durchaus zu mehr in der Lage wären, wenn wir sie denn in die Lage versetzen. Das heißt, sozialer Wohnungsbau darf nicht nur ballungsraumgebunden sein. Flächenentwicklung darf nicht nur an den Rändern von Ballungsräumen stattfinden. Digitalisierung beinhaltet auch Stabilisierung der ländlichen Räume, nämlich arbeitsplatzungebunden und nicht nur in der Stadt, sondern auch draußen durch die Ausweisung der richtigen Baulandflächen und das Senken der Erwerbskosten. Alle, die hier schreien: „Wir müssen Bauen und Wohnen auch für große Familien etwas günstiger machen“, sollen einmal in ihren eigenen Ländern nach den Grunderwerbskosten schauen. Die sind nämlich dort überall doppelt so hoch, wo man danach ruft, dass man große Familien wirklich ansiedeln möchte.

Also, wir haben es in der Hand. Wir haben es bei der Frage des demografischen Wandels tatsächlich in der Hand, den Menschen keine Angst zu machen und keine Ängste zu schüren, sondern in unserem Bereich jeweils dafür zu sorgen, dass wir diesen demografischen Wandel wirklich stärken und vor allem gestalten. Wir gestalten ihn, indem wir die Menschen fit darin halten, mit Spaß ihr Leben, ihre Arbeitswelt neu zu erfinden und neu zu gestalten. Damit geraten diese Menschen nicht langsam auf ein Abstellgleis, sondern können in ihrem längeren, gesünderen, aktiveren Ruhestand auch noch einen Beitrag für diese Gesellschaft leisten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Als nächste Rednerin hat Susanna Karawanskij für die Fraktion Die Linke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7090056
Wahlperiode 18
Sitzung 226
Tagesordnungspunkt Demografiepolitische Bilanz der Bundesregierung
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