Astrid FreudensteinCDU/CSU - Teilhabebericht der Bundesregierung
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Im vergangenen Jahr haben wir alle, die wir hier sitzen, gemerkt, dass die politische Teilhabe von Menschen mit Behinderung eine ganz neue Dimension erreicht hat – eine normale Dimension, möchte ich dazu sagen. Die Demonstrationen im Zuge des Bundesteilhabegesetzes haben gezeigt, dass ein neues politisches Selbstbewusstsein unter den Menschen mit Behinderung entstanden ist. Die aktive Teilnahme an Entwicklungen und Entscheidungen, die das eigene Leben betreffen, ist ein Grundprinzip der Demokratie. Mit Demonstrationen, mit Hintergrund- und Fachgesprächen oder als Experten bei Anhörungen haben sich die Menschen mit Behinderung vielfältig am politischen Prozess beteiligt. Der Teilhabebericht bestätigt diese Wahrnehmung: Das aktive politische und zivilgesellschaftliche Engagement von Menschen mit Behinderung ist in den vergangenen Jahren deutlich stärker geworden, und das ist gut so.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es ist vor allem deshalb gut, weil in anderen Bereichen durchaus noch Handlungsbedarf besteht, um dem Ziel der gleichberechtigten Teilhabe näherzukommen. Und um diesen Handlungsbedarf zu lokalisieren und dann zu beseitigen, ist eben die Mithilfe der Menschen mit Behinderung wichtig. Aber auch Instrumente wie dieser Teilhabebericht können einer ersten Orientierung dienen. Aus dem vorliegenden Bericht möchte ich einige Punkte herausgreifen, die ich für besonders wichtig halte.
Ein erster Knackpunkt ist sicher die deutlich höhere Arbeitslosigkeit unter den Menschen mit Behinderung. Zwar ist die Quote in den vergangenen Jahren gesunken, sie lag 2015 aber immer noch 5 Prozentpunkte über der allgemeinen Quote. Weiterhin dauert die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung auch deutlich länger an. Durchschnittlich können sie diese erst nach einem Jahr beenden. Auch deshalb sehen 34 Prozent der Arbeitsuchenden mit Beeinträchtigungen die Chance, einen Arbeitsplatz zu bekommen, als praktisch unmöglich an. Das sind doppelt so viele wie unter den nicht beeinträchtigten Arbeitsuchenden, und das sind natürlich Zahlen, die eindeutig sind und die uns beunruhigen müssen. Wir müssen jedenfalls noch deutlich mehr als bisher auf die individuelle Situation der Betroffenen eingehen und mehr über ihre Schwierigkeiten erfahren.
Aus welchen Gründen werden die Menschen arbeitslos, und in welche anderen gesellschaftlichen Teilsysteme gehen sie über: in Arbeit, in Bildung, in Reha, in Rente, in Mutterschaft? Einzelne Projekte zeigen bereits, wie es gehen könnte. In Bayern beispielsweise gibt es das Projekt LASSE, das individuelles Coaching und eine intensive Begleitung durch die Integrationsfachdienste für langzeitarbeitslose Menschen mit Behinderung bietet. Die Erfolgsquoten sind durchaus vielversprechend. Daneben müssen wir die Arbeitgeber zu noch mehr Einsatz motivieren. Eine höhere Ausgleichsabgabe halte ich dabei für wenig produktiv. Sie würde nur das Vorurteil bestärken, dass behinderte Arbeitnehmer eine Belastung seien. Das Bundesteilhabegesetz wird in diesem Bereich mit Sicherheit an der einen oder anderen Stelle Verbesserungen bringen, zum Beispiel durch die damit einzuführenden unabhängigen Beratungsstellen und die vereinfachten Verfahren.
(Beifall der Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD] und Uwe Schummer [CDU/CSU])
– Ja, das ist gut.
(Dr. Martin Rosemann [SPD]: Haben wir ja auch zusammen gemacht!)
Das Budget für Arbeit soll den Wechsel aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt fördern. Arbeitgeber erhalten dabei bis zu 75 Prozent Lohnkostenzuschuss – ich hoffe, das hören jetzt viele –, wenn sie einen schwerbehinderten Arbeitnehmer einstellen. Die Lösung des Problems sind diese Maßnahmen natürlich noch nicht, aber sie werden für viele Menschen Verbesserungen bringen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Neben den Daten zur Arbeitslosigkeit gibt es auch noch erfreulichere Nachrichten vom Arbeitsmarkt. Die Schwerbehindertenbeschäftigungsquote hat sich von 3,8 Prozent im Jahr 2002 auf jetzt 4,7 Prozent erhöht – damit nähert sie sich immerhin dem gesetzlich vorgeschriebenen Wert von 5 Prozent an –, und die Anzahl der beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber, die gar keinen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, ist seit 2002 von fast 60 000 auf unter 40 000 gesunken. Die Zahlen zeigen also: Es geht voran. Es ist aber natürlich noch ein weiter Weg zur gleichberechtigten Teilhabe. Und: Zwischen den einzelnen Bundesländern – auch das will ich hier sagen – gibt es teilweise ganz erhebliche Unterschiede.
Zum Persönlichen Budget. Die Möglichkeit, Teilhabeleistungen mit größtmöglicher Selbstbestimmung zu beziehen, wird immer mehr angenommen. Zwischen 2010 und 2014 – das sind die aktuellsten Zahlen – stieg die Zahl der Budgetnehmer um 80 Prozent. Wenn das so weitergeht, können wir davon sprechen, dass sich diese Leistungsform auch wirklich etabliert hat. Das wäre ganz im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention.
Der Teilhabebericht zeichnet also ein sehr differenziertes Bild der Situation von Menschen mit Behinderung in Deutschland. Aus dem Bericht wird deutlich, dass wir zwar einige Daten zum Leben von Menschen mit Behinderung in Deutschland haben, Erklärungen für einige Unterschiede trotzdem schwierig sind. Dazu fehlen oft auch nähere Analysen. Wir sollten uns deshalb mit allzu einfachen Erklärungen nicht zufriedengeben.
Selbst nach diesem fast 600-seitigen Bericht kann ich nur sagen: Wir brauchen teilweise immer noch mehr Informationen für die Beteiligten, zum Beispiel für Menschen mit Behinderung: Was steht mir zu? Wo kann ich es beantragen? Hier setze ich ganz große Hoffnungen in die unabhängigen Beratungsstellen, die durch das Bundesteilhabegesetz entstehen werden. Und wir brauchen mehr Informationen für die Arbeitgeber: Welche Hilfen und Zuschüsse kann ich wo beantragen? Wer kann mich bei der Integration des behinderten Menschen in meinem Betrieb unterstützen? Die Initiative „Wirtschaft inklusiv“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie es gut funktionieren kann.
Meine Damen, meine Herren, der Prozess zu einer gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderung läuft. Er stockt nicht. Das zeigt der Bericht sehr deutlich. Trotzdem könnte es an der einen oder anderen Stelle schneller vonstattengehen. Ich würde mir deshalb wünschen, dass wir in diesem Hause alle gemeinsam weiter an guten Lösungen arbeiten – Seite an Seite mit den Menschen mit Behinderung.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank, Frau Kollegin Freudenstein. – Als Nächste spricht die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Frau Verena Bentele.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7090277 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 226 |
Tagesordnungspunkt | Teilhabebericht der Bundesregierung |