30.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 228 / Tagesordnungspunkt 6

Stephan KühnDIE GRÜNEN - Öffentlicher Personennahverkehr

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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einfach einsteigen und losfahren, ohne sich vorher im Tarifdschungel zu verirren und lange Fahrpläne zu studieren, bargeldlos ein elektronisches Ticket für verschiedene Verkehrsmittel oder über Verbundgrenzen hinweg erwerben, ein Leihfahrrad oder Carsharingauto in die Reisekette einbauen, und zwar alles mit einem Ticket: Wir wollen, dass das keine Vision bleibt, sondern endlich Standard im öffentlichen Verkehr wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen eine Mobilitätskarte, den MobilPass, um einfach und bequem verschiedene Verkehrsmittel miteinander kombinieren zu können.

Für unsere Idee droht ungewohnte Unterstützung. Verkehrsminister Alexander Dobrindt versprach unlängst vollmundig die Abschaffung des Papierfahrscheins bis 2019. Doch leider entpuppten sich die Ankündigungen, wie so oft bei Herrn Dobrindt, bei näherer Betrachtung als reiner PR-Gag. Jeder Verkehrsverbund darf weiter an seinen Apps und Plattformen herumbasteln. Eine Strategie für die digitale Vernetzung aller öffentlichen Verkehrsmittel ist das nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Wirrwarr bei den Tarifen muss endlich durch bundesweit einheitliche Standards beendet werden. Ein Meilenstein im öffentlichen Verkehr wäre daher ein bundesweit einheitliches Vertriebssystem,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

damit eine Familie in einem Verkehrsverbund auch in einem anderen Tarifgebiet als Familie gilt. Auch gelten bisher bei Kindern und Jugendlichen sowie Senioren unterschiedliche Altersgrenzen.

Wir haben in Deutschland etwa 450 Verkehrsbetriebe und über 130 Tarifverbünde. Die bestehende Exklusivität der jeweiligen Tickets und die heutigen Vertriebswege in den Nahverkehrskönigreichen sind nicht mehr zeitgemäß.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie verhindern das durchgängige Buchen und Bezahlen über Tarifgrenzen hinweg und damit auch über Verkehrsmittel. Daher sollten regionale Verbundtarife möglichst bald durch einen für alle Unternehmen im Eisenbahn-, Regional- und Nahverkehr verbindlichen Deutschlandtarif ergänzt werden. So könnten Bus- und Bahnfahren einfach und bequem werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, während in den letzten Jahren die Bundesmittel für Eisenbahn, Autobahnen und Wasserstraßen in Milliardenhöhe gestiegen sind, werden die ÖPNV-Investitionen von dieser Bundesregierung sträflichst vernachlässigt. Die Infrastruktur bröckelt teilweise kräftig. Der Investitionsstau allein im kommunalen Schienennetz beträgt schätzungsweise 4 Milliarden Euro. Damit sind die Kommunen überfordert.

Zudem platzt der Nahverkehr in vielen Städten aus den Nähten. Wer wissen will, wie sich wohl die Ölsardinen in der Dose fühlen, muss nur zur Rushhour in Frankfurt, Berlin oder München mit der S-Bahn fahren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die jährlich vorgesehenen 330 Millionen Euro aus dem Bundesprogramm reichen hinten und vorne nicht aus, um mit Ausbau und Neubau adäquat auf die wachsende Nachfrage zu reagieren. Seit 20 Jahren wurde der Etatansatz nicht erhöht. Das bedeutet praktisch jedes Jahr weniger Geld zum Bauen. Statt die Investitionen zu erhöhen, plant die Große Koalition mit der Änderung des Grundgesetzartikels 125c, die Bundesmittel auf der derzeitigen Höhe bis 2025 einzufrieren. Meine Damen und Herren, das käme einer Investitionsbremse gleich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zwischen dem bereits anerkannten Bedarf und den bis 2025 verfügbaren Mitteln aus dem Bundesprogramm klafft mittlerweile eine Lücke von etwa 4 Milliarden Euro. Zwei von drei Projekten, die im Nahverkehrsprogramm des Bundes aufgelistet sind, haben also absehbar keine Chance auf Umsetzung, wenn es bei der jetzigen Förderkulisse bliebe. Die Zuverlässigkeit und die Qualität des Nahverkehrs werden darunter leiden.

Nur mit einer Nahverkehrsoffensive und Bundesmitteln in Höhe von jährlich 1 Milliarde Euro wird es gelingen, den öffentlichen Verkehr zum Leistungsträger einer ökologischen Verkehrswende zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer die Klimaziele des Verkehrssektors erreichen will, wer die Luftqualität in den Städten wirksam verbessern will, muss jetzt Geld für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs in die Hand nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Wir nehmen in unseren Anträgen auch die Mobilität in ländlichen Regionen in den Blick. Viele Bürger fühlen sich sprichwörtlich abgehängt. Der ÖPNV ist oft keine Alternative zum eigenen Auto. Bislang fehlt eine Definition des Mindestangebots, das dem im Grundgesetz verankerten Anspruch der Daseinsvorsorge gerecht wird. Wir müssen gemeinsam mit den Ländern darüber diskutieren, wie wir für die Bürgerinnen und Bürger in ländlichen Regionen zu einer Mobilitätsgarantie kommen, die dem Anspruch gleichwertiger Lebensverhältnisse gerecht wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten, und unterstützen Sie unsere Initiative.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner hat Michael Donth für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7092711
Wahlperiode 18
Sitzung 228
Tagesordnungspunkt Öffentlicher Personennahverkehr
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