Sebastian HartmannSPD - Öffentlicher Personennahverkehr
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, herzlichen Dank für die Initiative und die Gelegenheit, noch einmal deutlich zu machen, dass wir auch in einer Großen Koalition deutliche Unterschiede haben. Das ist gut so, und das ist wichtig, gerade mit Blick auf den Wahlkampf.
(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir eindrucksvoll festgestellt!)
Das erste Wort deswegen auch an den Kollegen Jarzombek. Es ist doch absurd, jemandem vorzuwerfen, eine Wahlkampfrede zu halten. Wahlkampf ist die Hochphase der Demokratie.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE])
Wir machen deutlich, worin die Unterschiede bestehen, damit die Wählerinnen und Wähler diese erkennen und eine gute Wahl treffen können.
(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu euch wollen wir noch arbeiten und regieren!)
Eine schlechte Wahl würden sie treffen, wenn sie den Kollegen der Union folgen würden. Zu dem, was Sie als Nordrhein-Westfale gerade zum Thema Tariftreue gesagt haben, sage ich: Vorsicht an der Bahnsteigkante! – Das wollte ich als Verkehrspolitiker unbedingt einmal sagen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wenn Sie dem folgen, was Sie zum Thema Tariftreue ausgeführt haben, dann schädigen Sie das System Nahverkehr in Deutschland nachhaltig. Sie schädigen die Beschäftigten,
(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])
die auf gute Rahmenbedingungen angewiesen sind. Sie schädigen auch diejenigen, die auf guten Nahverkehr angewiesen sind, die in den Bussen und Bahnen transportiert werden.
(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber das wussten Sie beim Personenbeförderungsgesetz!)
Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Sofort.
Bitte, Herr Jarzombek.
Herr Kollege Hartmann, der Unterschied zwischen uns ist vielleicht der, dass wir noch bis zum Sommer gewählt sind und regieren und konstruktiv arbeiten wollen
(Zurufe von der SPD: Oh! – Buh!)
und nicht schon im März in den Wahlkampfmodus gehen.
Meine Frage an Sie: Sie haben gesagt, dass Sie sich von dem, was ich vorhin gesagt habe, unterscheiden. Ich habe gesagt, dass wir sehr dafür sind, dass es für die Unternehmen im Nahverkehrsbereich eine Tariftreuepflicht gibt, aber diese Regelungen so ausgestaltet sein müssen, dass deren Einhaltung auch für Mittelständler und für Handwerker leistbar ist und das Ganze nicht zum Bürokratiemonster wird. Was genau haben Sie daran zu kritisieren?
Sehr geehrter Herr Kollege Jarzombek, Sie kommen auch aus Nordrhein-Westfalen. Ich habe am Freitag der letzten Woche angekündigt: Wenn die Union mir noch ein einziges Mal ein Bürokratiemonster vorhält, dann werde ich Sie daran erinnern, was Sie bei der Pkw-Maut an Datenkraken usw. beschlossen haben.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich danke Ihnen herzlich, dass ich in meiner ersten Rede nach der Pkw-Maut nun diese Gelegenheit habe, Ihnen das mit großer Freude zurückzuspielen.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Der Punkt ist ein anderer.
(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Können Sie einmal auf die Frage antworten?)
– Nein, Sie müssen jetzt zuhören. Sie haben die Frage gestellt, und Sie haben mir die Chance gegeben, worüber ich mich freue.
(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Sie haben auf eine Frage geantwortet, die ich gar nicht gestellt habe!)
Wenn wir in 14 von 16 Bundesländern Tariftreueregelungen haben und zwei Länder nicht, nämlich Sachsen und Bayern, dann müssen sich doch die beiden Länder fragen lassen, warum sie diese Regelungen nicht haben. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Es kann doch nicht sein, dass wir im öffentlichen Personennahverkehr ein Tarifdumping bei den Sozialstandards haben und wir noch nicht einmal in der Lage sind, die Standards zu dokumentieren, die wir schützen wollen.
Der dritte Punkt ist: Wir haben das Tariftreuegesetz auf den Weg gebracht. Auch wenn wir nicht im Landtag von Nordrhein-Westfalen sind, sage ich: Es geht um den Schutz von Beschäftigten.
(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])
Wenn Sie sich hierhinstellen und das als Bürokratiemonster darstellen, dann sage ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Beschäftigte der Betriebe, all diejenigen in Nordrhein-Westfalen, die vielleicht an den 14. Mai denken: Achten Sie darauf, wer die Regelung abschaffen will. Achten Sie darauf, wer sie schützen will. Achten Sie darauf, wer sie in den Koalitionsvertrag geschrieben hat. – Danke, Hannelore Kraft.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Das war keine Antwort auf meine Frage, aber eine Wahlkampfrede!)
Ich bleibe dabei: Wahlkampf ist die Hochphase der Demokratie. Man muss den Unterschied deutlich machen.
Ich komme zu den anderen Unterschieden. Der Kollege Bartol hat doch völlig recht. Wir wollen das Personenbeförderungsgesetz behutsam weiterentwickeln. Wir merken, dass wir an Ausschreibungsgrenzen kommen, wenn es darum geht, Eigenwirtschaftlichkeit und gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen in Einklang miteinander zu bringen.
Natürlich ist es richtig, was die Grünen gesagt haben. Der ÖPNV ist ein Erfolgsmodell in Nordrhein-Westfalen wie in anderen Bundesländern auch. Über 10,2 Milliarden Menschen sind mit dem Nahverkehr in Deutschland unterwegs. Damit tun wir etwas für die Metropolräume und für den ländlichen Raum. Es ist ganz wichtig, dass wir den Nahverkehr schützen und weiter ausbauen.
Ich sage als Verkehrspolitiker, der auf Bundesebene Veran twortung trägt: Ja, ich freue mich, dass das Gem einde verkehrsfinanzierungsgesetz fortgeschrieben wird. Ja, es ist eine gute Vereinbarung, dass man sich da entschieden hat, verschiedene Regelungen der Entflechtung zurückzuführen. Aber ich gebe genauso offen zu – davor verschließe ich nicht die Augen –, dass wir mehr Investitionen in den kommunalen ÖPNV brauchen. Wir müssen den Erhaltungs- und Sanierungsstau auflösen.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Auch mit Blick auf die Wahlen, die nun kommen, sage ich: Lassen Sie uns das als Ausgangspunkt dafür nehmen, dass diese bundesgesetzliche Regelung fortgeschrieben wird. Aber wir können in einer neuen, besseren Koalition, als wir sie heute haben, mehr für den öffentlichen Nahverkehr tun, indem wir dort mehr investieren und sagen: Ja, man muss den kommunalen Investitionsstau abbauen. – Das ist das Ziel der sozialdemokratischen Verkehrspolitik, meine Damen und Herren auf den Tribünen, die Sie am 24. September darüber entscheiden, wie zukünftig der Verkehr in Deutschland organisiert wird.
(Zurufe von der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist es aber ein bisschen viel! Mann, Mann, Mann!)
– Aber das ist doch nicht verwerflich. – Wir haben doch hier im Plenum jede Menge Alternativen, sodass man eine freie Wahlentscheidung treffen kann. Das Tolle in unserem demokratischen, freien Land ist, dass es hier Entscheidungsmöglichkeiten gibt.
Ich schließe nun an die Frau Landrätin außer Dienst an. Natürlich, auch ich trage Kommunalverantwortung. Als stellvertretender Landrat des Rhein-Sieg-Kreises sage ich: Ja, wir haben Ausschreibungen vorgenommen. – Zu den Ausschreibungen hören wir aus den Kommunen: Wir haben Sorgen, was die Rechtssicherheit angeht, wir haben Sorgen, wie wir die Sozialstandards so abbilden können, dass wir europäisches Recht berücksichtigen, weil wir dieses Regime beachten müssen, und wir wollen es künftig so gestalten, dass Eigenwirtschaft nicht gegen Gemeinwirtschaft ausgespielt wird. – Man sollte nicht dem Denkfehler unterliegen, dass der private Unternehmer automatisch raus ist, wenn es um einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag geht. Wer ist denn Subunternehmer in den Kommunen? Auch dort ist ein Zusammenspiel erkennbar. Ich kenne jede Menge private Unternehmen, die sich auch an Tarifregeln halten und dafür sind, dass es gute Arbeit gibt.
(Michael Donth [CDU/CSU]: So ist es!)
Lassen Sie uns da doch nicht den einen gegen den anderen ausspielen, sondern lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass demjenigen, der Tarifrecht bricht und mit Sozialdumping einen Vorteil erlangen will, eine rote Karte gezeigt wird, Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD)
Mich freut als Nordrhein-Westfale umso mehr, dass mein Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen, wenn es darum geht, das Personenbeförderungsgesetz fortzuentwickeln, einen guten Vorschlag eingebracht hat. Wenn sich die Grünen im Bundesrat nur enthalten haben – Kollege Bartol hat es dargestellt –, heißt das noch lange nicht, dass der Bundesrat nachher nicht einvernehmlich darauf achtet, dass wir als Bundestag hier unserer Verantwortung nachkommen. Wir haben Evaluierungspflichten in das Gesetz geschrieben und gesagt, dass wir uns das Personenbeförderungsgesetz noch einmal anschauen müssen. Das heißt dann für uns als Gesetzgeber: Wenn wir es in dieser Koalition nicht hinbekommen, dann werden wir es vielleicht nach der Wahl umso dringender tun müssen. Wir werden in der nächsten Zeit, nämlich innerhalb der nächsten zwei Jahre, deutlich mehr Ausschreibungen und deutlich mehr offene Fragen haben. Darauf zu reagieren, ist unsere Verantwortung. Wir würden uns freuen, wenn wir es schon jetzt, in der laufenden Wahlperiode, auf den Weg bringen könnten.
Herr Jarzombek, da bin ich komplett bei Ihnen: Wir sind jetzt nicht im Wahlkampfmodus,
(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Sie schon, ich nicht! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hörte sich gerade aber anders an!)
sondern müssen nach wie vor unserer gesetzgeberischen Verantwortung nachkommen, also das Gesetz jetzt schon anpacken und nicht erst den Wahltermin verstreichen lassen. So würden wir schneller Rechtssicherheit schaffen.
(Beifall bei der SPD)
Das Angebot steht, ich bleibe dabei. Ich freue mich auch auf die morgige Aussprache zum E-Government-Gesetz, das wir auf den Weg bringen werden. Da können wir aber in der Koalition noch mutiger sein; denn wir sollten als Bund immer mit gutem Beispiel vorangehen.
(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] und Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])
Meine Damen und Herren, der öffentliche Nahverkehr ist in Deutschland auf dem Erfolgsweg. Wir haben nicht nur mit der Erhöhung der Regionalisierungsmittel dafür gesorgt, dass deutlich mehr in den schienengebundenen Nahverkehr investiert wird, sondern haben auch die Chance, das GVFG, das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, fortzuentwickeln. Das ist ein großes Angebot. Den uns von den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten zugespielten Ball nehmen wir auf. Das Gute erhalten, das andere noch viel besser machen, mehr Investitionen in den Nahverkehr – so schützen wir Metropolen, so gestalten wir den ländlichen Raum. Das ist das Ziel der sozialdemokratischen Verkehrspolitik.
Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD)
Britta Haßelmann hat als nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7092899 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 228 |
Tagesordnungspunkt | Öffentlicher Personennahverkehr |