Ralph BrinkhausCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zum EU-Austritt Großbritanniens
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Dr. Dehm, lieber Kollege, es sind leider auch einige üble Linksextreme produziert worden; auch das gehört zur Wahrheit dazu.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Wer denn? Kennen Sie jemanden? Erzählen Sie mal!)
Meine Damen und Herren, gestern hat die britische Premierministerin die Scheidungsdokumente in Brüssel eingereicht, und das war ein ganz schlechter Tag für die Europäische Union. Es war übrigens nicht nur ein schlechter Tag für die Europäische Union. Es war auch ein schlechter Tag für Deutschland. Es war deswegen ein schlechter Tag für Deutschland, weil uns so unglaublich viel mit dem Vereinigten Königreich verbindet. Wir haben sehr viele wunderbare persönliche Beziehungen, wir haben kulturelle Beziehungen, wir haben unglaubliche viele Städtepartnerschaften. Wir arbeiten im Bereich Wissenschaft und Forschung sehr gut zusammen. Das Vereinigte Königreich ist ein unverzichtbarer Partner im Bereich Sicherheit und Terrorbekämpfung. Wir haben natürlich auch sehr viele wirtschaftliche Beziehungen. Das Vereinigte Königreich ist eine der größten Volkswirtschaften in Europa und somit ein ganz wichtiger Partner für uns.
Es war aber auch deswegen ein schlechter Tag für Deutschland, weil das Vereinigte Königreich in sehr vielen Punkten mit uns einer Meinung war, weil wir Partner am Brüsseler Verhandlungstisch waren, weil wir über viele Dinge gleich gedacht haben. Es war nicht zuletzt deswegen ein schlechter Tag für Deutschland, weil wir dem Vereinigten Königreich so unendlich viel zu verdanken haben. Die Demokratie, die Pressefreiheit und viele andere Dinge, die wir heute wertschätzen, sind nach dem Zweiten Weltkrieg von unseren britischen Freunden hier mit entwickelt worden. Deswegen, meine Damen und Herren, weil die Verbindungen so eng sind, weil das so eine wichtige Beziehung ist, sollten wir die Verhandlungen, die wir jetzt führen, nicht mit Zorn und Wut, sondern mit gegenseitigem Respekt führen. Das sind wir unseren britischen Freunden schuldig.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das bedeutet, dass wir miteinander zunächst einmal fair umgehen. „ Fair umgehen“, das bedeutet, dass wir respektieren, egal wie die Kampagne dort auch verlaufen ist, dass es eine demokratische Entscheidung in Großbritannien war. Das haben wir zu akzeptieren.
Zur Fairness gehört auch, dass wir anerkennen sollten, dass in dem Austrittsschreiben von gestern von Theresa May ausdrücklich stand, dass sich diese Entscheidung nicht gegen Europa richtet, und in diesem Schreiben auf jegliche Schärfe verzichtet worden ist. Auch das, meine Damen und Herren, gilt es anzuerkennen.
Ich glaube, wir sollten uns bei diesem Verhandlungsprozess noch etwas vor Augen führen: Mit welchem Langmut und welcher Geduld haben wir mit einigen unserer europäischen Partner Verhandlungen geführt! Großbritannien war immer ein harter Partner bei den Verhandlungen, aber eines ist auch richtig: Das Vereinigte Königreich hat keine Verträge gebrochen. Das Vereinigte Königreich hat Zusagen eingehalten. Das Vereinigte Königreich hat nicht mit falschen Zahlen operiert. Auch das sollten wir uns vor Augen halten. Deswegen geht es in einem fairen Verhandlungsprozess nicht darum, das Vereinigte Königreich zu bestrafen, sondern es geht darum, das Beste für uns alle zu erzielen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn es aber so ist, dass die Briten, dass das Vereinigte Königreich unsere Freunde sind, dann kann man auch eines sagen: Unter Freunden kann man offen sein, und wir sollten auch offen und klar sein. Ich bin dankbar, dass der Außenminister gerade das eine oder andere klargestellt hat; denn zur Offenheit gehört auch das, was die Bundeskanzlerin angesichts der Brexit-Debatte letztes Jahr im Juni hier gesagt hat: Es wird kein Rosinenpicken geben. Es kann nicht sein, dass man an allen Vorteilen der Union partizipiert, aber nicht bereit ist, die Lasten der Union zu tragen.
Offen bedeutet auch, dass wir ganz klar feststellen müssen: Wenn die Briten einen freien Zugang zu den Kapitalmärkten, zu den Dienstleistungs- und zu den Gütermärkten haben wollen, dann müssen sie dafür eine Gegenleistung erbringen. Zu dieser Gegenleistung gehört auch, dass die Bewegungsfreiheit und die Niederlassungsfreiheit der EU-Bürger im Vereinigten Königreich verhandelt werden müssen. Das sind wir insbesondere unseren osteuropäischen Partnern schuldig, und da werden wir uns nicht auseinanderdividieren lassen.
Zur Offenheit, meine Damen und Herren, gehört auch dazu, dass wir der City in London – Herr Kollege Dehm, Sie hatten sie angesprochen –, sagen, dass wir es nicht akzeptieren können, dass die wesentlichen Finanzrisiken der Europäischen Union und der Euro-Zone außerhalb der Regulierung der Europäischen Union und der Euro-Zone gemanagt werden können. Das ist ganz wichtig.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, viele von Ihnen haben Gespräche mit den Vertretern der City geführt. Da ist auch eine gewisse Überheblichkeit zu spüren gewesen, nach dem Motto: Ihr seid auf uns angewiesen, wir sind diejenigen, die eure Realwirtschaft mit Liquidität versorgen. – Um es an dieser Stelle ganz klar zu sagen: Ein Hard Brexit würde uns vor das eine oder andere Problem stellen, aber wir werden uns nicht unter Druck setzen lassen.
Schaut man sich an, was momentan teilweise durch britische Medien kolportiert wird, nämlich: „Wir müssen hart kämpfen, wir sind in einer guten Position“, dann ist das nicht die Grundlage für eine gute Verhandlung. Es geht um Gemeinsamkeit, es geht um ein gemeinsames Ziel, es geht darum, dass beide Seiten gesichtswahrend da herauskommen. Dementsprechend lautet die ganz klare Adresse an die Freunde im Vereinigten Königreich: Unter Druck setzen, das bringt gar nichts.
Eines ist auch wichtig in diesen Verhandlungen: Das Vereinigte Königreich muss zu seinen finanziellen Verpflichtungen stehen, und das sollten wir besser am Anfang des Verhandlungsprozesses klären und nicht am Ende.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, ich bin froh, dass Sie eines adressiert haben, was auch ganz wichtig ist: Es verhandeln 27 gegen einen. Wir werden es nicht zulassen, dass irgendjemand einen Keil zwischen uns treibt, und bilaterale Verhandlungen wird es nicht geben. Auch das muss klar unter Freunden gesagt werden. Ich glaube, wenn wir auf der einen Seite fair verhandeln, aber klar unsere Linien definieren, dann kommen wir auch zu einem guten Ergebnis.
Meine Damen und Herren, dieses gute Ergebnis ist auch notwendig. Wir sehen mit großer Sorge, was in Großbritannien passiert. Das Land hat sich durch diese Abstimmung gespalten: Jung gegen Alt, katholische Nordiren gegen protestantische Nordiren, Schotten gegen Engländer; das ist nicht gut. Das schottische Parlament möchte das Referendum zur Unabhängigkeit wiederaufleben lassen. Der eine oder andere in Deutschland hat hier Schadenfreude. Die ist nicht angebracht.
Mit ganz großer Sorge schaue ich nach Irland. Irland ist wirtschaftlich sowohl von der Europäischen Union als auch vom Vereinigten Königreich abhängig, und das muss sich in den Verhandlungen niederschlagen. Die Botschaft an unsere irischen Freunde ist ganz klar: Wir werden da an eurer Seite stehen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Herr Dehm, Sie haben gerade nicht ganz viele richtige Dinge gesagt, aber ich bin froh, dass Sie eine Sache angesprochen haben, nämlich Nordirland. Dieses Referendum gefährdet das Karfreitagsabkommen und den sehr brüchigen Frieden in Nordirland. Wir alle wissen, wie dünn das Eis dort ist, und wir alle stehen in der Verantwortung, dass dieser Friedensprozess jetzt nicht durch diese Verhandlungen, die wir führen, scheitert. In Nordirland sind schon viel zu viele Menschen für nichts gestorben. Auch das gehört zur Wahrheit dazu.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir müssen uns natürlich auch Sorgen machen um die wirtschaftliche Verfasstheit. Da gibt es Leute, die sagen: Na ja, die sind selbst schuld, wenn sie kein Wachstum mehr haben. Die sind selbst schuld, wenn das alles nicht mehr so läuft. – Wir haben nichts davon, wenn es dem Vereinigten Königreich wirtschaftlich schlecht geht. Wir haben etwas davon, wenn es den Menschen dort gut geht: um der Menschen willen, aber auch um unserer Wirtschaft willen. Deshalb sollten wir daran arbeiten, dass wir auch dort ein gutes Ergebnis erzielen.
Meine Damen und Herren, das ist der eine Teil der Wahrheit. Der andere Teil ist – das hatten Sie in Ihrer Rede angesprochen; das hatten wir auch letztes Jahr im Juni schon gesagt –: Wir müssen uns natürlich fragen, warum das alles so gekommen ist, und wir müssen uns natürlich auch infrage stellen mit all dem, was wir in Europa gemacht haben. Sind die europäischen Institutionen, sind die europäischen Regeln und sind auch die handelnden Personen auf europäischer Ebene wirklich geeignet, dieses Europa optimistisch und zuversichtlich in das 21. Jahrhundert bzw. in das nächste Jahrzehnt zu führen, oder müssen wir da eine ganze Menge infrage stellen? Man kann natürlich, so wie es in Ihrer Rede angeklungen ist, sagen: Wir brauchen jetzt noch mehr Geld, das wir dort hineinstecken können, und wir müssen die Integration weiter vertiefen. – Ich würde stattdessen eine andere Idee zur Diskussion stellen: das Geld besser ausgeben, die Institutionen verbessern, die Regeln verbessern und vor allen Dingen auch darauf achten, dass diese Regeln eingehalten werden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nichtsdestotrotz muss es auch so sein, dass Europa immer eine emotionale Frage ist. Bei allem Respekt vor den Menschen, die sich unglaubliche Verdienste um Europa erworben haben: Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, dass die Geschichte Europas nicht mehr von übernächtigten Politikern in Brüssel oder von grauen Beamtengesichtern erzählt wird, sondern zum Beispiel von meinem Studienfreund, der durch das Erasmus-Programm seine Frau in Schweden kennengelernt hat und mit ihr zusammenlebt, oder dem Tischler in meinem Wahlkreis, der seine Küchen jetzt auch in Großbritannien, in Frankreich und Spanien verkaufen kann und dadurch einen sicheren Arbeitsplatz hat, oder vielleicht auch von denjenigen, die sich noch an Krieg und Vertreibung erinnern und die es wertzuschätzen wissen, was Frieden für diesen Kontinent bedeutet. Ich glaube, wenn wir diese Geschichte Europas emotional erzählen und wenn wir die Vorteile klarmachen, dann wird nicht noch einmal das passieren, was in Großbritannien passiert ist, sondern dann werden die Völker in Europa sagen: Die Europäische Union ist eine gute Sache, wir wollen dabei sein, und wir wollen nicht raus.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank, Herr Kollege Brinkhaus. – Als Nächster hat der Kollege Cem Özdemir von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7092926 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 228 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum EU-Austritt Großbritanniens |