Heribert HirteCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zum EU-Austritt Großbritanniens
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern war ein trauriger Tag für alle von uns, und das ist in vielen der Reden auch schon zu Recht gesagt worden. Wir wollen – das ist ein Ziel der jetzt beginnenden Verhandlungen – gute Freunde der Briten bleiben. Auch das unterstütze ich nachdrücklich.
Das Beispiel des Fußballplatzes wurde schon angeführt. Ich sage: Wir wollen solche Freunde bleiben wie die Spieler auf dem Feld, und wir denken hier eher nicht an die Tribünen. Die Populisten auf beiden Seiten des Kanals instrumentalisieren den Brexit nämlich für ihre Zwecke, um auf diese Weise Stimmung zu machen. Wir sollten uns an dieser Diskussion nicht beteiligen.
Deshalb gilt: Wir müssen mit den Briten als Erstes über die Frage reden, wie wir zu fairen Verhandlungen kommen. Es treibt mich hier schon ein bisschen um, dass man gesagt bekommt, dass britische Vertreter auch auf der Seite der Kommission und des Europäischen Parlaments sitzen, also auf beiden Seiten des Tisches, und ein bisschen an der Formulierung der Position mitarbeiten, die wir als Europäer gegenüber dem Vereinigten Königreich aufbauen wollen. Das geht so nicht. Man kann nicht Diener zweier Herren sein.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Ich gehe nun einen Schritt weiter und könnte eigentlich sagen: Herr Brinkhaus, mein Kollege, hat das alles schon gesagt. Wir sind nämlich in Scheidungsverhandlungen, und man kann nicht über die rosige Zukunft nach den Scheidungsverhandlungen nachdenken, solange die Scheidung nicht durch ist. Bis die Scheidung durch ist, müssen wir klären, was die Verbindlichkeiten aus dem aktuellen Stand der Dinge sind. Welche Zahlungen hat das Vereinigte Königreich noch zu erbringen?
Wir müssen uns nicht an den Diskussionen über die Frage beteiligen, ob das so und so viele Milliarden Euro oder Pfund sind; aber wir müssen uns vor allen Dingen über die Antwort auf die Frage einig sein, wer darüber entscheidet, wie hoch die Verbindlichkeiten sind. Daran kann aus meiner Sicht, aus der Sicht des Rechtspolitikers, kein Zweifel bestehen: Für die Auslegung unserer EU-Verträge und einer etwaig zu schließenden Vereinbarung ist der Europäische Gerichtshof zuständig.
Wenn man sich einmal in einen solchen Streitschlichtungsmechanismus begeben hat, dann kann man nicht einfach gehen und sagen: Jetzt entscheiden das andere. – Das bedeutet für uns: Wir werden gar nicht zustimmen können, wenn bei solchen Vereinbarungen eine andere Schiedsinstanz eingerichtet werden soll. Ich sage ganz deutlich: Ich glaube, wir können das verfassungsrechtlich gar nicht tun, weil wir dann nämlich eine Schiedsinstanz begründen würden, zu deren Einführung uns das Verfassungsgericht nicht die Kompetenz geben würde.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Dass die britische Premierministerin ihren Abgeordneten dies offensichtlich so nicht gesagt hat – hier knüpfe ich an den Kollegen Seif an –, ist mit Sicherheit fahrlässig; denn das wird dazu führen, dass der Europäische Gerichtshof noch für lange Zeit – manche sagen 20, manche sagen 40 Jahre – für die Auslegung dieser Streitigkeiten in der Pflicht ist. Das sind für die Kollegen im Vereinigten Königreich keine rosigen Aussichten, weil sie genau diese Rechtsprechung aus für mich unverständlichen Gründen nicht akzeptieren wollen.
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt. Ja, das Ziel sollte sein, gemeinsam ein anspruchsvolles Freihandelsabkommen zu verhandeln. Aber auch bei Freihandelsabkommen spielt die Frage eine Rolle: Wie legen wir die Nichtdiskriminierungsklauseln aus? Wir haben hier in dieser Konstellation zusammengesessen, auch mit dem damaligen Wirtschaftsminister Gabriel, und über die Frage geredet, wie Schiedsgerichtsvereinbarungen bei TTIP und CETA ausgestaltet werden sollen. Wir haben erreicht, dass sie anders ausgestaltet werden als bisher. Es gibt keine sogenannten „privaten Schiedsgerichte“, sondern institutionelle Gerichte werden entscheiden.
Nun liest man in der britischen Presse, man habe da alte Erfahrungen, wie man solche Schiedsgerichte ausgestalten könne; daran könne man anknüpfen. – Das sind dieselben Briten, die gemeinsam mit uns und Ihnen, Herr Gabriel, damals in Ihrer Funktion als Wirtschaftsminister, mit Kanada über eine moderne Schiedsgerichtsinstitution verhandelt haben. Ich weiß nicht, wie das Problem mit den Schiedsgerichten gelöst werden soll; das macht mich wirklich ratlos. Ich bin vor allen Dingen völlig unsicher, warum die Engländer nicht auf die Idee kommen, das vorher einmal durchzuspielen.
Damit komme ich zu einem weiteren Punkt. Wir verhandeln jetzt – das ist das Ziel der Briten; das ist auch völlig richtig so – über Übergangsvorschriften. Schon jetzt hören wir, dass die Übergangsvorschriften eine Dauer von vielen Jahren haben sollen und dass die Finanzindustrie – da schaue ich den Kollegen Dehm an – natürlich besonders lange Fristen für die Übergangsvorschriften fordert. Vor diesem Hintergrund verlaufen die Verhandlungen in eine Richtung, die dazu führen könnte, dass die Briten eine Art Sondermitgliedschaft in der Europäischen Union bekommen: Sie bekämen die Vorteile, müssten aber keine Pflichten mehr übernehmen. Das können wir nicht zulassen, auch – das sage ich wieder als Jurist – aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN)
Über all dies darf nicht in Vergessenheit geraten: Was waren die Gründe für die Brexit-Entscheidung? Vieles davon ist schon gesagt worden. Es war erstens Unmut über die Migration und zweitens Unmut über die fehlenden Möglichkeiten, die britische Wirtschaft wieder fit zu machen. Wir haben über diese Dinge mit den Verantwortlichen aus dem Vereinigten Königreich verhandelt.
Vor etwas mehr als einem Jahr hat der Europäische Rat eine ganze Reihe von Rechtsänderungen für den Fall zugesagt, dass das Vereinigte Königreich in der Europäischen Union bleibt. Eine ganz zentrale Änderung, die in der Diskussion eine große Rolle gespielt hat, war die Indexierung von Kindergeldzahlungen an EU-Ausländer, deren Kinder im Heimatland verblieben sind. Ich bin froh, dass der Koalitionsausschuss letzte Nacht genau in diesem Punkt gesagt hat: Wir in Deutschland gehen weiter in diese Richtung.
Ich erwarte deshalb jetzt von der Bundesregierung, dass sie auch die entsprechenden europäischen Rechtsänderungen unterstützt, damit diese falschen Anreize bei den Sozialleistungen zurückgenommen werden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das ist der Korb 4 der damaligen Verhandlungen. Das kann man eins zu eins kopieren. Das sollten wir auch tun und fordern, zumal die 26 anderen europäischen Partner hier schon ihre Zustimmung signalisiert haben.
Letzter Punkt. Ebenfalls dazu gehört natürlich Korb 2, die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere für die kleinen und mittelständischen Unternehmen. Da haben die Briten schon erkannt, dass es bei uns in der europäischen Rechtsetzung durchaus Defizite gibt. Das können und sollten wir aufgreifen. Das sollten wir gemeinsam tun. Dann zeigen wir den Briten als EU Rest-27, dass wir am Ende ein stärkeres Europa haben und dass Europa eine Zukunftsvision ist, für die wir alle gemeinsam stehen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank, Herr Kollege Hirte. – Als letzter Redner in dieser Aussprache spricht nun Stephan Mayer von der CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7092942 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 228 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum EU-Austritt Großbritanniens |