Stephan MayerCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zum EU-Austritt Großbritanniens
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Auch ich persönlich bedaure außerordentlich die Entscheidung der Briten, aus der Europäischen Union auszutreten. Ich sage dies aber nicht nur als Privatperson, sondern auch in meiner Funktion als Vorsitzender der deutsch-britischen Parlamentariergruppe. Es ist ein schwerer Fehler, den die Briten jetzt begangen haben. Wir müssen das aber akzeptieren und auch respektieren.
Es ist mit Sicherheit unbestreitbar: Die jetzt bevorstehenden Verhandlungen werden die schwierigsten und komplexesten sein, die die Europäische Union, aber auch Großbritannien jemals geführt haben. Natürlich ist es auch richtig, dass es in diesen Verhandlungen keine Rosinenpickerei geben darf, keinen Britenrabatt geben darf und keine Extrawürste für die Briten geben darf.
Es stimmt natürlich auch, dass unser prioritäres Ziel sein muss, dass die EU der verbleibenden 27 Länder zusammenbleibt. Ich bin der festen Überzeugung: Kein Land in der Europäischen Union hat ein so großes Interesse daran, dass die EU zusammenbleibt und noch stärker wird, als Deutschland.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deutschland befindet sich im Zentrum Europas. Wir haben die meisten Nachbarn in Europa. Und wir sind das größte Land, auf das natürlich auch immer sehr intensiv geblickt wird.
Ich sage aber auch ganz offen: Ich hielte es für falsch, wenn die anstehenden Verhandlungen mit Großbritannien jetzt mit dem Duktus der Schadenfreude bzw. dem Duktus der enttäuschten Liebe geführt werden. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel vollkommen recht hat, wenn sie darauf hinweist, dass es einen klaren Unterschied machen muss, ob sich ein Land innerhalb oder außerhalb der Europäischen Union befindet. Ich sage aber auch dazu: Auch die britische Premierministerin Theresa May hat recht, wenn sie darauf hinweist, dass Großbritannien zwar aus der EU, aber nicht aus Europa austritt.
Deswegen – das sage ich auch ganz offen, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen – passt das Beispiel der Scheidung nicht so ganz gut. Nach einer Scheidung kann man sich, wenn man will, für immer und ewig aus dem Weg gehen. Aber Großbritannien bleibt in Europa. Großbritannien bleibt Mitgliedsland der NATO. Großbritannien bleibt Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Und Großbritannien bleibt ein wichtiger und zentraler Partner für Deutschland.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In vielfältiger Hinsicht arbeiten wir bestens und hervorragend mit Großbritannien zusammen. Ich sage ganz ausdrücklich: Wir dürfen dies auch aus deutschem Interesse bei den jetzt anstehenden Verhandlungen nicht gefährden. Ich möchte nur die Zusammenarbeit im Terrorismusbereich und in der Sicherheitspolitik erwähnen. Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft. Hier in Berlin sind wir im letzten Jahr fünf Tage vor Weihnachten auf schreckliche und tragische Weise Opfer eines verheerenden Anschlags geworden. Die Briten wurden vor einer Woche Opfer eines ähnlich gravierenden Anschlags. Dies schweißt uns auch zusammen; das gilt gerade jetzt im Hinblick auf den Kampf gegen den internationalen bzw. islamistischen Terrorismus. Auch im Bereich der internationalen Friedensarbeit und bei der internationalen Konfliktbewältigung sind die Briten für uns einer der wichtigsten Partner.
Ich sage auch ganz offen: Natürlich ist die Wirtschaft nicht alles. Aber ordentliche und vernünftige Wirtschaftsbeziehungen sind die Grundlage dafür, dass wir uns hier in Deutschland vieles leisten können und dass sich auch Großbritannien vieles leisten kann. Wir dürfen bei den anstehenden Verhandlungen nicht außer Acht lassen, dass wir Deutsche für die Briten der wichtigste Exportmarkt für Güter sind. Und Großbritannien ist für Deutschland nach den USA der zweitwichtigste Exportmarkt für Güter. Jährlich werden Güter im Wert von fast 100 Milliarden Euro von Deutschland nach Großbritannien exportiert.
Es gibt 2 500 deutsche Unternehmen, die in Großbritannien engagiert sind; sie beschäftigen 400 000 Mitarbeiter. Britische Unternehmen beschäftigen in Deutschland 250 000 Mitarbeiter. Unternehmen wie Siemens, BMW, Eon, RWE und Bosch sind wichtige Arbeitgeber in Großbritannien. Wir dürfen dies – das sage ich auch ganz deutlich – nicht dadurch gefährden, dass wir in den Verhandlungen, vielleicht getrieben auch von Emotionen, zu stark die Muskeln spielen lassen. Mir ist dies wirklich sehr ernst, weil ich die große Gefahr sehe, dass ansonsten wirklich das dabei herauskommt, was Herr Kollege Schäfer apostrophiert hat, nämlich dass es am Schluss der Verhandlungen eine Lose-lose-Situation gibt. Ich sehe es nicht ganz so fatalistisch wie Sie.
(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Realistisch!)
Ich sehe es nicht als gesetzt an. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir klug sind, dann müssen wir die Verhandlungen so führen, dass wir die Briten nicht als unsere Gegner, sondern als unsere Verhandlungspartner ansehen, getrieben davon, dass wir am Schluss zu einer für beide Seiten möglichst akzeptablen und vernünftigen Lösung kommen.
Natürlich, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, bin ich nicht so naiv, anzunehmen, dass die Briten nicht alles tun werden, um zu einem für sie optimalen Ergebnis zu kommen. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass Großbritannien und Deutschland engstens verwoben sind, etwa auf Ebene des Parlamentes, etwa auf Ebene der Städtepartnerschaften. Es gibt ungefähr 600 Partnerschaften zwischen deutschen und britischen Städten. Die Leiter des British Museum und des Victoria and Albert Museum sind Deutsche. Der Leiter des Humboldt Forums in Berlin ist Brite.
Ich hoffe also, dass die Verhandlungen nicht von Emotionen getrieben geführt werden, sondern dass uns Ratio und Klugheit leiten. In diesem Sinne: Die Verhandlungen sind mit Sicherheit schwierig, aber wenn man sie konstruktiv, vernünftig und mit dem notwendigen Respekt und der notwendigen Fairness führt, dann kann nach meiner festen Überzeugung am Ende für beide Seiten ein ordentliches und vernünftiges Ergebnis herauskommen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7092943 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 228 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum EU-Austritt Großbritanniens |