30.03.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 228 / Tagesordnungspunkt 13

Michael BrandCDU/CSU - Hungersnot und Völkermord in Südsudan

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Achol Amman ist damit beschäftigt, dass ihre Kinder schon jetzt Hunger leiden. Die Mutter sitzt vor dem Eingang des Saint Mary’s Hospital in einem Dorf unweit von Wau auf einer Mauer und wiegt den dreijährigen Majok auf dem Schoß. In ihrer Hütte blieben Majoks Geschwister mit leeren Bäuchen zurück. Ammans Mann ist in irgendeiner Schlacht gefallen, und die Südsudanesin hatte in den vergangenen Wochen nichts als Brennholz zu verkaufen, um ihren Kindern etwas Hirse zu beschaffen.

Majoks Kopf wirkt riesig im Vergleich zum verzehrten Rest seines Körpers. An Ärmchen und Beinchen ist kein Fleisch mehr an den Knochen. Seine Augen treten aus dem eingefallenen Gesicht hervor. Die Haare sind in Büscheln ausgefallen. Was wird die Mutter tun, wenn sie den nach Erdnussbutter schmeckenden Kalorienkuchen aus UN-Beständen von den Helfern erhält?

Die Ärzte werden verlangen, dass sie die Kalorienmedizin Majok gibt. Denn der Junge ist dabei, zu verhungern. Dann bekommen aber seine Geschwister auch weiterhin nur Hirse – zu wenig. Teilt sie den Kuchen unter ihren Kindern auf, wird Majok sterben. Die Mutter muss sich entscheiden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, so beschreibt es in einer aktuellen Reportage ein Journalist, der gerade mit der Aktion Deutschland Hilft, einem Bündnis deutscher Hilfsorganisationen, im Südsudan unterwegs war.

Ja, „Hungersnot abwenden, Völkermord verhindern“ – so heißt es im Grünenantrag –, das ist in der Tat der Auftrag, der an alle geht. Die Lage im Südsudan ist eine schiere Katastrophe. Und ja, die Gewalt birgt das Potenzial eines Völkermords. Mädchen werden vergewaltigt, Jungen werden wie Tiere abgeschlachtet, wie Augenzeugen in diesen Tagen berichten. Die Lage spitzt sich weiter zu. Hunger wird auch als Waffe eingesetzt. Hunderttausende müssen fliehen. Wer die Menschen im Südsudan jetzt im Stich lässt, wird bald mit den Bildern von sterbenden Kindern konfrontiert werden, von Menschen, die dreckiges Wasser trinken und krepieren.

Die Mittel der Staatengemeinschaft für humanitäre Hilfe im Südsudan – das ist meine Sicht der Dinge – müssen verdoppelt werden. Allein das BMZ hat im letzten Jahr über 50 Millionen Euro für die Aufbereitung von Wasser zur Verfügung gestellt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, Europa muss sich insgesamt stärker für Afrika interessieren und engagieren.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich meine es nicht parteipolitisch, sondern glaube, dass es eine breite Mehrheit hier im Deutschen Bundestag so sieht – ich könnte auch alle anderen aufzählen, die seit vielen Jahrzehnten in dem Bereich aktiv sind und denen das Schneckentempo viel zu langsam ist –: Der Appell von Gerd Müller und auch von Ursula von der Leyen gestern auf der Konferenz der Bundesregierung zu Sicherheit, Frieden und Entwicklung in Afrika war zutreffend; denn Afrikas Stabilität beeinflusst die Stabilität Europas. Auch das ist meine Einschätzung: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit, auch um stärker zu unterstützen, dass zum Beispiel die lokale und auch die internationale Privatwirtschaft in Arbeitsplätze investiert, um Einkommen und Entwicklung in Afrika zu sichern.

Und ja, vieles ist von afrikanischen Politikern, von den sogenannten Eliten hausgemacht. Korruption, Macht und fehlendes Interesse an der eigenen Bevölkerung gehören zu den größten Versagen. Wahr ist auch: Die UN-Missionen am Golf von Guinea und an Afrikas großen Seen haben tatsächlich zur Friedenssicherung beigetragen. Auch in Mali hat der internationale Einsatz Erfolg gebracht; Herr Kollege Kekeritz, die Differenzierung, die Sie eben vorgenommen haben, trifft es ziemlich gut.

Es ist an der Zeit, endlich aufzuwachen und mehr zu tun. Und da Sicherheit niemals rein militärisch verengt werden darf, muss das 2-Prozent-Ziel – vielleicht kommt das in der heutigen Diskussion noch zum Tragen – auf 3 Prozent des BIP erhöht werden, und zwar für Verteidigung und eben auch – und jetzt kommt der Schwerpunkt – für die Entwicklungszusammenarbeit,

(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nein, nein, nein! Das ist ein billiger Trick!)

für die humanitäre Hilfe und für die Diplomatie. Das ist machbar, das ist erforderlich, und ich glaube, dass dieser strategische Mix auch zielführend ist. Er dient der Krisenprävention und der Krisenbewältigung. Sie müssen endlich aus den ideologischen Gräben rauskommen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wer steckt denn drin?)

Wir brauchen beides. Wir brauchen diese Anstrengung an allen Ecken und Enden. Sie wissen doch auch, dass die humanitären Helfer an vielen Stellen gar nicht ihre Arbeit tun können, wenn sie kein sicheres Umfeld haben. Genauso wahr ist, dass Militär allein keinen Frieden schaffen kann.

Deutschland engagiert sich auf vielen politischen Ebenen für die Bewältigung der Krise im Südsudan. Im Jahr 2016 wurde ein Schwerpunkt gesetzt – Staatsminister Roth sitzt hier auf der Regierungsbank –: Fast 60 Millionen Euro wurden zur Verfügung gestellt, 2017 werden es 40 Millionen Euro sein. Ich prognostiziere: Es werden mehr als 40 Millionen Euro werden müssen, wenn man dem Elend nicht zuschauen will.

Herr Kollege, erlauben Sie eine Bemerkung oder Zwischenfrage von Frau Keul? – Ja oder Nein?

Ja.

Gut.

(Niels Annen [SPD]: Schwere Entscheidung!)

Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Ich möchte nachfragen, ob ich das mit den 3 Prozent richtig verstanden habe. Wir haben gerade gehört, dass die Bundesregierung 2016 für den Südsudan rund 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat; Sie haben zu Recht gesagt, das muss mehr sein, man muss die Mittel auf 100 Millionen Euro verdoppeln. Jetzt fordern Sie 3 Prozent vom BIP. Ich habe das ausgerechnet. Das hieße im Groben, dass sich der Einzelplan 14 des Bundeshaushalts, der Verteidigungshaushalt, von 30 auf etwa 55 Milliarden Euro erhöhen würde. Wir sprechen von 25 Milliarden Euro zusätzlich für den Verteidigungshaushalt. Können Sie mir erklären, wie das im Verhältnis stehen soll zu den 50 Millionen Euro für die Trinkwasseraufbereitung?

Das haben Sie falsch verstanden; vielleicht auch nicht ganz unbeabsichtigt. Ich habe davon gesprochen, dass die Ausgaben von 2 Prozent auf 3 Prozent des BIP erhöht werden sollten, aber nicht nur für das Militär, sondern auch für einen Mix aus Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie.

(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Aber Sie wollen die 2 Prozent!)

Die Diskussion kennen Sie vielleicht auch von Herrn Ischinger, der diesen Vorschlag im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz gemacht hat.

Ich glaube, dass der Vorschlag, Mittel zu erhöhen – Sie haben meine Aussage auf das Militär reduziert; dabei habe ich ausdrücklich gesagt: auch in den anderen Bereichen sind die Mittel deutlich zu erhöhen –, ein Beitrag ist, um das System der vernetzten Sicherheit, an dem wir seit Jahren in unterschiedlichen Konstellationen der Regierungsarbeit und der Parlamentsarbeit hier im Deutschen Bundestag arbeiten, zu unterstützen. Dazu bedarf es einer Kraftanstrengung an mehreren Stellen.

Wir sollten die Mittel, die durch die Erhöhung auf 3 Prozent des BIP zusätzlich kommen, in allen Bereichen nutzen – nicht allein im Rüstungsbereich, sondern vor allen Dingen in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und Diplomatie –,

(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Damit wollen Sie nur das NATO-Ziel erreichen! Ein ideales Feigenblatt!)

um den gemeinsamen Ansatz zu stärken. Wir brauchen nicht die Diskussionen von gestern zu führen, die am Ende vielleicht manche Ideologie bedienen, aber den Menschen vor Ort wenig helfen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Üble Trickserei! – Stefan Rebmann [SPD]: Entwicklung erhöhen und Verteidigung entlasten!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein großes Problem ist der Zugang zu humanitärer Hilfe. Das ist ein ganz wichtiger Punkt; denn humanitäre Hilfe kommt oftmals gerade nicht dort an, wo sie am dringendsten gebraucht wird. Ich will auch sagen, dass humanitäre Hilfe – deswegen müssen wir in Bezug auf das 2- oder 3-Prozent-Ziel über den Tag hinausdenken und nicht nur bei der Tagespolitik bleiben, Frau Keul – neben der Erhöhung der Mittel nicht zum Alibi der Staatengemeinschaft verkommen darf, Konflikte nicht politisch zu lösen. Es braucht neben der Verdopplung der Mittel für die humanitäre Hilfe durch die Staatengemeinschaft endlich das, was Kollege Kekeritz gesagt hat: ein Waffenembargo, Reisebeschränkungen und das Einfrieren ausländischer Bankkonten der Rädelsführer im Südsudan. Es muss Schluss damit sein, dass das viele Geld aus Ölexporten in den Taschen einiger weniger Familien landet oder in einem schmutzigen Krieg verpulvert wird, während die Bevölkerung hungert. Deswegen ist die Blockade des Beschlusses des UN-Sicherheitsrates durch China und Russland eine Schande. Sie ist auch Salz in den Wunden der hungernden Bevölkerung. Das muss ein Ende haben. Es gibt eine moralische Verpflichtung, alles zu versuchen, auch um die Sicherheit dort zu stabilisieren. Der Sudan grenzt an Libyen, und Millionen werden sich auf den Weg machen, wenn das Elend weitergeht. Das sind sogenannte vergessene Krisen.

(Zurufe von der LINKEN: Ja, ja!)

– Ja, das gehört auch dazu.

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Ich muss Perspektiven für die Leute vor Ort schaffen, damit sie sich nicht auf den Weg machen. Auch das ist praktizierte Nächstenliebe.

Ich glaube, Deutschland tut eine ganze Menge in dem Bereich. Wahr ist aber auch – das ist die bittere Wahrheit –: Man kann nie genug tun. Deswegen müssen wir unsere Anstrengungen weiter stärken.

Ich möchte abschließend eine Aussage des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler zitieren, der sich seit Jahrzehnten für den Kontinent Afrika engagiert. Er schaut nicht nur mitleidig auf Afrika, sondern sieht auch die Chancen, die in diesem Kontinent liegen. Er hat recht, wenn er sagt: Kein Land der Welt, so reich und mächtig es auch sein mag, kann auf Dauer seinen Wohlstand erhalten, ohne auf die Perspektiven der anderen Länder Rücksicht zu nehmen. Daher müssen wir zu einem neuen Verständnis von nationalem Interesse finden, das sich im Kontext eines globalen Gemeinwohls definiert.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Darf ich die Kollegen bitten, sich tendenziell oder ziemlich konkret an die Redezeit zu halten? Das gilt wirklich für alle. – Danke schön.

Nächste Rednerin: Kathrin Vogler für die Linke.

(Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ganz einfach: Mikro abdrehen! – Peter Beyer [CDU/CSU]: Die Linke fordert: Mikro abdrehen! – Gegenruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wenn ihr die Zeiten überzieht! Zuhören! – Gegenruf des Abg. Peter Beyer [CDU/CSU]: Ja, ja! Immer die Ruhe bewahren, Herr Kollege!)

– Vorsicht jetzt, bitte! Jetzt ist Frau Vogler dran, und wir kommen bitte wieder runter. – Frau Vogler, bitte.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7093205
Wahlperiode 18
Sitzung 228
Tagesordnungspunkt Hungersnot und Völkermord in Südsudan
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