27.04.2017 | Deutscher Bundestag / 18. EP / Session 231 / Tagesordnungspunkt 3

Katarina BarleySPD - Regierungserklärung zum Europäischen Rat

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Trotz meiner knappen Redezeit möchte ich die Gelegenheit ganz kurz dazu nutzen, der Kollegin Dorothee Schlegel zum Geburtstag zu gratulieren. Sie ist nämlich eine besonders engagierte Europäerin aus unserem Hause.

(Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Im Willy-Brandt-Haus, oder was?)

Der Tag des britischen Referendums war definitiv eine Niederlage für die europäische Idee. Ich glaube, darin sind wir uns alle einig. Es lohnt sich aber dennoch, einmal zu schauen: Warum ist es dazu gekommen? Wie ist es dazu gekommen?

Ich will Ihnen gerne eine Erfahrung aus meinem persönlichen Bereich schildern. Die meisten hier wissen wahrscheinlich inzwischen, dass ich auch die britische Staatsangehörigkeit habe.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Doppelpass!)

Weil in Großbritannien ebenso wie sonst in Europa niemand vorher absehen konnte, was der Brexit ganz konkret bedeutet, habe ich mir in meiner Eigenschaft als britische Staatsangehörige erlaubt, in der britischen Presse die Anregung zu unterbreiten, ob man nicht erst einmal verhandelt und dann, wenn man das Verhandlungsergebnis absehen kann, ein neues Referendum durchführt. Die Reaktionen, die ich darauf aus Großbritannien bekommen habe, waren wie folgt: Es gab natürlich vereinzelt Zustimmung, aber ich habe vor allen Dingen einen wahnsinnigen Shitstorm bekommen.

Wenn man diesen liest, wird einem klarer, was in Europa eigentlich los ist. Ich glaube, wir müssen das ernst nehmen, weil das nicht nur in Großbritannien so ist, sondern auch in anderen Staaten der Europäischen Union. Da werden ganz viele Fehlinformationen weitergetragen, da werden Vorurteile bestätigt. Ein Satz hat mich aber besonders beeindruckt: Wir haben Deutschland doch nicht militärisch besiegt, um uns jetzt wirtschaftlich über den Tisch ziehen zu lassen. – Das war ein Motiv, das immer wieder kam.

Ich will jetzt nicht sagen, dass das stimmt. Ich will nur sagen: Die Wahrnehmung bei viel zu vielen Menschen ist, dass diese Europäische Union nicht für sie da ist, dass das ein Projekt ist, bei dem es um andere geht, bei dem es um Staaten, um Besserverdienende, um Wirtschaft geht, aber bei dem es nicht um ihre Interessen geht.

Deswegen ist unsere wichtigste Aufgabe, das Vertrauen der Menschen in die Europäische Union wiederherzustellen. Dafür ist entscheidend, dass unsere eigenen Politiker und Minister nicht wie Schulmeister durch die Europäische Union gehen und Hausaufgaben und Noten an andere Mitgliedstaaten verteilen. Die EU wird scheitern, wenn sie von Politikern geführt wird, die nur in Bilanzen und in Durchschnittswerten denken, die nicht verstehen, dass hinter Bruttoinlandsprodukten und Staatsschuldenquoten Menschen stehen – Menschen, die oft weder Einfluss darauf hatten noch verstehen, wer ihnen die Suppe eingebrockt hat, die aber spüren, dass die EU ihnen nicht dabei hilft, ihre Probleme zu lösen und ihr Leben leichter zu machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich habe so wenig Zeit; deswegen muss ich schnell reden.

Wir müssen den Mut haben, zu sagen, dass wir als Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht nur Verantwortung für unseren eigenen Staat übernehmen, sondern auch für die anderen Staaten. Das ist ein Stück weit wie in der Familie. Die funktioniert auch nicht nur dann, wenn man an sich selber denkt, sondern man muss die anderen mitdenken. Es ist eben an der Zeit, dass sich Europa den großen sozialen Fragen zuwendet.

Frau Wagenknecht, Sie haben klargemacht, dass Sie von der EU wirklich überhaupt keine Ahnung haben: Es gab nie ein soziales Europa. Wir sind auf dem Weg dahin. Das ist ein historischer Weg. Die EU ist entstanden aus einer Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft, und wir müssen in und mit der Europäischen Union dafür kämpfen – das ist der Punkt –, dass es ein soziales Europa gibt, und wir dürfen nicht gegen sie kämpfen. Das haben Sie immer noch nicht kapiert.

(Beifall bei der SPD)

Europa ist das, was wir aus Europa machen, wir Menschen, wir Mitgliedstaaten. Wir müssen eine neue Begeisterung für Europa wecken. Wir sehen das im Moment: junge Menschen, alte Menschen, die auf die Straße gehen. Pulse of Europe ist in aller Munde. Die Europäische Union kann nicht klappen – das spüren diese Menschen –, wenn wir ein Klub von 27 Egoisten sind, wenn sich 27 egoistische Regierungschefs zusammenfinden und jeder nur für sein Land das Größte herausschlagen will.

Was passiert, wenn die Leute das Gefühl haben, dass Europa nicht für sie da ist, das sehen wir jetzt in Frankreich wie durch ein Brennglas. Es gibt die einen, die sagen: „Wenn schon Egoismus, dann richtig, dann nationalistisch, dann autoritär; dann gehen wir volle Lotte auf die autoritäre Rechte.“ Es gibt andere, die sagen: Wir wählen den Einzigen, der sich wirklich pro Europa ausspricht. – Trotz aller Schwierigkeiten, die man im Einzelnen mit der Politik von Herrn Macron haben kann, bleibt festzuhalten: Er hat ganz klar gesagt: Was wir brauchen, ist eine ganz starke Europäische Union, in der wir miteinander Verantwortung füreinander übernehmen. – Sie werden es mir nachsehen, dass ich auch deswegen so froh bin, dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zu ihrem Vorsitzenden und zu ihrem Kanzlerkandidaten einen überzeugten Europäer gewählt hat, der nicht nur mit Verstand, sondern auch mit Herz und mit Leidenschaft diese grundeuropäische Idee vertritt und der weiß, dass man sie verändern muss, der aber auch weiß, wo man sie anpacken muss.

(Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So wie die Kanzlerin, meinen Sie!)

Ich freue mich sehr darauf, mit Macron und mit Martin Schulz eine neue europäische Idee aufbauen zu können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält nun die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Electoral Period 18
Session 231
Agenda Item Regierungserklärung zum Europäischen Rat
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