Nina WarkenCDU/CSU - Abschiebungen nach Afghanistan und Familiennachzug
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der neuerliche Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen trägt den Titel „Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen“. Ich darf aber zu Beginn kurz auf Sie, Frau Kollegin Jelpke, eingehen, weil Sie vorhin das Thema Familiennachzug angesprochen haben. Ich finde, Sie machen es sich einfach, indem Sie ein Einzelschicksal plakativ hervorheben und uns indirekt vorwerfen, wir würden uns nicht darum kümmern, das würde uns nicht berühren. Wir kümmern uns auch um Einzelschicksale. Uns berühren Einzelschicksale; uns berührt aber auch das große Ganze. Wir kümmern uns auch darum. Wir schaffen steuernde Regelungen, treffen dazu Entscheidungen und übernehmen Verantwortung. Das ist nicht immer einfach, aber das tun wir, und ich glaube, das ist eine wichtige Entscheidung gewesen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Aber worum geht es in dem vorliegenden Antrag eigentlich? In dem Antrag wird gefordert, dass der Bundesinnenminister das BAMF anweist, allen afghanischen Asylbewerbern zumindest subsidiären Schutz zu gewähren. Die Zusammenarbeit mit Afghanistan soll ausgesetzt werden, und es soll nicht mehr dorthin abgeschoben werden. Es soll also allen afghanischen Asylbewerbern pauschal und unabhängig von den konkreten Umständen Schutz zuteilwerden,
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht im Antrag nicht drin!)
und das, obwohl die afghanische Regierung ausdrücklich darum bittet, keine weiteren Anreize zu setzen, da dem Land gerade die verloren gehen, die es dringend braucht, und das, obwohl nicht nur Deutschland, sondern auch die EU selbst Vereinbarungen mit Afghanistan geschlossen haben und Deutschland eine der höchsten Schutzquoten für afghanische Staatsangehörige in der EU hat.
Was das Thema Schutzquoten angeht, Frau Kollegin Jelpke: Ich glaube, man kann dem BAMF sicherlich nicht vorwerfen, dass es in den letzten Monaten über eine Vielzahl von Asylanträgen – ich glaube, es waren über 68 000 Asylanträge afghanischer Staatsangehöriger im ersten Quartal – entschieden hat; dadurch verändern sich auch die Schutzquoten.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Warum ist dann die Quote so gesunken?)
Daraus kann man dem BAMF keinen Strick drehen; das muss man vielmehr anerkennen und die Zahlen so verwenden, wie sie auf dem Tisch liegen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn wir entgegen all diesen Tatsachen eine Abkehr von der individuellen Prüfung vornehmen sollen, dann müssen wir ganz genau hinschauen.
Afghanistan ist ein vielschichtiges Land, Afghanistan ist ein kompliziertes Land. Die Menschen sprechen 50 unterschiedliche Sprachen. Hinzu kommen endlos viele Dialekte. Es gibt etliche ethnische Gruppierungen. Drei Viertel des Landes bestehen aus schwer zugänglichen Gebirgsregionen. Zwei Drittel der Gesamtbevölkerung leben in den städtischen Zentren der 34 Provinzen. Dazu gehört auch die Hauptstadt Kabul. Afghanistan ist auch ein unruhiges Land; wir müssen nicht drum herumreden. Die Machtverhältnisse in der afghanischen Gesellschaft sind seit langem extrem komplex. Afghanistan ist ein zerrissenes und gebeuteltes Land.
Aber Afghanistan ist auch kein pauschal zu bewertendes Land. Die Sicherheitslage dort weist deutliche regionale Unterschiede auf. Die Situation ändert sich laufend. Für die städtischen Zentren wie Herat und Kabul und für das zentrale Hochland gilt etwas anderes als für andere Regionen. Nicht nur der Lagebericht des Auswärtigen Amtes, sondern auch der aktuelle EASO-Report bestätigen das; auch der EGMR sieht diese starken regionalen Unterschiede.
Wir müssen aber nicht nur regional, sondern auch zwischen der Gefahr für Militär und für Zivilisten durch die Konflikte unterscheiden. Der furchtbare Anschlag, auf den die Antragsteller Bezug nehmen, kostete über 140 Soldaten das Leben. Man kann hieraus aber nicht automatisch folgern, dass sich die Sicherheitslage der Zivilbevölkerung allgemein geändert hat. Man kann nicht einfach sagen, dass der Gefahrengrad durch innerstaatliche Konflikte überall so hoch ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Hier von einer insgesamt gravierenden Verschlechterung zu sprechen, erscheint mir daher nicht ganz richtig. Die Zahlen der zivilen Opfer sind auch nach dem neuen UNAMA-Report 2015 und 2016 ungefähr gleich geblieben.
Meine Damen und Herren, auch die steigenden Zahlen der freiwilligen Rückkehrer zeigen, dass eine pauschale Bewertung falsch ist. Tatsächlich sind über 3 300 afghanische Staatsangehörige im letzten Jahr freiwillig zurückgekehrt.
Der UNHCR-Bericht, der viel, aber leider oft pauschal und einseitig zitiert wird, kommt auch zu dem Schluss, dass es für jede Entscheidung über den internationalen Schutzbedarf erforderlich ist, den Fall auf individueller Grundlage unter Einbeziehung sämtlicher Aspekte des Einzelfalls zu bewerten. Das tun wir.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, eben nicht!)
Die Schicksale der Menschen, die aus Afghanistan zu uns kommen, sind sehr unterschiedlich; das spiegeln die Entscheidungen des BAMF auch wider. Das BAMF schert mitnichten alle über einen Kamm. Vielmehr schaut es genau hin. Afghanische Staatsangehörige bekommen in Deutschland Asyl, Flüchtlingsstatus und subsidiären Schutz. Hinzu kommen viele Fälle von Abschiebungsverboten. Das sieht für mich eben nicht nach Blindheit gegenüber den Realitäten und auch nicht nach irgendwelchen Anweisungen aus. Gerade die vielen nationalen Abschiebungsverbote zeigen,
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die jetzt alle widerrufen werden!)
dass eine umfassende Prüfung stattfindet und die Mitarbeiter nicht nach Schema F handeln.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen auch nicht vergessen, dass die Entscheidungen des BAMF vor Gericht überprüft werden können. Das werden sie auch. Auch hier werden die Besonderheiten jedes Einzelfalls noch einmal aktuell gewürdigt.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf der Grundlage der Lageeinschätzung des Auswärtigen Amtes! – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da beißt sich die Katze in den Schwanz!)
Meine Damen und Herren, am Ende all dieser sorgfältigen Prüfungen, Rechtsmittel und Neubewertungen steht eine Entscheidung. Wenn dann festgestellt ist, dass ein Schutzbedarf nicht gegeben ist, muss diese Entscheidung auch Konsequenzen haben; denn eines darf nicht sein: Der Inhalt der Entscheidungen des BAMF darf nicht egal sein. Unsere Bürger und auch die Antragsteller dürfen nicht das Gefühl bekommen, dass die Entscheidungen nichts daran ändern, ob jemand bleiben kann oder gehen muss. Das würde kein Mensch verstehen, und das kann auch nicht sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, genauso wenig, wie pauschal entschieden wird, wird pauschal abgeschoben. In jedem Einzelfall müssen die Ausländerbehörden der Länder genau prüfen, ob eine Rückführung möglich ist. In die Risikoprüfung müssen alle persönlichen Umstände einbezogen werden. Nicht umsonst betreffen die Sammelabschiebungen keine Frauen und Kinder.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schreiben in der Antwort auf die Kleine Anfrage, dass Sie das noch nicht einmal wissen! Da geben Sie es sogar zu!)
Alle bislang aus Deutschland Zurückgeführten waren junge Männer, viele davon Straftäter. Es wird eben auch geguckt, zu welcher Volksgruppe jemand gehört, aus welcher Region er stammt und welche familiären Strukturen bestehen.
Um es noch einmal klar zu sagen: Für diese Auswahl sind die Ausländerbehörden der Länder zuständig.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber auf Grundlage der Lageeinschätzung des Auswärtigen Amtes, die falsch ist!)
Ich vertraue darauf, dass das sorgfältig durchgeführt wird. Aber stattfinden muss es nun einmal.
Meine Damen und Herren, nicht nur die Rückführung selbst wird betreut. Die Bundesregierung arbeitet mit der Internationalen Organisation für Migration und dem afghanischen Flüchtlingsministerium zusammen. Auch die deutsche Botschaft stellt sicher, dass die Betroffenen empfangen werden und im Land sicher an ihren gewünschten Zielort gelangen.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In 14 Tagen!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können nicht alle über einen Kamm scheren, weder im Guten noch im Schlechten. Aber eines können und müssen wir vermeiden, nämlich pauschal zu bewerten, pauschal zu entscheiden und pauschal zu agieren. Deshalb werden wir den Antrag ablehnen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Als nächster Redner hat Rüdiger Veit für die SPD-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7102996 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 231 |
Tagesordnungspunkt | Abschiebungen nach Afghanistan und Familiennachzug |