Daniela KolbeSPD - Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin richtig froh und auch stolz, dass wir heute über die Rentenangleichung Ost-West und über die Verbesserung der Erwerbsminderungsrente für diejenigen, die es gesundheitlich nicht bis zur Rente schaffen, sprechen. Ich will zuallererst Andrea Nahles und ihrem Haus ganz herzlich Danke sagen.
(Beifall bei der SPD)
Hier wird die gute Arbeit fortgesetzt, die während der gesamten Legislatur darauf ausgerichtet war, die gesetzliche Rente zu stärken und zu verbessern. Es wird deutlich: Das Arbeiten hört erst am Wahltag auf. Also, hier wird bis zum Schluss gearbeitet. Ich finde, hier wird richtig gute Arbeit vorgelegt.
(Beifall bei der SPD – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Wollt ihr danach nicht mehr regieren?)
– Wir regieren dann weiter. Aber die Ministerin muss sich natürlich erst einmal bestätigen lassen. Das wird auch so passieren, Herr Bartsch, keine Sorge.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ich hoffe das!)
Ich war neun Jahre alt, als die Berliner Mauer gefallen ist. Ich war Grundschülerin und habe noch Kopfnoten in Betragen und Fleiß bekommen.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Welche?)
– Sie waren nicht so ganz schlecht. Das tut hier aber nichts zur Sache.
Ich bin jetzt 37 Jahre alt, und ich lebe immer noch in einem Land mit zwei Rentensystemen. Die funktionieren zwar nach den gleichen Prinzipien, aber in Ostdeutschland war und ist es einfacher, einen Rentenpunkt zu verdienen. Dafür war und ist der Rentenpunkt aber auch weniger wert.
27 Jahre nach dem Mauerfall treibt das Blüten; Herr Kurth hat das bereits angesprochen. Vor wenigen Tagen wurde zum Beispiel festgestellt, dass bei der Rentenberechnung von Bundestagsmitarbeitern der ganz genaue Ort des Büros ausschlaggebend ist. Ich muss mir in meinem Büro Diskussionen anhören, warum ich nicht in das Jakob-Kaiser-Haus umziehen könnte, wo der Rentenpunkt einfacher zu erlangen ist als in meinem jetzigen Büro im Paul-Löbe-Haus, das etwa 30 Meter zu weit westlich gebaut ist.
Aber das Gesetz ist nicht wegen dieser Blüten wichtig, sondern wegen etwas ganz anderem: Kaum ein anderes Thema wird bei älteren Ostdeutschen so tief emotional verhandelt. Der rationale Fakt, dass der Rentenwert niedriger ist, löst bei ganz vielen das tief empfundene Gefühl aus, dass ihre Lebensleistung weniger wertgeschätzt wird als die der Westdeutschen. Seit 27 Jahren wird im Rentenrecht für viele Ostdeutsche das Gefühl am Leben erhalten und verstärkt, Bürger zweiter Klasse zu sein. Für viele ist es eine Kränkung. Das mag objektiv alles nicht so sein, und es ist garantiert auch nicht so gemeint, aber das Gefühl, verknüpft mit mancher negativer Erfahrung, die viele nach der Wiedervereinigung gemacht haben und über die eigentlich bisher kaum öffentlich gesprochen wird, ist da,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN sowie der Abg. Uda Heller [CDU/CSU])
und dieses Gefühl ist einer der größten Hemmschuhe für eine echte, vollendete Wiedervereinigung. Insofern machen wir einen riesengroßen Schritt in Richtung innere Einheit, wenn wir die Angleichung der Renten endlich abschließen.
(Beifall bei der SPD)
Es ist gut, dass wir nicht auf den Tag X warten, an dem die Angleichung von allein passiert. Schon aufgrund der unterschiedlichen Wirtschaftsstruktur wäre das nämlich am Sankt-Nimmerleins-Tag. Deswegen ist es richtig, dass wir sie politisch angehen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Für ostdeutsche Rentnerinnen und Menschen, die schon die Hälfte ihres Erwerbslebens oder mehr hinter sich haben, ist es nicht nur eine ideelle Anerkennung, sondern sie werden es auch finanziell spüren. Wir müssen aber auch klar sagen: Für jüngere Menschen wird es durch den Wegfall der Umwertung – ich rede über die ostdeutschen – nicht mehr so leicht sein, einen Rentenpunkt zu erlangen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ist es, und das geht nicht! Das darf nicht sein!)
Bei im Durchschnitt niedrigeren Löhnen ist das eine Herausforderung. Da müssen wir ran. Wir dürfen gerade die Jüngeren nicht vergessen. Auf sie kommen sowieso große Herausforderungen zu.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Insofern lohnt sich jede Anstrengung für gute Löhne. Das heißt ganz konkret: gute Tariflöhne, eine hohe Tarifbindung, speziell in Ostdeutschland. Andrea Nahles ist auch hier viele richtige Schritte gegangen.
Außerdem wird es so oder so – ob wir die Rentenangleichung vornehmen oder nicht – viele Menschen geben, die die Auswirkungen der Massenarbeitslosigkeit und der verheerend niedrigen Löhne der vergangenen Jahre bei der Rente zu spüren bekommen. Deswegen brauchen wir dringend eine echte Solidarrente, damit Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet und eingezahlt haben oder arbeiten wollten, im Alter nicht dumm dastehen.
(Beifall bei der SPD)
Ich sage es offen, lieber Koalitionspartner: Ich bin richtig sauer, dass wir den Koalitionsvertrag an dieser Stelle nicht umsetzen. Aber ich bin auch motiviert und sage: Als SPD bleiben wir da dran. Das ist eines unserer ganz wichtigen Themen.
(Beifall bei der SPD)
Wir sehen aber auch: Der Abstand zwischen den Löhnen in Ost und West ist kein Naturgesetz. Durch den Mindestlohn hat sich eine richtig tolle Dynamik entwickelt, und das sollte man manchem Mindestlohnskeptiker vielleicht einmal vor Augen führen.
(Beifall bei der SPD)
Am Anfang der Legislatur betrug der Unterschied bei den Rentenpunkten 8,5 Prozent, und es hatte sich lange Zeit eigentlich nichts bewegt. Am 1. Juli wird der Abstand nur noch 4,3 Prozent betragen. Auch bei der Umwertung sehen wir solch einen Effekt: Anfang der Legislatur waren es knapp 18 Prozent Umwertung – sie wird häufig auch „Aufwertung“ genannt –, jetzt liegen wir bei unter 12 Prozent. Das ist eine riesengroße Dynamik, und sie ist ein großer Grund zur Freude. Aber sie ist so groß, dass wir noch mal an den Gesetzentwurf ran müssen. Er wird nämlich gerade im positivsten Sinne von der Realität überholt. Ich hoffe, wir tun das gemeinsam in einer Art und Weise, die dazu beiträgt, dass wir die Angleichung zügiger auf den Weg bekommen. Ich hoffe auch, dass wir die Angleichung mit großer Einigkeit hier im Haus angehen. Sie ist nämlich ein wichtiges Signal an die Ostdeutschen, dass ihre Lebensleistung vom gesamten Deutschen Bundestag wertgeschätzt und respektiert wird.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Jana Schimke für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7103200 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 232 |
Tagesordnungspunkt | Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit |