Norbert Lammert - Ausfuhr von Brennelementen
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, es ist völlig richtig, heute, zwei Tage nach dem 31. Jahrestag der Atomkatastrophe von Tschernobyl, zu erinnern und zu mahnen. Ja, das unvergessliche Leid und die unglaublichen gesundheitlichen Folgen über Generationen hinweg in Tschernobyl und auch in Fukushima – mit Fukushima ist Nordrhein-Westfalen übrigens seit Jahren eng verbunden; diese Partnerschaft wird weiterentwickelt – sind ständige Mahnung und auch gleichzeitig Auftrag: Nie wieder und nirgendwo!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es ist auch gut und richtig, hier und jetzt an die große politische Einigkeit von Bundestag und Bundesrat in einer gemeinsamen Beschlussfassung zu erinnern, aus der Atomenergie in Deutschland auszusteigen und Atomkraftwerke abzuschalten. Das ist und bleibt historisch. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Erinnerung an historische Leistungen oder Mahnungen werden dann zunehmend zu erstarrten Ritualen und schlussendlich auch hohl, wenn sie nicht immer wieder in der politischen Praxis konkrete Konsequenzen für das Jetzt und Heute und auch für das Übermorgen haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Zdebel [DIE LINKE])
Diese Konsequenzen müssen dann auch gezogen werden. Eigentlich ist das doch so einfach – die Menschen draußen haben jedenfalls ein klares Gespür dafür, und das gilt parteiübergreifend –: Wer A sagt, muss auch B sagen, und wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wer – A – „Atomkraftwerke abschalten“ sagt, muss – B – auch in Belgien, bei unserem Nachbarn, das Gleiche fordern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Bei aller Achtung der nationalen Souveränität: Strahlung macht eben nicht an der Grenze halt. Da gibt es schlicht keine Obergrenze; sie ist einfach null. Es ist den Menschen nicht mehr zu erklären: das ständige An- und Abschalten, die vielen Pannen, die Risse in den Schrottreaktoren, die unterschiedlichen Sicherheitsstandards. Die Diskussion über die Mechanismen der Verteilung von Jodtabletten ist angesichts unserer Beschlusslage, aus der Atomenergie auszusteigen, schlicht schizophren. Selbst die belgische Atomaufsicht hält die Betreiber für nicht zuverlässig.
Frau Bundesministerin Hendricks, es ist gut, dass Sie sich endlich aufgemacht haben,
(René Röspel [SPD]: Nicht „endlich“!)
um auch in Belgien dafür zu sorgen, dass die Lücke in Sachen nukleares Sicherheitsabkommen geschlossen wird; das ist nicht ausreichend, aber es ist ein wichtiger Schritt. Es ist auch richtig, dass sich die Sicherheitsexperten austauschen. Das gilt auch für die Erklärung bezüglich der Sicherheitslücken der belgischen Atomkraftwerke. Aber wo bleibt die Unterstützung unserer Aktivitäten gegenüber der Europäischen Kommission?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Zdebel [DIE LINKE])
Wo bleibt die Unterstützung der Bundesregierung, wenn es darum geht, alle rechtlichen Möglichkeiten auf nationaler, aber auch auf internationaler Ebene wahrzunehmen? Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich meine, die äußere und innere Sicherheit ist Chefsache. Ich frage mich: Wo ist die Bundeskanzlerin bei dieser Sache?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Es gäbe noch sehr viel mehr zu tun, wenn es um konkrete Unterstützung, Zusammenarbeit und Partnerschaft geht. Beispielsweise müsste der Netzausbau forciert werden. Wir brauchen nicht nur eine Verbindung. Vielmehr brauchen wir dringend eine zweite. Das muss in den Netzausbauplan eingearbeitet werden. Wir brauchen auch, genauso wie mit Frankreich, gemeinsame Kommissionen, die sich in beiden Ländern für Alternativen, nämlich für erneuerbare Energien, einsetzen. Hier gibt es deutliche Lücken, und hier müsste die Bundesregierung sehr viel mehr tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Klar ist auch: Wer A sagt, muss auch im eigenen Land B sagen. Es kann doch nicht sein – das stößt bei Diskussionen vor Ort immer wieder auf –, dass Gronau und Lingen nach wie vor nicht unter das Atomgesetz fallen. Das muss dringend repariert werden. Hierzu muss es nicht nur ein Gutachten geben, sondern auch eine rechtliche Entscheidung im Deutschen Bundestag, so wie es der Bundesrat zweimal gefordert hat. Bitte, liebe Kolleginnen und Kollegen, überwinden Sie sich endlich, und entscheiden Sie, dass das zum Atomausstieg dazugehört!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wer A sagt, muss auch B sagen, wenn es um die Genehmigung der Ausfuhr von Brennelementen geht. Das Atomgesetz verlangt für die Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung den Nachweis des Ausschlusses einer „die innere und äußere Sicherheit“ der Bundesrepublik gefährdenden Verwendung der zu exportierenden Brennelemente. Ein solcher Nachweis sei für die maroden Reaktoren jedoch nicht zu erbringen, so die Bundesregierung. Ich frage mich, was denn sonst die innere und äußere Sicherheit bedroht, wenn nicht solche Atomkraftwerke.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Geradezu zynisch ist der Hinweis der Bundesregierung, die Brennstäbe würden ohnehin geliefert, wenn nicht von uns, dann eben von anderen. Das ist nicht Politik, sondern das ist Geschäft.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das hat nichts mit Geschäften zu tun, sondern mit Kompetenzerhalt!)
Sehr verehrte Frau Bundesministerin, man kann nicht auf der einen Seite erklären, dass man die Sicherheitslage nicht für ausreichend hält, und gleichzeitig Brennelementelieferungen genehmigen und somit die Lage auch noch von anderer Seite befeuern. Ja, ich sage Ihnen: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Es fehlt aber schlicht am politischen Willen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich will gar nicht bestreiten, dass es unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt. Sie sind ja sowohl in Gutachten der Bundesregierung als auch in Gutachten von außerhalb mehrfach dargelegt worden. Selbst der Gutachter der Bundesregierung spricht davon, dass es unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt.
Was macht man denn, wenn man unterschiedliche Rechtsauffassungen hat? Man versucht dann, den rechtlich möglichen Weg tatsächlich auch zu beschreiten, das heißt: Verbieten Sie den Export, genehmigen Sie ihn nicht. – Dann werden möglicherweise die Gerichte eine Klärung über den Weg herbeiführen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Frau Bundesministerin, wenn Sie sich nicht sicher sind, ob dieser Weg über die Gerichte richtig ist – das wird im Übrigen schnell geklärt werden können –, dann muss man Gesetze ändern. Das ist die Haltung des Landtages Nordrhein-Westfalen, das ist die Haltung der Region um Aachen herum, und das ist die Haltung der Menschen in Nordrhein-Westfalen: den politischen Willen an dieser Stelle auch umzusetzen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hubertus Zdebel [DIE LINKE])
Meine sehr verehrten Damen und Herren, eines kann und muss ich zum politischen Willen noch sagen: Wir brauchen am Ende des Tages auch eine europäische Initiative für einen umfassenden Atomausstieg. Es kann nicht sein, dass Ländern um uns herum regelmäßig ein Sicherheitsrabatt – das kann im Übrigen auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten nicht sein – gewährt wird. Wir wissen, dass in Frankreich ein Nachrüstungsbedarf von über 150 Milliarden Euro besteht. Hier ist eine scharfe Initiative der Bundesregierung zur Vertretung unserer Interessen im europäischen Kontext notwendig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Herr Minister, ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, dass Ihre weitere Redezeit auf das Konto der Fraktion geht, für die Sie sicher auch reden.
Also: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, wenn es um die Untersagung der Brennelementelieferungen, die vollständige Durchsetzung des Atomausstieges durch den Bundestag und letztlich auch das Abschalten der Atomkraftwerke in Tihange und Doel geht.
Herzlichen Dank.
(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Anja Weisgerber das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kann der Verstand zurückkehren!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7103209 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 232 |
Tagesordnungspunkt | Ausfuhr von Brennelementen |